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15. September 2025
FiDA im Vertrieb: Zwischen Bedenken und Mehrwert
FiDA im Vertrieb: Zwischen Bedenken und Mehrwert

FiDA im Vertrieb: Zwischen Bedenken und Mehrwert

Eine aktuelle Studie von Accenture und der DHBW Mannheim beleuchtet, wie die neue EU-Verordnung FiDA den Vertrieb für Vermittler, Versicherer und Kunden verändert. Dazu wurden Exklusivvertreter befragt. Welche Chancen und Herausforderungen kristallisieren sich auch für die gesamte Branche heraus?

Interview mit Prof. Dr. Sascha Kwasniok, Leiter Studiengang BWL-Risk and Insurance Management, Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Mannheim, und Johannes Neumeyer, Leiter Insurance Strategy DACH bei Accenture Strategy & Consulting
Sie haben eine Studie zur neuen EU-Regulierung „Financial Data Access“ (FiDA) durchgeführt. FiDA könnte demnach den Versicherungsvertrieb – besonders im Exklusivvertrieb – stark verändern. Können Sie kurz erläutern, in welchen Bereichen es eingesetzt werden soll und wer davon „betroffen“ wäre?

Prof. Dr. Sascha Kwasniok (SK) FiDA verpflichtet Finanzinstitute dazu, Kundendaten mit anderen Finanzinstituten oder Finanzinformationsdienstleistern zu teilen, wenn der Kunde eine entsprechende Berechtigung erteilt hat. Dies muss digital und in Echtzeit erfolgen. Betroffen sind also Banken, Versicherer, Wertpapierfirmen, aber auch spezialisierte FinTechs, die im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit Finanzdaten ihrer Kunden erheben, bereitstellen oder verwalten. Konkret sieht die Regelung vor, dass Dateninhaber lizenzierten Unternehmen – den Datennutzern – über digitale Schnittstellen Zugriff auf Finanzdaten ermöglichen müssen, wenn der Kunde dies erlaubt.

Wen haben Sie für die Studie befragt und was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse aus der Befragung?

 Johannes Neumeyer (JN) Zwischen November 2024 und Januar 2025 haben wir mehr als 500 Exklusivvertreter in Deutschland befragt. Die drei wichtigsten Erkenntnisse sind:

  • Es gibt ein heterogenes Bild zu Open Finance mit Aufklärungsbedarf. Neben viel Skepsis werden die grundsätzlichen Vorteile eines besseren Datenzugangs verstanden.
  • Persönlicher und vertrauensvoller Kundenkontakt ist ein Erfolgsfaktor, um FiDA-Einwilligungserklärungen zu erhalten.
  • Fast die Hälfte der Vertreter erwartet, dass „ihr Versicherer“ eine aktiv mitgestaltende Rolle im FiDA-Umfeld einnimmt.
Ziele von FiDA sind u. a., die Entwicklung von Open-Finance-Modellen sowie die digitale Transformation im Finanzsektor voranzubringen. Glauben Sie, dass dies im „Bürokratieland“ Deutschland gelingen kann? Wann und mit wie viel Aufwand?

SK Der europäische Gesetzgeber überlässt die Organisation des Finanzdatenaustauschs zunächst dem Markt, also den Finanzinstituten selbst. Diese sollen sich gemeinsam mit weiteren Stakeholdern zusammenschließen, um über die Standards, Formate und Rahmenbedingungen des Finanzdatenaustauschs zu beraten. Hier kann zum Teil auf bestehende Strukturen zurückgegriffen werden, beispielsweise auf die PSD2-SetUps aus dem Banking-Umfeld oder die Daten- und API-Infrastruktur aus dem BiPRO-Kontext.

JN Allerdings müssen die betroffenen Akteure dafür „an einem Strang ziehen“. Hier sehen wir die größte Herausforderung, da die individuellen Ausgangssituationen und die Summe der Partikularinteressen ein gleichgerichtetes Vorgehen erschweren. Auch der Umsetzungsaufwand variiert von Haus zu Haus, je nachdem, auf welchem Stand sich die IT befindet. Insbesondere für kleinere und mittlere Versicherer wird der Umsetzungsaufwand zur großen Herausforderung.

Welche Bedeutung hat die Regulierung Ihren Erkenntnissen nach denn für die Versicherungswirtschaft? Und im Speziellen: Wie sehr können auch kleinere Maklerhäuser dabei sein?

JN FiDA hat das Potenzial, den nationalen und perspektivisch den europäischen Markt stark zu verändern. Ziel ist es, sinnvolle Use Cases wie 360-Grad-Finanz- und Risikoanalysen, erleichterte TAA-Prozesse oder Churn-Management ohne Papier und Aufwand für Vermittler zu realisieren. FiDA erleichtert so die Vertriebsarbeit. Exklusivvertriebe profitieren von der Anbindung „ihrer Versicherer”, während kleinere Maklerhäuser auf Pools oder verbesserte Verwaltungsprogramme angewiesen sein werden. Eine Stand-Alone-Anbindung für durchschnittliche Vermittlerunternehmen erscheint unwahrscheinlich.

