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16. Februar 2021
BU: Verpflichtet Krebs zur Aufgabe des Unternehmens?

BU: Verpflichtet Krebs zur Aufgabe des Unternehmens?

Bei älteren BU-Verträgen findet sich häufig noch die abstrakte Verweisung. So auch in einem Fall eines Kfz-Werkstattbesitzers, der an Krebs verstarb, bevor BU-Leistungen ausbezahlt wurden. Danach kam es zum Streit zwischen den Erben und dem Versicherer.

Ein Kommentar zum Beschluss des OLG Karlsruhe vom 06.05.2020 – 9 U 54/18 von Kathrin Pagel, Fachanwältin für Versicherungsrecht und Partnerin in der Kanzlei Michaelis.

Verstirbt der Versicherungsnehmer in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung, bevor er seine Berufsunfähigkeitsleistungen erhalten hat, besteht der Anspruch auf Leistungen fort und geht auf die Erben über. Die mentalen sowie rechtlichen Herausforderungen für die Hinterbliebenen bestehen darin, nun die Auseinandersetzung mit dem Versicherer zu führen. In einem solchen Prozess hatte das OLG Karlsruhe unter anderem darüber zu entscheiden, ob der Versicherer einen selbstständigen mitarbeitenden Kfz-Werkstatt­besitzer bei Berufsunfähigkeit wegen eines Pankreaskarzinoms mit Lebermetastasen auf eine abhängige Tätig­keit als Kfz-Service-Berater verweisen durfte, um dadurch der Leistungsverpflichtung aus einem privaten Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag zu entgehen.

Möglichkeit einer „abstrakten Verweisung“

Grundsätzlich ist in einem Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag die Absicherung der tatsächlich zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten beruflichen Tätigkeit vereinbart. Kann der Versicherungsnehmer diese aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben, erhält er Versicherungsleistungen aus dem Vertrag. Einige ältere Versicherungsverträge in der Berufsunfähigkeitsversicherung enthalten jedoch noch Vertragsklauseln über eine sogenannte „abstrakte Verweisung“.

Eine solche Klausel kann es dem Versicherer unter Umständen sehr viel weitergehend gestatten, den Versicherungsnehmer im Falle der Berufsunfähigkeit in seinem alten Beruf auf eine andere berufliche Tätigkeit zu verweisen. Nach dem Gesetz dürfen solche Verweisungen auf eine andere Tätigkeit grundsätzlich vertraglich vereinbart werden. Es muss sich nach § 172 Abs. 3 VVG um eine Tätigkeit handeln, zu deren Ausübung die versicherte Person aufgrund ihrer Ausbildung und Fähigkeiten in der Lage ist und die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht. Will der Versicherer den Versicherungsnehmer im Versicherungsfall auf einen Vergleichsberuf verweisen, muss er umfassend und detailreich den avisierten Vergleichsberuf zunächst aufzeigen. Die lediglich allgemeine Verweisung auf ein Berufsbild wie zum Beispiel „Servicetechniker“ oder „Bäcker“ genügt nicht.

Der Fall: Abstrakte Verweisung auf Kfz-Service-Berater

In dem Fall des OLG Karlsruhe enthielt der Vertrag eine abstrakte Verweisung, und diese wurde vom Versicherer für eine abhängige Tätigkeit als Kfz-Service-Berater ausgesprochen. Der Werkstattbesitzer hatte nach seiner Diagnose zunächst auf Gesundung gehofft und darauf, dass er seinen bereits seit 20 Jahren bestehenden Kfz-Werkstattbetrieb aufrechterhalten könnte. Daher wurde der Betrieb nicht eingestellt. Es folgte die Operation und längere Chemotherapie. Die fortschreitende Verschlechterung des Gesundheitszustandes und letztlich der Tod konnten nicht verhindert werden, aber seine Hoffnung behielt der Versicherte über den gesamten Zeitraum. Daher gab er den Betrieb seiner Werkstatt bis zum Ende nicht auf.

Streit zwischen Erben und Versicherer

Die Erben stritten sich mit dem Versicherer darüber, ob der Versicherte trotz der Hoffnung auf die Fortsetzung seiner Tätigkeit sein Unternehmen und die Selbstständigkeit hätte aufgeben müssen. Der Versicherer war der Ansicht, stattdessen hätte der Versicherte auf die Tätigkeit als Kfz-Service-Berater abstrakt verwiesen werden können. Das wäre der Fall, wenn es sich um einen vergleichbaren Beruf handelt und der Versicherte über die Ausbildung und Fähigkeiten sowie ausreichende gesundheitlichen Voraussetzungen zur Ausübung verfügt. Dies wurde detailliert nicht geprüft, denn ein Berufswechsel setzt zudem voraus, dass er auch für den Versicherten zumutbar wäre.

Zumutbarkeit des Berufswechsels

Zur Frage der Zumutbarkeit wurde weiter ermittelt. Im Zusammenhang mit der Pankreaskarzinom-­Diagnose wurde ein Sachverständiger gehört, der eine Prognose zur Überlebenswahrscheinlichkeit gestellt hatte. Die Chancen des Versicherten für die Fortführung seines Unternehmens wurden bei einer von dem Sachverständigen festgestellten nicht mehr als 20%-igen Ein-Jahres-Überlebensrate als relativ gering angesehen. Das OLG Karlsruhe befand dennoch, dass es von dem Versicherten nicht zu verlangen wäre, seinen Betrieb aufzugeben, nur um bis zu seinem voraussichtlichen Tod noch eine ungewisse Zeit von wenigen Monaten gegebenenfalls eine abhängige Beschäftigung bei einem Drittunternehmen ausüben zu können.

Fazit

Bei einem BU-Vertrag mit einer abstrakten Verweisung ist generell mit Verzögerungen in der Leistungsabwicklung zu rechnen. Der Versicherer wird immer versuchen, einen anderen Vergleichsberuf zu finden und damit die Leistungsverpflichtung abzuwenden. Versicherungsnehmer müssen ohnehin in der Berufsunfähigkeitsversicherung besondere Herausforderungen der Leistungs­beantragung bewäl­tigen: die Verknüpfung von versicherungsrechtlichen Fragestellungen mit medizinischen und berufskundlichen Fragen. Dabei benötigt der Versicherungsnehmer Hilfe. Jeder Einzelfall ist anders gelagert und muss individuell behandelt werden. Der Leistungsfall in der Berufsunfähigkeitsversicherung ist anspruchsvoll, aufwendig und für Versicherungsmakler ohne entsprechende Expertise haftungsträchtig. Makler und ihre Kunden können sich Unterstützung mit der professionellen Leistungsfallbegleitung holen, einem Service von Rechtsanwältin Pagel in der Kanzlei Michaelis. So können von Beginn an viele Fallstricke überwunden werden.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 02/2021, Seite 46 f., und in unserem ePaper.

Bild: © DimaBerlin – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Kathrin Pagel