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19. Juli 2021
Erklärungsfiktion: Schweigen ist keine Zustimmung!

Erklärungsfiktion: Schweigen ist keine Zustimmung!

Mit seinem Ende April gesprochenen Urteil hat der BGH die sogenannte Erklärungsfiktion für unzulässig erklärt. Die Möglichkeit, Anpassungen am Maklervertrag vorzunehmen und Stillschweigen des Kunden als Zustimmung zu interpretieren, mag attraktiv erscheinen, aber Rechtsanwalt Stephan Michaelis rät dringend davon ab.

Die Möglichkeit der Vereinbarung einer Klausel zur sogenannten Erklärungsfiktion war vor allem im Bankenwesen üblich. So konnten die allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) einseitig durch die Bank verändert werden, sofern der Kunde nicht explizit widersprach. Jahrzehntelang wurde dieses Vorgehen rechtlich nicht beanstandet. Die Erklärungsfiktion lässt das Recht zur Kündigung und zum Widerspruch gegen die vertragliche Änderung unberührt, weiterhin gelten nach Verstreichen der vorgenannten Rechte durch Verfristung – also letztlich durch Schweigen – die Veränderungen der AGB als akzeptiert. Dies ist in den meisten Situationen der Fall, weshalb in der Regel von einem Schweigen auszugehen ist.

Sind auch Maklerverträge betroffen?

Für den Versicherungsmakler bedeutete dies, dass auch der Maklervertrag und seine Grundlagen in der Theorie relativ unkompliziert gegenüber dem Kunden anzupassen waren. In der Praxis haben Versicherungsmakler jedoch von der Erklärungsfiktion und den damit möglich werdenden Vertragsänderungen nach aktuellem Kenntnisstand keinen Gebrauch gemacht.

Weitreichende Vertrags­änderungen möglich

Dürfen Änderungen eines Vertrages jedoch überhaupt durch das Schweigen des Kunden wirksam werden? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese Frage mit Urteil vom 27.04.2021 (Az.: XI ZR 26/20) verneint. Diese Entscheidung bedeutete das Ende der lange rechtlich nicht beanstandeten Klausel der Erklärungsfiktion. Nach der Meinung des Bundesgerichtshofs unterliegen derartige Klauseln vollumfänglich der AGB-Kontrolle; dies gilt auch für alle Änderungen ebenjener Geschäftsbedingungen, die alle Tätigkeiten umfassen sollen. Die AGB-Regelung betrifft demnach nicht nur die Anpassung von einzelnen Details der vertraglichen Beziehung mithilfe der fingierten Zustimmung, sondern ohne inhaltliche oder gegenständliche Beschränkung jede vertragliche Änderungsvereinbarung.

Unangemessene Benachteiligung des Kunden

Eine solche Regelung weicht damit vom wesentlichen Grund­gedanken der §§ 145, 305 Abs. 2, 311 Abs. 1 BGB und der darauffolgenden Paragrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ab, indem sie das Schweigen des Kunden als Annahme eines Vertragsänderungsantrages akzeptiert. Diese Abweichung benachteiligt die Kunden unangemessen nach §§ 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB.

Die allgemeine Änderungsklausel bietet dem Verfasser der Geschäftsbedingungen bei Annahme einer Zustimmungsfiktion die Möglichkeit, im Falle einer fehlenden fristgerechten Ablehnung das Vertragsgefüge insgesamt umzugestalten. Für weitreichende, die Grundlagen der rechtlichen Beziehung der Parteien betreffende Änderungen, die dem Abschluss eines neuen Vertrages gleichkommen könnten, ist laut der BGH-Pressemitteilung zu dem Urteil vielmehr ein Änderungsvertrag nötig.

Grundsatz deutscher Rechtsprechung bleibt gewahrt

Die Bundesrichter bestätigten hiermit, dass nach wie vor einer der obersten Grundsätze in unserer Rechtsprechung Bestand hat: „Schweigen ist keine Zustimmung.“ Der BGH untersagt mit dieser strengen Rechtsprechung die vorherige Abweichung von diesem Grundsatz, denn ohne die vertraglich zugrunde liegende Klausel der Erklärungs­fiktion wäre eine einseitige Vertragsänderung durch Schweigen des Kunden ohnehin nicht möglich.

