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23. März 2022
Gebäude: Anzeigeobliegenheit bei Verdacht auf Eigenbrandstiftung?

Gebäude: Anzeigeobliegenheit bei Verdacht auf Eigenbrandstiftung?

Verletzt ein Versicherungsnehmer seine Anzeigeobliegenheit, wenn er Ermittlungen gegen ihn im geltend gemachten Versicherungsfall verschweigt? Exklusiv für AssCompact erläutert Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke diese Rechtsfrage anhand eines aktuellen Urteils.

Die klagende Versicherungsnehmerin unterhält beim beklagten Versicherer eine Wohngebäudeversicherung. Sowohl das Holz-Wochenendhaus als auch das Gartenhaus sind versichert. Aus dieser Versicherung begehrt die Klägerin die Zahlung wegen eines Brandes, bei dem das Holz-Wochenendhaus zusammen mit dem Gartenhaus vollständig abbrannte. Das Gebäude ist zum gleitenden Neuwert versichert. Der Brand ereignete sich am 29.12.2015. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin nicht mehr Pächterin des Grundstücks.

Verdacht auf Eigenbrandstiftung?

Die Polizei nahm am Abend des Brandes Ermittlungen gegen Unbekannt wegen Brandstiftung auf und vernahm die Klägerin zunächst als Zeugin. Am 30.12.2015 eröffnete die Polizei der Klägerin, dass sie als Beschuldigte geführt werde. Am 06.01.2016 fand ein Ortstermin mit der Klägerin und einem Vertreter des beklagten Versicherers statt. Die Klägerin gab im Schadenformular als Schadenursache „Ursache der Versicherungsnehmerin nicht bekannt” an. Weitere Angaben zum Stand des Ermittlungsverfahrens oder der Stellung der Klägerin in dem Verfahren wurden nicht gemacht. Das Ermittlungsverfahren wurde im März 2016 entsprechend eingestellt. Daraufhin schloss die Klägerin einen Vertrag mit einem Holzhaus-Hersteller über den Wiederaufbau eines Wochenendhauses. Die Parteien haben vereinbart, dass dieser Wiederherstellungsvertrag nicht wirksam sei, wenn der beklagte Versicherer nicht auch die Neuwertspitze reguliert. Die Klägerin begehrte nunmehr vorgerichtlich eine Zahlung der Beklagten zum Neuwert. Der beklagte Versicherer lehnte eine Leistungspflicht jedoch ab.

Die Entscheidung des LG Stade

Die Klage der Versicherungsnehmerin hat nur teilweise Erfolg (Urteil vom 08.06.2021 –  3 O 260/18). Die Klägerin hat laut Urteil lediglich einen Anspruch auf Zahlung des Zeitwerts. Ein Anspruch auf die Neuwertspitze besteht dagegen nicht, da eine Wiederherstellung des Gebäudes nicht sichergestellt worden sei. Dazu führte das Landgericht Stade (LG) zunächst aus, dass die Klägerin keinen Anspruch auf den vollen Zeitwert habe. Der beklagte Versicherer könne sich insoweit auf eine Obliegenheitsverletzung nach §§ 26 Nr. 2 hh, 34 Nr. 2 VGB sowie entsprechend Treu und Glauben berufen. Danach könne der Versicherer verlangen, dass der Versicherungsnehmer jede Auskunft erteilt, die zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Leistungsumfangs erforderlich ist (§ 31 Abs. 1 S. 1 VVG). Ferner beziehe sich eine auf Treu und Glauben beruhende Offenbarungspflicht ohne Auskunftsverlangen auf die Mitteilung außergewöhnlicher und besonders wesentlicher Informationen, die das Aufklärungsinteresse so grundlegend berühren, dass sich dem Versicherungsnehmer ihre Mitteilungsbedürftigkeit aufdrängen muss.

Spontane Offenbarungspflicht?

Das Verschweigen des Beschuldigtenstatus stelle einen solchen Umstand dar, so das LG Stade. Es handele sich um einen evidenten Umstand, den der Versicherungsnehmer spontan, also auch ungefragt, zu offenbaren habe. Denn es liege für den Versicherungsnehmer auf der Hand, dass der Versicherer ein erhebliches Interesse an der Mitteilung dieses Umstandes hat. Außerdem habe der Versicherer im Formular auch nach der Brandursache gefragt. Es sei schwer möglich, von dem Formularaufbau auf eine Kenntnis der Beklagten im konkreten Fall zu schließen. Indes sei die Annahme, eine Obliegenheitsverletzung könnte in dem Verschweigen der wirtschaftlichen Situation gesehen werden, nicht geeignet, die Entschädigungspflicht der Beklagten in Gänze infrage zu stellen. Nach dem Dafürhalten des Gerichts könne davon ausgegangen werden, dass ein arglistiges Handeln vorliege. Arglistig handele der Versicherungsnehmer schon dann, wenn er sich bewusst sei, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Regulierung möglicherweise beeinflussen kann. Von Täuschungsabsicht könne ausgegangen werden, wenn ein anderes Motiv nicht ansatzweise auszumachen sei. Das sei hier der Fall. Das LG war also davon überzeugt, dass durch das Verschweigen des Beschuldigtenstatus die Klägerin zumindest versucht habe, die Regulierung nicht über Gebühr zu verzögern.

Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung?

Weiter führte das LG aus, dass dieser Obliegenheitsverletzung grundsätzlich die vollständige Leistungsfreiheit des Versicherers folge. In diesem Fall sei dies jedoch unbillig. Daher sei die Leistungsfreiheit insoweit nur hälftig einzuschränken, meint das LG. Denn das Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin sei eingestellt worden. Auch habe sich der Versicherer nicht (mehr) auf Eigenbrandstiftung berufen. Letztlich habe das arglistige Verschweigen nur auf die Beschleunigung der Durchsetzung eines berechtigten Anspruchs gezielt. Schließlich sei angesichts des Verbraucherinsolvenzverfahrens der Klägerin bei Versagung des gesamten Versicherungsschutzes eine Existenzbedrohung anzunehmen.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des LG Stade ist anzuzweifeln. Das Gericht verneint eine Deckung aufgrund des eigenständigen Verwirkungsgrundes der arglistigen Täuschung, der in fast allen allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Sachversicherung enthalten ist. Die Annahme einer arglistigen Täuschung dürfte jedoch etwas überspitzt sein, zumal bei Brandschäden häufig gegen die Eigentümer von Amts wegen ermittelt wird, um gerade eine Eigenbrandstiftung – welche ein besonders schweres Delikt im Strafgesetzbuch darstellt – auszuschließen. Noch weniger überzeugend ist jedoch der Umstand, dass das Gericht nach § 242 BGB eine Anspruchskürzung auf die Hälfte vornimmt. In dieser Hinsicht verkennt das Gericht grundlegend, dass eine Kürzung über § 242 BGB nur bei Täuschungen bezüglich der Anspruchshöhe in Betracht kommt. Sodann sind einerseits eine wirtschaftliche Existenzgefährdung und andererseits weitere Voraussetzungen für eine solche Kürzung auf die Hälfte erforderlich, deren Vorliegen das LG Stade im Streitfall jedoch nicht näher geprüft hat.

Weiterführende Informationen

Ein weitergehender Leitartikel zu diesem Thema ist nachfolgend zu finden: Spontane Anzeigeobliegenheit des Versicherten

Über den Autor

Björn Thorben M. Jöhnke ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow. Außerdem ist er Fachanwalt für Versicherungsrecht, Gewerblichen Rechtsschutz und für Informationstechnologierecht.

Bild: © Aerial Mike – stock.adobe.com