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30. September 2021
Don’t stop the music: Ausfallrisiko für Events profitabel versichern

Don’t stop the music: Ausfallrisiko für Events profitabel versichern

Um die aktuellen Herausforderungen in der Eventbranche zu überwinden, sind das Engagement der Branchenvertreter, der Einsatz agiler Technologien und eine zukunftsorientierte Innovationsumgebung nötig. Paul Mang, Chief Innovation Officer bei Guidewire, erläutert, welche Auswirkungen dies für die gesamte Versicherungsbranche haben kann.

Für Festivalgänger, Musik- und Sportfans ist auch 2021 ein miserables Jahr – fast alle Live-Events wurden wegen der Pandemie abgesagt. Auch Herbst und Winter bringen nur einen kleinen Hoffnungsschimmer. Laut dem Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft werden in diesem Jahr in Deutschland rund 100.000 Shows ausfallen müssen. Die Branche steht vor einer neuen Herausforderung: Wie lassen sich die Ausfälle versichern? Und wie können Lösungsansätze für Versicherer in diesem hochkomplexen Risikoumfeld aussehen?

Musikfans waren schockiert, als Festivals wie das Wacken Open Air, Rock am Ring und Rock im Park auch 2021 wieder abgesagt wurden. Beim Glastonbury Festival, dem legendärsten Event in Großbritannien, wurde bei der Absage sogar ganz deutlich, warum: Es war schier unmöglich, die angemessene Versicherungsdeckung für die Veranstaltungsabsage zu einem vertretbaren Preis zu bekommen.

Noch Anfang 2020 galt die Veranstaltungsbranche als die sechstgrößte Wirtschaftsbranche in Deutschland – mit fast 1,5 Millionen Beschäftigten und rund 130 Mrd. Euro Umsatz. In diesem Jahr wird der Umsatz der Eventbranche voraussichtlich um 98% fallen. Im Mai hat der Bund deshalb einen Kulturfonds in Höhe von 2,5 Mrd. Euro beschlossen, der die Eventbranche mit Ticketzuschüssen und einer Ausfallversicherung für Großveranstaltungen unterstützt (hierfür stehen 600 Mio. Euro bereit).

2020 gehörten Veranstaltungsabsagen infolge der Pandemie zu den häufigsten Versicherungsfällen. Bereits im ersten Quartal 2020 hat beispielsweise die Allianz rund 200 Mio. Euro europaweit für Verluste durch Absagen verzeichnet, während die Liberty Mutual sogar die Hälfte ihrer 529 Mio. US-Dollar an Covid-19-bezogenen Verlusten auf Event-Absagen zurückführt. Wären die Olympischen Spiele in Tokio – die nach Jefferies-Analysten auf etwa 2 Mrd. US-Dollar mit zusätzlich 600 Mio. US-Dollar für die Unterbringung der Gäste versichert sind – auch abgesagt worden, wären die Auswirkungen auf die Versicherung erheblich gewesen.

Es überrascht nicht, dass der Markt für Veranstaltungsausfallversicherungen heute deutlich anders aussieht als noch 2019. Es gibt wenig staatliche Unterstützung, deshalb schließen die Versicherungen in der Regel Stornierungen aufgrund von Pandemien aus. Außerdem wird es immer schwieriger, eine umfangreichere Stornoabdeckung zu erhalten. Die rückläufigen Kapazitäten bedeuten, dass die ohnehin schon hohen Preise für viele potenzielle Versicherungsnehmer zunehmend unbezahlbar werden.

Ausfallversicherungen für Veranstaltungen sind nur die Spitze des Eisbergs

Die Zukunft dieses Versicherungsmarktes ist ein großes Fragezeichen. Preis und Relevanz werden zu wichtigen Parametern, und wenn Versicherer die Antwort nicht parat haben, werden andere Kapitalquellen diese Lücke bald füllen.

Dies betrifft aber noch eine wesentlich breitere Thematik: Die aktuelle Situation zeigt, wie wichtig Versicherungen für Gesellschaft und Wirtschaft im Allgemeinen sind. Vieles, was für den durchschnittlichen Verbraucher selbstverständlich ist, beruht auf einem Versicherungsschutz. Wenn dieser wegfällt, sind die Folgen erheblich.

Auch wenn die Eventbranche vielleicht nur einen kleinen Teil des Versicherungsmarktes ausmacht, steht die Versicherungsbranche insgesamt jedoch vor ähnlichen Herausforderungen. Weltweit gibt es immer komplexere Risiken, von denen viele nicht in die traditionellen Geschäftsmodelle der Versicherer passen – beispielsweise Cyber- oder Reputationsrisiken. Wenn die Versicherungsbranche keine Lösungen findet, wird ihre Relevanz in der modernen Wirtschaft infrage gestellt werden.