SK Hinsichtlich der Anbindung der Vermittler bestehen noch Interpretationsspielräume bezüglich der praktischen Beteiligung durchschnittlich großer Versicherungsvermittlerbetriebe. Wir empfehlen aber schon heute, die Anbindung von Maklern dezidiert zu prüfen. Die Maklerversicherer sollten sich hier Gedanken machen, um ein sinnvolles Angebot bereitzustellen und nicht den Pools oder anderen Akteuren das FiDA-Monopol zu überlassen.

Ihre Fragen gingen an den Exklusivvertrieb. Können die Studienergebnisse denn auch auf unabhängige Makler übertragen werden?

SK Der Exklusivvertrieb kann in besonderem Maße profitieren, da FiDA ihm Zugang zu Daten ermöglicht, auf die Makler aufgrund ihres Mandats bereits heute zugreifen können. FiDA geht aber noch weiter: Es geht ja nicht nur um Versicherungs-, sondern auch um Finanzdaten wie Kredite, Wertpapiere oder Finanzanlagen. Diese Daten erweitern auch für unabhängige Makler die Kundensicht und erleichtern eine gesamthafte Beratung. Die Bereitstellung der Daten in Echtzeit bietet sowohl dem Exklusivvertrieb als auch den Maklern eine höhere Datenqualität und ein besseres Erkennen von Beratungsanlässen.

JN Die Transparenz wird dem Makler-Geschäftsmodell natürlich zusätzlich helfen. Wie beim AO-Vertrieb wird die Frage der Kundenzustimmung sehr relevant sein. Unter Berücksichtigung unserer Studienergebnisse gehen wir davon aus, dass ein persönlicher, vertrauensvoller Vertriebskontakt die Erfolgschancen erhöht, diese Zustimmung zu erhalten. Dies gilt auch für unabhängige Makler. Entscheidend werden dabei das Vertrauensverhältnis, die Überzeugungskraft und die Erklärungen sein – sowohl beim Exklusivvertrieb als auch bei Maklern.

Um mal die Größenordnung einschätzen zu können: Geht es bei FiDA nur um Privatpersonen oder auch um Unternehmen?

SK Der geplante Datenaustausch umfasst sowohl Privat- als auch Geschäftskunden. Entsprechend weitreichend können die Auswirkungen von FiDA sein. Die Details hierzu, ob z. B. KMUs „kundenseitig“ im Scope liegen oder welche KMU-Definition genutzt wird, sind aktuell Teil der Trilog-Verhandlungen.

Und wie schätzen die befragten Vermittler FiDA ein?

SK Wir sehen ein insgesamt heterogenes Meinungsbild. Die ablehnenden Stimmen lassen sich zu zwei wesentlichen Bedenken zusammenfassen: den bürokratischen Aufwand bei der Umsetzung und der erleichterte Zugang für „schwarze Schafe“. Auf der anderen Seite haben wir auch Stimmen gesammelt, die in einem digitalen Zugang zu allen Finanzdaten des Kunden einen Mehrwert für eine allumfassende und bedarfsgerechte Beratung sehen. Insgesamt bewerten jüngere Vertreter die Potenziale offener Finanzdaten tendenziell höher, während sich ältere Generationen zurückhaltender äußern.

JN Die Exklusivvermittler bewerten den Datenschutz als sehr hohes Gut. Die Sorge vor Missbrauch und den damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die eigene Arbeit wurde uns in den qualitativen Antworten der Studie sehr häufig zurückgemeldet. Gleichzeitig konnten wir feststellen, dass umso mehr positive Effekte bestätigt wurden, je konkreter wir fragten, wie etwa die Verbesserung der Beratungsqualität mit mehr Abschlüssen und dem daraus folgenden positiven Effekt auf die Provisionserträge.

Was könnte sich denn speziell in der Beratung verändern?

SK Als positiver Aspekt ist ganz klar die Transparenz des Kunden über seine Finanz-, Anlage- und Versicherungsprodukte zu nennen. Diese gesamthafte Sicht auf die Absicherungssituation des Kunden macht es für den Vertrieb leichter, den Kunden ganzheitlich und wirklich bedarfsgerecht zu beraten. Gerade im Bereich der Altersvorsorge ist es wertvoll, wenn Kunde und Vermittler gemeinsam auf Versicherungs-, Bank- und Wertpapierprodukte blicken können. Zudem ermöglicht die Echtzeitkomponente jederzeit eine datenbasierte und digitale Beratung, sodass Kunden schneller und öfter Beratungsimpulse erhalten können. Durch den Einsatz von GenAI sind spannende Ansätze möglich, um auch mit wenig Personal gute Beratung zu bieten.

Aber könnten Maklern, z. B. beim Teilen von Kundendaten, nicht auch Nachteile entstehen? Was sagen Sie Skeptikern?

