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20. Mai 2022
Der Digital Recruiting Index für Versicherungen
Applying for job online concept. Vector of multiple people applying for work position giving CV out from a laptop computer

Der Digital Recruiting Index für Versicherungen

Nachwuchssorgen gibt es in der Branche genau wie zunehmende Digitalisierung der Unternehmen. Als Lösungsansatz ergibt sich aus diesen zwei aktuellen Themen das Digital Recruiting. Wie es darum bei den Versicherern steht, hat disphere interactive zusammen mit der Hochschule Fresenius Hamburg untersucht.

Ein Artikel von Sven Keese, Dozent an der Hochschule Fresenius und Managing Partner bei disphere interactive

Die Versicherer sind im Umbruch. Wahrscheinlich ein wenig mehr als andere Branchen. Das ist nichts Neues. Allen Branchen gemein ist, dass digital affine Mitarbeitende, die das jeweilige Geschäftsmodell neu denken und mit ihrem Mindset und ihren Skills die digitale Transformation vorantreiben, händeringend gesucht werden. Für Unternehmen ist es schwieriger denn je, die passende Fachkraft für ihr Unternehmen zu finden. Laut einer DIHK-Umfrage gehört der Fachkräftemangel schon jetzt zu den Top-drei-Risiken für Unternehmen. Dazu kommen speziell bei Versicherungen noch Nachwuchssorgen im Vertrieb. Parallel hierzu hat die Digitalisierung für einen größeren Umschwung bei der Personalbeschaffung und -gewinnung in Unternehmen gesorgt. Neue Bedürfnisse zukünftiger Fachkräfte entstanden und entstehen noch immer, wodurch Unternehmen gezwungen sind, sich auch hier umzustrukturieren und nachhaltig neue, digitale Prozesse zu erschaffen. In diesem Zusammenhang spielen Themen wie Employer Branding und Digital Recruiting eine fast unverzichtbare Rolle. Der demografische Wandel tut sein Übriges und verwandelt den Arbeitsmarkt immer mehr in einen Käufermarkt.

Doch wie gelingt es in Zeiten des Fachkräftemangels, Bewerber mit den passenden Fähigkeiten zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu finden? Und wie kann ich mich als Versicherungsunternehmen als attraktiver Arbeitgeber gegenüber den „Digital Talents“ positionieren?

Studierende und gleichzeitig digitale Talente der Hochschule Fresenius Hamburg setzten sich unter der fachlichen Leitung von Prof. Dr. Yorck von Borcke, Studiendekan und Leiter der Media School, Anfang 2020 erstmals mit dem Status quo des Digital Recruiting anhand der DAX-30-Unternehmen auseinander und entwickelten in Zusammenarbeit mit disphere interactive die erste Version des Digital Recruiting Index (DRX). Die entwickelte Scoringcard-Matrix bildet die Basis des DRX für Versicherungen, dessen Ziel es ist, ein Instrument für die Versicherungsunternehmen zu erschaffen, mit welchem sie einen Status quo ihrer Digital-­Recruiting-Prozesse erhalten können und mögliche Potenziale aufgezeigt bekommen. Über 530 mögliche Touchpoints wurden untersucht und 50.000 Datensätze in den einzelnen Kategorien generiert.

Und das Ergebnis? Da geht noch was!

Die Auswertungen ergaben, dass insbesondere in den Kategorien „Stellenbörsen“, „Bewertungsplattformen“ und „Eigene Karriereseite für Absolventen“ ein Aufholbedarf besteht. Im Durchschnitt wurde über alle analysierten Versicherungen ein Score von nur 23% bei der eigenen Karriereseite für Absolventen erreicht. Lediglich ein Bruchteil der Versicherer besitzt eine separate Karriereseite mit Einstiegsjobs für Universitäts- oder Hochschulabsolventen.

Ein weiteres Handlungsfeld wurde im Bereich der Bewertungsplattformen identifiziert. Über alle Versicherungen wurde ein Durchschnittsscore von 48% erreicht. Ins­besondere die mangelhafte Pflege der Darstellung der Unternehmensprofile auf den Plattformen Kununu und Glassdoor waren auffällig. Teilweise wurden Unternehmensprofile auf diesen Plattformen nicht offiziell von den Unternehmen verwaltet. Einen hohen Gesamtscore mit positiver Weiterempfehlungsrate und einer hohen Interaktionsrate in Bezug auf Kritik oder Fragestellungen konnten übrigens die Versicherer HUK-COBURG, HanseMerkur, LV1871 und HDI aufweisen. Die herausgearbeiteten Quick-Wins, die als Handlungsempfehlungen für eine ressourcenschonende und trotzdem erfolgreiche Mängelbehebung verstanden werden können, sollten definitiv in hohem Grad erfüllt werden. Es sind die grund­legenden Kernelemente – die Hausaufgaben, um digitale Talente ansprechen zu können. Hierbei gilt es, Unternehmensprofile auf jeglichen Plattformen topaktuell und detailliert zu befüllen. Unabhängig von der Plattform können diese Unternehmensprofile als digi­tale Visitenkarte der Unternehmen verstanden werden.

Ratsam ist es, auch Medienbrüche zu vermeiden und den digitalen Talenten eine hohe Usability im Sinne möglichst einfacher Bewerbungsprozesse zu bieten. Ähnlich wie die Unternehmensprofile können auch die Stellenausschreibungen als Visitenkarte verstanden werden. Hierbei sollte zum einen ein Fokus auf die Darstellung und Formatierung der Stellenausschreibungen auf den unterschiedlichen Plattformen gelegt werden.

„Erst Hausaufgaben machen, dann TikTok“

Zum anderen sind vor allem die arbeitsqualitätssteigernden Indikatoren essenziell in den Stellenausschreibungen zu nennen. Hierbei besteht die Herausforderung, dass die Versicherungsunternehmen potenziell noch keine modernen Arbeitskulturen mit Indikatoren wie flexibles Arbeiten, Work-Life-Balance-Maßnahmen, agiles Projektmanagement, Karriereentwicklungsmaßnahmen und Mobilitätsangeboten ausweisen. Dabei werden genau diesen Indikatoren in dem DRX die stärksten Gewichtungen zugeschrieben.

Abschließend wünschen sich digitale Talente bei der Jobbewerbung effiziente und schnelle Abläufe im Bewerbungsprozess. One-Click-Bewerbungen müssen Einsatz finden, um den Bewerbungsprozess so schnell und einfach wie möglich zu gestalten. Nur wenige Versicherungen haben diese Funktion in den Bewerbungsprozess integriert. Oftmals müssen Bewerber durch verschiedene Anmeldemasken mit zahlreichen Untermenüs navigieren, um zum eigentlichen Upload der Bewerbung zu gelangen. Möchte man als digital­affiner Arbeitgeber wirken, so muss auch der Bewerbungsprozess dies beweisen können.

Über den Autor

Sven Keese ist Dozent an der Hochschule Fresenius im Masterstudiengang „Digitales Management & Leadership“ und Managing Partner bei disphere interactive. disphere ist Digitalberatung, -agentur und Technologieentwickler und fokussiert sich auf die digitale Transformation des Vertriebes und der B2B2C-Kommunikation. Das Unternehmen unterstützt seine Kunden – vornehmlich aus der Finanzdienstleistung – entlang der digitalen Wertschöpfungskette, unter anderem im Datenschutz und Recruiting.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 05/2022, S. 114 f., und in unserem ePaper.

© Feodora – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Sven Keese