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Steuern & Recht
31. Juli 2023
Die Pflichten des Maklers gehen auch bei Umdeckungen weit

Die Pflichten des Maklers gehen auch bei Umdeckungen weit

Die Pflichten des Maklers gehen weit. Dieser zentrale Satz aus dem Sachwalterurteil zieht sich seit 1985 wie ein Mantra durch die Entscheidungen vieler Gerichte zur Maklerhaftung. Und der Satz gilt insbesondere auch bei Umdeckungen. Ein Überblick von Hans-Ludger Sandkühler.

Ein Artikel von Hans-Ludger Sandkühler
Gesetzliche Beratungspflicht der Versicherungsvermittler

Aufgrund ihrer Beratungspflicht nach § 61 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) müssen Versicherungsvermittler den Versicherungsnehmer generell über alle Punkte aufklären, die für den Abschluss des konkreten Vertrages üblicherweise von wesentlicher Bedeutung sind. Dabei ist der Beratungsbedarf des Versicherungsnehmers nach der Rechtsprechung besonders groß, wenn ein Wechsel zu einem anderen Versicherer ansteht. In diesen Fällen habe der Versicherungsnehmer – so etwa das Oberlandesgericht (OLG) München – typischerweise eine besondere Erwartungshaltung, weil er für seinen Versicherungsschutz einen nahtlosen Übergang möchte und im Zweifel weder eine Deckungslücke noch eine Verschlechterung seines bisherigen Schutzes in Kauf nehmen will. Dadurch steige die Aufklärungsverantwortlichkeit des Versicherungsvermittlers. Für diesen sei es ein Leichtes, etwaige sich durch den Wechsel ergebende Lücken im Versicherungsschutz sowie die zentralen Unterschiede zwischen dem alten und dem neuen Vertrag festzustellen und zu benennen. Daher bestehe insoweit vor jedem Wechsel eine spontane Beratungspflicht.

Vertragliche Beratungspflicht der Versicherungsmakler

Bei Versicherungsmaklern besteht neben der gesetzlichen Beratungspflicht auch eine Beratungspflicht aus Vertrag. Der Umfang der Beratungspflicht ist dabei abhängig vom Beratungsbedarf des Versicherungsnehmers. Jedenfalls sei er – so das OLG Stuttgart – vor allem darüber zu beraten und aufzuklären, welche Risiken abgesichert werden sollten, wie die effektivste Deckung erreicht werden kann und zu welcher Prämienhöhe welche Risikoabdeckung erhältlich ist. Gehe es um die Anbahnung eines neuen Versicherungsvertrages, sei der Makler im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zur Erreichung eines auf die konkreten Bedürfnisse des Versicherungsnehmers maßgeschneiderten Deckungskonzepts verpflichtet, gegebenenfalls ein Risiko von sich aus zu untersuchen. Auch nach Abschluss eines Versicherungsvertrages schulde der Makler noch eine ständige aktive, unaufgeforderte Betreuung. Dazu gehöre auch die Verpflichtung, die vereinbarte Versicherungssumme auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen und ggf. auf eine Anpassung hinzuwirken. Bei Veränderungen, die außerhalb der Sphäre des Versicherungsnehmers liegen, müsse der Makler von sich aus tätig werden. Grundsätzlich müsse der Makler im Rahmen der Vertragsgestaltung die optimale Absicherung des Versicherungsnehmers anstreben.

Haftungsrisiken bei Umdeckungen

In allen Sparten können deshalb bei Umdeckungen Haftungsrisiken für Makler entstehen, wenn im Vorher-nachher-Vergleich der neue Vertrag Deckungslücken oder Verschlechterungen des Versicherungsschutzes aufweist. So muss ein Makler laut Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) seinen Kunden beim Wechsel einer Lebensversicherung insbesondere auf die Folgen und Risiken der vorzeitigen Kündigung einer bestehenden und des Abschlusses einer neuen Lebensversicherung hinweisen. Bei einem Wechsel einer Berufsunfähigkeitsversicherung muss der Makler zum Beispiel dafür Sorge tragen, dass der alte Vertrag erst gekündigt wird, wenn der neue Vertrag ohne Erschwernisse angenommen wird (OLG Saarbrücken). Beim Wechsel einer privaten Krankenversicherung muss der Makler darüber hinaus über den Verlust der Alterungsrückstellungen aufklären (OLG Hamm, OLG München). Beim Wechsel einer Gebäudeversicherung muss der Makler die Angemessenheit der Versicherungssumme überprüfen. Ist er dazu nicht in der Lage, muss er den Kunden darüber aufklären und die Einschaltung eines neutralen Sachverständigen oder die Einschätzung der Versicherungssumme durch den Versicherer selbst vorschlagen (OLG Stuttgart). Bei einem Verkauf von Ansprüchen aus Lebensversicherungen an einen Policenkäufer muss er auf die damit verbundenen Risiken (etwa Insolvenzrisiken) aufklären (OLG Hamm).