SK Wie bereits angesprochen, wird der einfache Zugang zu Kundendaten durch Dritte skeptisch gesehen. Letztlich könnten auch Online-Vergleicher oder Berater der Hausbank sehen, welche Versicherungsverträge der Kunde hat, wenn er dem Datenabruf zustimmt. Das könnte das Umdecken erleichtern, was nicht immer im Sinne der Kunden sein könnte. Hierbei könnten auch die schlechten Erfahrungen der ersten Digitalmakler Mitte der 2010er-Jahre eine Rolle spielen. Damals haben Kunden durch die Nutzung ihrer Apps häufig unbedacht ihr Maklermandat übertragen.

JN Die Qualität der Beratung und Betreuung bleibt der entscheidende Erfolgsfaktor im Vertrieb. Vermittler müssen sich trotz hoher Datenverfügbarkeit klar gegenüber Kunden differenzieren. Wer Beratungskompetenz mit datenbasierten Erkenntnissen kombiniert ist im Vorteil – insbesondere Maklerpools. Daten- und Analytics-Fähigkeiten werden somit stärker über die Attraktivität eines Maklerpools entscheiden.

Welche (Praxis-)Probleme könnten auftreten, wenn die Regelung in Kraft ist? Wer holt die Zustimmung ein? Und was passiert, wenn Kunden ihre Daten nicht freigeben möchten?

SK Der Erfolg von FiDA steht und fällt mit der Bereitschaft der Kunden, ihre Daten zu teilen. Nur so kommt der Vertrieb erst in den Genuss einer gesamthaften Sicht auf Versicherungs- und Finanzdaten seiner Kunden. Unsere Studienergebnisse zeigen ein gewisses Selbstbewusstsein hinsichtlich der Ausschließlichkeit: 55% der Befragten glauben, dass die Kunden einer Datenöffnung zustimmen, wenn sie persönlich mit ihnen in Kontakt treten. Bei einer Anfrage durch den Versicherer wird dagegen nur mit einer Zustimmungsquote von 30% gerechnet. Der Vertrieb sitzt bei der Consent-Einholung also am Steuer. 77% der befragten Exklusivvertreter sind zwar bereit, die Kundeneinwilligung einzuholen, erwarten dafür aber eine Gegenleistung – sei es in Form finanzieller Vergütungen oder durch eigenen Zugriff auf die Kundendaten.

JN Ob FiDA ein Erfolg wird, hängt maßgeblich von der operativen Umsetzung ab. Nur wenn diese für Kunden einfach und intuitiv ist, wird es funktionieren. Die Liste der Herausforderungen ist lang: von der sicheren und einfachen Identifikation, über die Freigabe des richtigen Datenumfangs bis hin zum Widerruf und dem Zusammenspiel der unterschiedlichen Schemes, z. B. von Versicherungen und Banken. Nichtstun ist jedoch keine Option, da digitale Anbieter die Lücke ausfüllen und die Kundenschnittstelle besetzen werden.

Was sollten die Player der Versicherungsbranche in Sachen FiDA nun nicht tun, wenn sie sich auf FIDA vorbereiten? Welche Vorgehensweisen empfehlen Sie nicht?

SK Angesichts der Potenziale, die in FiDA stecken, raten wir davon ab, die Umsetzung als reine regulatorische Bürde zu betrachten. Gerade aufgrund der vertrieblichen Möglichkeiten sollte der Vertrieb bei der inhaltlichen Ausgestaltung den Hut aufhaben und die Umsetzung nicht IT- oder Compliance-Einheiten überlassen.

Und was ist nun zu tun? Wie kann ein Maklerhaus bzw. dessen Vertrieb nun von FiDA profitieren?

JN Wir sehen zwei Aspekte. Einerseits müssen Potenziale klar vermittelt werden, um Vorbehalte im Vertrieb abzubauen. Dafür können greifbare Use Cases herausgearbeitet und Makler und Vertreter, die einem offenen Datenaustausch bereits aufgeschlossen gegenüberstehen, als „FiDA-Botschafter“ eingesetzt werden. Andererseits braucht es ein gemeinsames Zielbild aus Governance, Compliance und IT, da viele Anforderungen wie Consent-Management außerhalb der Vertriebsfunktion liegen. Ein gemeinsames Verständnis kann die erfolgreiche Umsetzung unterstützen.

Fassen Sie bitte Ihre wichtigsten Handlungsempfehlungen noch einmal stichpunktartig zusammen.

SK FiDA sollte nicht als regulatorischer Zwang, sondern als Chance verstanden werden. Versicherungsunternehmen sollten sich jetzt klar positionieren, ob sie lediglich die Vorgaben erfüllen oder sich als FiDA-Leader strategisch an die Spitze stellen wollen. Basierend auf dieser Positionierung sollte ein übergreifendes Zielbild zwischen Vertrieb, IT und Compliance entwickelt werden. Wir sehen den Vertrieb im Lead – ohne Blick auf vertrieblichen Mehrwert wird FiDA zu einem reinen Kostentreiber. Anhand von greifbaren, vertriebsnahen Use Cases sollten Mehrwerte schnell transparent gemacht werden und mögliche Vorbehalte bei Fachabteilungen, Vertriebspartnern und Kunden abgebaut werden.

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