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12. November 2015
Das Zweite Pflegestärkungsgesetz – ein sozialrechtlicher Paradigmenwechsel?

Das Zweite Pflegestärkungsgesetz – ein sozialrechtlicher Paradigmenwechsel?

Der Gesetzgeber will auch mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz die ambulante Pflege der Versicherten stärken. Vor dem zukünftigen demografischen Hintergrund stellt sich allerdings die Frage, wer die Laienpflege in Zukunft leisten soll.

Von Consilium-Geschäftsführer Alexander Schrehardt –
Referent beim heutigen AssCompact TV Thementag Pflege. Zu den Sendungen geht‘s hier.

Bereits bei Einführung der gesetzlichen Pflegepflichtversicherung vor 20 Jahren hatte der Gesetzgeber für eine vorrangige Förderung der häuslichen Laienpflege votiert und damit auch die Wunschvorstellungen der pflegebedürftigen Versicherten berücksichtigt. Vor allem ältere Menschen belastet der Gedanke an die Aufgabe des gewohnten häuslichen Umfeldes und der damit verbundene Verlust langjähriger Sozialkontakte bei einem Umzug in ein Pflegeheim. Mit der alternativen oder kombinierten Auszahlung von Pflegegeld und Pflegesachleistungen sollen vor allem Familienangehörige, gegebenenfalls mit Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst, zur Übernahme von pflegerischer Verantwortung motiviert werden.

Vorrang der ambulanten Laienpflege

Auch in den Folgejahren verfolgte der Gesetzgeber das Ziel einer vorrangig ambulanten Versorgung von pflegebedürftigen Versicherten durch Laienpfleger weiter. Die sozialen Sicherungsleistungen für Laienpfleger, der Rechtsanspruch von Arbeitnehmern auf eine Pflege- und seit dem 01.01.2015 auch auf eine Familienpflegezeit, Lohnersatzleistungen als Darlehen zum Ausgleich von Einkommenseinbußen und die finanzielle Förderung ambulanter Wohngruppen können dabei als Meilensteine der Gesetzgebung benannt werden.

Mit dem Ersten Pflegestärkungsgesetz hatte der Gesetzgeber zum 01.01.2015 seine Verpflichtung zur dynamischen Erhöhung der Versorgungsleistungen umgesetzt. Dabei fällt auf, dass einige für die ambulante Laienpflege in besonderem Maße relevante Leistungen überdurchschnittlich erhöht wurden. Während Pflegegeld, Pflegesachleistungen und Leistungen für die stationäre Pflege um durchschnittlich ca. 4% angepasst wurden, hatte der Gesetzgeber die Leistungen für zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel um 29% und für das Wohnumfeld verbessernde Maßnahmen, zum Beispiel für eine verbesserte Barrierefreiheit, um 56% erhöht. Auch die Regelungen für eine Kurzzeit- oder eine Verhinderungspflege zur Entlastung pflegender Familienangehöriger wurden deutlich verbessert.

Neue Definition der Pflegebedürftigkeit

Mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz gibt der Gesetzgeber den bisherigen Begriff der Pflegebedürftigkeit auf. Während nach aktueller Definition die Pflegebedürftigkeit eines Versicherten mit dem Hilfebedarf durch eine dritte Person bei den regelmäßigen Verrichtungen des Alltags begründet und der Grad der Pflegebedürftigkeit mit dem zeitlichen Umfang des Hilfebedarfs bemessen werden, wird der neue Pflegebegriff erheblich weiter gefasst. Für die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit sollen ab 01.01.2017 nicht nur Einbußen bei der Mobilität oder die Unterstützung bei der täglichen Körperpflege und der Nahrungsaufnahme berücksichtigt, sondern beispielsweise auch kognitive und kommunikative Defizite, Einbußen bei der Sozialkompetenz und psychische Problemlagen bewertet werden.

Mit dem neuen, in sechs Module gegliederten Begutachtungsinstrument sollen die Pflegebedürftigkeit differenzierter bewertet und vor allem auch betreuungsbedürftige Versicherte mit der imaginären Pflegestufe 0 besser berücksichtigt werden. Auch die bisherigen drei Pflegestufen und die Umschreibung der betreuungsbedürftigen Versicherten nach § 45a SGB XI (Pflegestufe 0) werden nach dem Stand des derzeitigen Gesetzgebungsverfahrens zugunsten einer neuen Einteilung der Pflegebedürftigen in fünf Pflegegrade aufgegeben.

Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens soll auch eine neue Regelung zur Bemessung des Eigenanteils des Versicherten an den Kosten seiner stationären Pflege geregelt werden. Ziel des Gesetzgebers ist, dass im Fall einer stationären Pflege des Versicherten der Eigenanteil an den Pflegekosten für die Pflegegrade 2 bis 5 einheitlich bemessen wird. Berücksichtigt man allerdings in diesem Zusammenhang, dass die Leistungen der Pflegepflichtversicherung für die stationäre Pflege eines Versicherten mit Pflegegrad 2 im Vergleich zur heutigen Pflegestufe I um ca. 28% gesenkt werden sollen, so stellt sich die Frage nach der Finanzierbarkeit aus Sicht der Pflegeheime. Nachdem sich der einheitliche Eigenanteil des Versicherten allerdings nur auf die stationären Pflegekosten bezieht, bleibt die Entwicklung der Tagessätze für die Investitionskosten, die Unterbringung und die Verpflegung der Versicherten abzuwarten.

Wie bereits mit dem Pflege-Neuausrichtungs- und dem Ersten Pflegestärkungsgesetz fokussiert der Gesetzgeber auch mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz auf eine ambulante Pflege der Versicherten. Vor dem Hintergrund einer überalternden Gesellschaft, der Aufgabe von Familienverbänden und der Zunahme von Singlehaushalten stellt sich allerdings die Frage, wer die vom Gesetzgeber favorisierte ambulante Laienpflege in Zukunft leisten soll.

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Die Artikel finden Sie auch in der AssCompact Sonderedition Private Pflegevorsorge.

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