Die aktuelle Herausforderung im Veranstaltungsbereich ist deshalb nur die Spitze des Eisbergs – darunter liegt ein viel größeres Problem. Die Branche muss proaktiv an einer Lösung mitwirken, denn es gibt kein Patentrezept. Gefordert sind Kreativität, der Zusammenschluss mit verschiedenen Interessenvertretern und der Einsatz neuer Technologien, um Kapital künftig sinnvoll in diesem Bereich einsetzen zu können.

Mit am Tisch sitzen

Doch wie sieht so ein proaktives Handeln aus? Zunächst ist die Zusammenarbeit mit Regierungen und lokalen Behörden entscheidend. Die Deckung pandemiebedingter Schäden bei Großereignissen wird voraussichtlich eine öffentlich-private Lösung erfordern. Auch Angel Gurría, Generalsekretär der Organisation for Economic Co-Operation and Development (OECD) rief die Versicherungsbranche deshalb kürzlich zu proaktiverem Handeln auf. „Wir benötigen dringend die Unterstützung der Versicherungsbranche, um Tools zu entwickeln und Expertise aufzubauen. Das wird uns dabei unterstützen, künftige pandemiebedingte Risiken besser zu steuern und gleichzeitig die Anforderungen an finanzielle Unterstützung durch den Staat zu minimieren“, sagt Gurría.

Eine Lösung zu finden, wird kompliziert und langwierig, aber die Branche muss sicherstellen, mit am Tisch zu sitzen, damit das „private“ Element der Partnerschaft funktioniert und die Versicherungsbilanzen effektiv genutzt werden können.

Zusätzlich sind Investitionen in agile Technologien erforderlich. Damit kann die Versicherungsbranche erschwingliche und relevante Lösungen anbieten. In einer Welt nach der Pandemie werden Versicherer die Versicherten noch genauer unter die Lupe nehmen und sich stärker auf das Gesamtrisiko konzentrieren müssen, das bis vor Kurzem im Veranstaltungsbereich kaum Beachtung fand.

Dank bemerkenswerter Fortschritte bei Cloud-Technologien und Modellierungsansätzen, die relevante Daten effizient erfassen, ist dies nun in großem Umfang möglich. Mit dieser Kombination wird „kontinuierliches Underwriting“ in der Versicherungsbranche möglich: Innerhalb weniger Minuten kann eine Fülle detaillierter Daten auf Abruf bereitgestellt werden. Zudem können Underwriter Risiken über den gesamten Lebenszyklus einer Police verfolgen.

In Kooperation mit EventAssec bietet Hiscox seit letztem Jahr eine Spezialversicherung für Risiken von digitalen Veranstaltungen in Deutschland an. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein hochanalytischer Ansatz Innovationen in einem schwierigen Markt freisetzen kann. Es dient auch als Warnung für Mainstream-Versicherer, wie schnell agilere Akteure Marktlücken füllen können.

Vernetzte Versicherungen

Obwohl es notwendig ist, mehr Daten und neue Analysen zur Lösung komplexer Risikoprobleme einzusetzen, reicht das nicht aus. Die Versicherungsbranche muss auch dafür sorgen, diese Daten effizient im gesamten Versicherungsnetzwerk zu nutzen – nur so können neue Angebote mit Mehrwert entstehen.

Diese „vernetzten Versicherungen“ benötigen optimierte Datenstandards, einen verstärkten Datenaustausch und bessere Systeme für den Datenfluss zwischen Unternehmen. Versicherer und Makler investieren heute in die Nachverfolgung und Pflege eigener Daten sowie den Zugriff auf externe Daten, anstatt eine stärker vernetzte Plattform zu entwickeln, um kreative Lösungen für schwierige Herausforderungen zu schaffen.

Es existieren bereits Lösungen, die Versicherer dabei unterstützen, die Leistung in einem bestimmten Markt zu bewerten und mit diesen Datenstandards und dem Datenaustauch ihre Ergebnisse zu verbessern. Gefragt ist jedoch eine breitere gemeinschaftliche Lösung, um Nettogewinne auf dem gesamten Markt zu erzielen.

Wie die Bilanz für Event-Veranstalter und Versicherer am Jahresende aussehen wird, ist noch ungewiss. Klar ist, dass die Versicherungsbranche diverse Möglichkeiten hat, zu reagieren und den Markt zu verändern.

Da die Welt immer komplexere Risiken hervorbringt, ist es essenziell, dass die Versicherungsbranche einen Weg findet, positiv darauf zu reagieren. Die heutige Herausforderung im Bereich der Veranstaltungsabsagen ist nur ein Beispiel für mögliche Entwicklungen, aber es werden noch zahlreiche weitere Herausforderungen entstehen.

Bild: © bluedesign – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Paul Mang