Ein damals 85-jähriger Mann erlitt 2004 einen schweren Schlaganfall. Neben einer Halbseitenlähmung hatte er erhebliche psychische Ausfallerscheinungen. Er war nicht orientiert, wusste nicht, dass er sich im Krankenhaus befand und musste zeitweise fixiert werden. Da er deshalb nicht in der Lage war, seine Angelegenheiten selbst zu regeln, richtete das Amtsgericht Hannover Anfang 2005 eine rechtliche Betreuung ein. Eine Berufsbetreuerin wurde bestellt, die sich um die Angelegenheiten des Mannes kümmern sollte, der keine Angehörigen hatte.
Testament im Beisein der Betreuerin aufgenommen
Die Berufsbetreuerin sollte unter anderem die Gesundheits- und Vermögensangelegenheiten des Mannes in seinem Interesse regeln. Im April 2005 zog der Mann aus dem Krankenhaus in eine Pflegeeinrichtung. Im Mai 2005 setzte er die Betreuerin sowie eine weitere Person, die ihm von der Betreuerin für verschiedene Dienstleistungen wie Einkäufe und Spaziergänge vermittelt worden war, zu seinen Erben sein. Dieses Testament wurde im Beisein der Betreuerin von einer Notarin aufgenommen.
Betreuerin verheimlicht Erbeinsetzung
Das Vermögen des Mannes belief sich auf rund 350.000 Euro. Die Betreuerin teilte dem Amtsgericht diese Erbeinsetzung nicht mit. Im Dezember 2005 verlängerte das Amtsgericht auf der Grundlage eines fachärztlichen Gutachtens und nach eigener Anhörung des Mannes die Betreuung. Im April 2012 starb der Mann schließlich. Die Betreuerin und die zweite Erbin teilten das Erbe des Mannes unter sich auf.
Nachlasspfleger verlangt Herausgabe
Anfang 2014 bestellte das Amtsgericht Hannover dann einen Nachlasspfleger, der den Nachlass zugunsten der unbekannten Erben des Mannes sichern sollte. Dieser verlangte von der Betreuerin und der weiteren Person die Herausgabe des Erbes. Das Landgericht Hannover gab der Klage statt und wies die Widerklage der Beklagten ab, die die Feststellung begehrten, dass sie selbst Erben geworden seien. Dagegen legten die ehemalige Betreuerin und die andere Beklagte Berufung ein.
OLG sieht Erblasser als nicht testierfähig an
Das Oberlandesgericht (OLG) Celle wies die Berufung jedoch zurück. Zum einen zeigte sich das Gericht davon überzeugt, dass der Erblasser im Mai 2005 nicht testierfähig war. Grundsätzlich könne zwar jeder Mensch ab Vollendung des 16. Lebensjahrs wirksam ein Testament errichten. Diese Fähigkeit fehlt aber ausnahmsweise, wenn eine Person krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, sich ein klares Urteil darüber zu bilden, welche Tragweite und Auswirkungen ihre testamentarischen Anordnungen haben, oder wenn sie nicht frei von Einflüssen Dritter nach diesem Urteil handeln kann. Eine solche Ausnahmesituation habe im Fall des Mannes vorgelegen.
Testament kam sittenwidrig zustande
Zum anderen sei das Testament sittenwidrig und damit nach § 138 BGB nichtig gewesen. Zwar fehle für Betreuer eine entsprechende Regelung, die es verbietet neben der vereinbarten Vergütung Geschenke entgegenzunehmen. Das OLG folgerte die Sittenwidrigkeit der Erbeinsetzung aber daraus, dass die Betreuerin die von Einsamkeit und Hilflosigkeit geprägte Situation des Erblassers zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt habe. Trotz der erheblichen Erkrankung hatte die Betreuerin keinen ärztlichen Rat eingeholt, ob er überhaupt testierfähig war. Sie selbst hatte die Notarin mit der Aufnahme des Testaments beauftragt und war – ohne zwingenden Grund – bei der gesamten Testamentsaufnahme anwesend. Dabei sei ihr bewusst gewesen, dass der Erblasser dieses notarielle Testament später aufgrund seiner körperlichen Einschränkungen nicht mehr durch ein eigenes handschriftliches Testament habe ersetzen können. Gegenüber dem Amtsgericht habe sie die Erbeinsetzung verschwiegen, so dass das Gericht mögliche Interessenkonflikte nicht habe prüfen können. (tku)
OLG Celle, Urteil vom 07.01.2021 – 6 U 22/20
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