Der BGH erachtet derartige Klauseln nunmehr als unangemessene Benachteiligung und als Abweichung von wesentlichen Grundgedanken zum Vertragsschluss. Das bedeutet, dass weder Banken noch Versicherungsmakler oder andere Personen mit einer weit gefassten Klausel zur Erklärungsfiktion einseitig die Vertragsbedingungen ändern können.

Erklärungsfiktion innerhalb definierter Grenzen möglich

Der BGH hält es jedoch für vorstellbar, dass über eine genau definierte Erklärungsfiktion die vertraglichen Regelungen der Parteien mittels einer fingierten Zustimmung des Kunden geändert werden können. In einem solchen Fall bedarf es jedoch zuvor einer definierten gegenständlichen Beschränkung, welche einzelnen Details angepasst werden können.

Unter Berücksichtigung dieses somit sehr stark eingeschränkten Anwendungsbereiches der Erklärungsfiktion dürfte die Klausel für den Versicherungsmakler uninteressant geworden sein. Denn für ihn ist derzeit nicht vorhersehbar, welche „Details“ eines Maklervertrages möglicherweise einer (gesetzeskonformen) Anpassung bedürfen.

Wirksame Änderung des Maklervertrags

Wie kommt nun eine wirksame Änderung des (Versicherungs-)Maklervertrages zustande? Es gab in der Praxis bis dato keinen wirklichen Änderungsbedarf in Versicherungsmaklerverträgen und in der Regel wurde eher ein neuer Vertrag aufgesetzt, der den alten ersetzen sollte. Künftig wird dieses Vorgehen wohl die einzige Möglichkeit zur Vertragsänderung darstellen. Eine automatisierte Änderung der AGB des Versicherungsmaklervertrages auf den gesamten Versicherungsbestand eines Maklers ist nach dem vorliegenden Urteil des Bundesgerichtshofs nicht mehr möglich.

Fazit

In Analyse dieser aktuellen Rechtsprechung können wir Versicherungsmaklern nur dringend anempfehlen, auf die Möglichkeit einer einseitigen Vertragsänderung durch Schweigen des Kunden zu verzichten.

Bislang hatte diese vertragliche Gestaltungsregelung keine wirkliche Relevanz für die Versicherungs­makler. Sie haben von der Erklärungsfiktion schlichtweg bislang keinen Gebrauch gemacht. Auch zukünftig wird der Versicherungsmakler dementsprechend für Ver­trags­­änderungen einen neuen Versicherungsmaklervertrag beim Kunden einholen müssen, da es vorliegend eines Neuabschlusses durch übereinstimmende Willenserklärungen aller Vertragsparteien bedarf. Der Versicherungsmakler benötigt also nun immer die aktive Zustimmung des Kunden bei Vertrags­änderungen.

Über den Autor

Stephan Michaelis LL.M. ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und Gründer der Kanzlei Michaelis.

Zum Hintergrund: Gebührenrückforderung

Das BGH-Urteil zur Erklärungsfiktion ist der Abschluss eines Rechtsstreits zwischen Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und Postbank. Die Entscheidung hat zur Folge, dass alle durch Zustimmungsfiktion zustande gekommenen Gebührenerhebungen und -erhöhungen nichtig sind. Unrechtmäßig verlangte Erhöhungen seit 2018 können auch noch zurückgefordert werden. Sie sind bisher nicht verjährt. Die Stiftung Warentest geht davon aus, dass betroffene Kunden im Schnitt einen dreistelligen Betrag zurückfordern können. Auf die betroffenen Banken und FinTechs dürften derweil Kosten und Ertrags­ein­bußen in Milliardenhöhe zukommen. Allein die Deutsche Bank spricht von Belastungen in Höhe von 300 Mio. Euro.

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 07/2021, Seite 96, und in unserem ePaper.

Bild: © andranik123 – stock.adobe.com; Porträt: © Kanzlei Michaelis

 
Ein Artikel von
Stephan Michaelis, LL.M.