Bedeutung der Beratungsdokumentation

Grundsätzlich muss – so der BGH – der den Schadensersatz begehrende Kunde (Versicherungsnehmer) – darlegen und beweisen, dass der Versicherungsvermittler seine Beratungspflicht verletzt hat. Aber eine fehlende Beratungsdokumentation kann Beweiserleichterungen zugunsten des Versicherungsnehmers bis hin zu einer Beweislastumkehr nach sich ziehen. Die Funktion der vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Dokumentationspflicht liege vornehmlich darin, dass der Versicherungsnehmer mit einer Beratungsdokumentation die wesentlichen Inhalte der Beratung vor Augen geführt und an die Hand bekomme. Hierdurch werde er in die Lage versetzt, seine Entscheidung des Näheren zu überprüfen und den ihm sonst kaum möglichen Nachweis über den Inhalt der Beratung zu führen. Werde ihm diese Nachweismöglichkeit durch das Fehlen einer Dokumentation abgeschnitten, so habe dies Auswirkungen auf die Verteilung der Beweislast. Sei ein erforderlicher Hinweis von wesentlicher Bedeutung nicht dokumentiert worden, so müsse grundsätzlich der Versicherungsvermittler beweisen, dass dieser Hinweis erteilt worden sei. Gelinge ihm dieser Beweis nicht, so sei zugunsten des Versicherungsnehmers davon auszugehen, dass der betreffende Hinweis nicht erteilt worden sei, der Versicherungsvermittler mithin pflichtwidrig gehandelt habe.

Schlussfolgerungen für die Beratungs- und Dokumentationspraxis

Aus der Entscheidung des BGH lassen sich wichtige Schlussfolgerungen für die Beratungs- und Dokumentationspraxis ableiten. Nach wie vor werden die meisten Versicherungsvermittler von der Unsicherheit begleitet, wie eine „richtige“ Beratungsdokumentation auszusehen hat. Die gesetzliche Vorgabe ist umständlich formuliert und enthält zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe. Gemäß § 61 VVG muss jede Dokumentation die Elemente Befragung, Beratung, Angabe der Gründe für jeden Rat enthalten. Das Gesetz verhält sich aber nicht darüber, wie und was der Vermittler fragen, beraten und begründen muss. Dies ist von der individuellen Situation abhängig. Insoweit eröffnet sich dem Vermittler ein von fachlichen Kriterien begleiteter Ermessensspielraum, seine Befragung und Beratung der individuellen Situation anzupassen. Insoweit verbieten sich vorgefertigte Beratungsdokumentationen mit Kästchen zum Ankreuzen, die ebenso wenig Rückschlüsse auf die individuelle Beratung zulassen wie schlichte, aber inhaltsleere Dokumentationen. Idealiter gibt die Beratungsdokumentation eine Beratung so wieder, dass sich ein Dritter einen Überblick über den Ablauf der Beratung verschaffen kann.

Eine gute Beratungsdokumentation entlarvt aber auch Beratungsfehler. Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, eine gute Beratungsdokumentation schütze vor Haftung. Vor Haftung schützt nur eine kundengerechte Beratung. Die Beratungsdokumentation sorgt dafür, die kundengerechte Beratung im Streitfall zu belegen. In einem Gerichtsverfahren ist es ex post natürlich „leichter“ zu erkennen, was man in der streitbefangenen Beratung möglicherweise besser gemacht hätte bzw. wie eine „richtige“ Beratung ausgesehen hätte. Es ist also für Versicherungsvermittler wichtig, dies zu antizipieren. Das bedeutet, die wesentlichen Beratungselemente im Vorfeld zu durchdenken und dabei die wichtigsten Punkte zu identifizieren, in der Beratung anzusprechen und zu dokumentieren. Auch und gerade bei Umdeckungen.

Über Hans-Ludger Sandkühler

Hans-Ludger Sandkühler ist Vertriebs- und Versicherungsjurist und verfügt über praktische Erfahrungen aus seinen langjährigen Tätigkeiten als Versicherungsmakler und Rechtsanwalt. Er ist ausgewiesener Experte in Maklerfragen, gefragter Referent und Autor zahlreicher Veröffentlichungen.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 07/2023, S. 76 f., und in unserem ePaper.

Bild: © Daniel Berkmann – stock.adobe.com