Ein Artikel von Franziska Zepf, Geschäftsführerin von Premius Finanz- und Versicherungsmakler
Es gibt diesen Moment, den viele junge Maklerinnen und Makler kennen: Die Aufträge werden mehr, der Kalender platzt, die To-do-Liste scheint endlos. Und plötzlich taucht die Frage auf: „Soll ich mir jetzt jemanden ins Team holen?“ Die Antwort darauf ist entscheidend – und sie ist komplexer, als sie auf den ersten Blick scheint.
Wachstum braucht Struktur – nicht Stress
Viele junge Unternehmer begehen denselben Fehler: Sie stellen zu früh ein. Meist aus Überforderung. Das klingt nachvollziehbar, ist aber gefährlich. Denn Mitarbeiter bedeuten nicht automatisch Entlastung, sondern zunächst Aufwand, Verantwortung und Kosten. Bevor du über dein erstes Teammitglied nachdenkst, sollten deine internen Systeme und Prozesse wirklich funktionieren. Das bedeutet:
- Dein CRM-System läuft reibungslos.
- Deine Termin- und Kommunikationsabläufe sind automatisiert.
- Standardaufgaben (z. B. Terminbestätigungen, Nachfassmails, Angebotsanfragen) sind digital abgebildet.
Erst wenn du sicher sagen kannst, dass dein Tagesgeschäft ohne dich weitgehend automatisiert abläuft, bist du bereit für personelles Wachstum. Ich sage es ganz direkt: KI und Automationen ersetzen heute die ersten zwei Mitarbeiterjahre. Wenn du diese Tools konsequent nutzt, kannst du enorme Effizienzgewinne erzielen – und sparst dir viele schlaflose Nächte über Gehälter, Krankenstände und Onboarding.
Der wahre Hebel liegt in der Klarheit
Ein Mitarbeiter ist keine Lösung für Chaos – er potenziert es nur. Bevor du also jemanden einstellst, stell dir ehrliche Fragen:
- Welche Aufgaben blockieren meine Zeit wirklich?
- Welche Tätigkeiten bringen Umsatz – und welche nur Bewegung?
- Was davon könnte eine Automatisierung übernehmen und was braucht echte menschliche Interaktion?
Wenn du diese Punkte klar hast, erkennst du oft, dass du gar keinen Mitarbeiter brauchst, sondern ein funktionierendes System.
Wenn Systeme stehen, dann kommen die Menschen
Der richtige Zeitpunkt für den ersten Mitarbeiter ist dann gekommen, wenn du nicht mehr nur Aufgaben abgeben willst, sondern Verantwortung teilen kannst. Ein gutes Teammitglied denkt aktiv fürs Unternehmen mit, nicht nur für sich. Und das setzt voraus, dass du selbst klar kommunizieren kannst, wohin dein Unternehmen steuert. Die erste Einstellung ist also weniger eine operative, sondern eine strategische Entscheidung. Es geht nicht darum, jemanden zu haben, der „hilft“. Es geht darum, jemanden zu finden, der mitwächst.
Soft Skills schlagen Lebenslauf
In meiner Erfahrung sind Lebensläufe zweitrangig – entscheidend sind Werte, Haltung und Entwicklungspotenzial. Ich habe gelernt: Die besten Mitarbeiter erkennst du nicht an Zertifikaten, sondern an ihrer Fähigkeit, zuzuhören, sich einzufügen und Verantwortung zu übernehmen. Das Fachwissen kann man lehren – Charakter nicht. Wenn du den ersten Menschen in dein Unternehmen holst, achte also auf diese Fragen:
- Passt dieser Mensch zu meinen Werten?
- Will er wirklich wachsen oder nur „arbeiten“?
- Versteht er die Mission, die mich antreibt?
Gerade im Maklergeschäft, wo Vertrauen und Beziehung das Fundament sind, ist die Persönlichkeit wichtiger als jede Fachqualifikation.
Die Kostenfrage: Wann es sich rechnet
Ein neuer Mitarbeiter ist kein Luxus, sondern eine Investition. Das bedeutet: Er muss mittelfristig Umsatz, Effizienz oder Entlastung schaffen, die seinen Kosten entspricht. Wenn du 40 Stunden pro Woche arbeitest und dein Output voll ausgelastet ist, kannst du mit einer Faustregel rechnen: Wenn du mindestens 70% deiner Zeit mit Tätigkeiten verbringst, die nicht delegierbar sind (Beratung, Akquise, Strategie), dann ist der Zeitpunkt reif. Liegt dieser Anteil darunter, brauchst du keine Person – du brauchst ein besseres System.
Mein persönliches Learning: Agieren statt reagieren
Ich erinnere mich noch genau: Schon im ersten Jahr nach meiner Gründung habe ich meine erste Mitarbeiterin eingestellt. Ich dachte, das sei der logische nächste Schritt – schließlich lief das Geschäft gut, die Nachfrage war da, und ich war dauerbeschäftigt. Rückblickend war das viel zu früh. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine klaren Prozesse, keine Automatisierungen und keine wiederholbaren Strukturen. Vieles hing von mir ab, vieles war noch „in meinem Kopf“. Und genau das führte dazu, dass ich statt Entlastung zunächst mehr Koordination, mehr Kommunikation und mehr Stress hatte. Was ich damals gelernt habe: Ein Mitarbeiter löst keine Engpässe, wenn das Fundament nicht steht. Ich hätte erst Systeme aufbauen müssen, bevor ich Stühle aufstelle.
Heute sehe ich das so: Bevor du reagierst, weil du überfordert bist, agiere strategisch. Schaffe Strukturen, bevor du Menschen führst. Automatisiere, bevor du delegierst. Denn Führung beginnt nicht beim ersten Mitarbeiter – sie beginnt bei der eigenen Organisation. Und wenn die steht, entsteht ein Umfeld, in dem Mitarbeiter wirklich wirken können.
Fazit
Mitarbeiter sind grandios. Und ich möchte keine einzige wunderbare Person in meinem Team missen. Realistisch gesehen werde ich auch noch viele einstellen und deshalb kann ich rückblickend sagen: Der richtige Zeitpunkt für den ersten Mitarbeiter ist nicht der Moment, in dem du überfordert bist, sondern der Moment, in dem du bereit bist, Führung zu übernehmen. Automatisiere, standardisiere und stabilisiere zuerst. Dann such dir Menschen, die dein Warum teilen, nicht nur deine Aufgaben. Denn Systeme bringen Stabilität – aber Menschen bringen Seele.
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