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12. August 2020
Geldanlage 2020: Droht der nächste Corona-Crash?

Geldanlage 2020: Droht der nächste Corona-Crash?

Die Aktienmärkte gleichen 2020 mehr denn je einer Achterbahn. Einem massiven Crash folgte eine rasante Erholung. Der Dax stieg sogar wieder über 13.000 Punkte. Und schon sind neue Crash-Prognosen zurück. Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG, sieht dafür keinen Anlass. Aus mehreren Gesichtspunkten dramatisch sei aber der Skandal um Wirecard.

Herr Halver, ist die Erholung vom Corona-Crash nicht viel zu schnell erfolgt?

Man darf nicht vergessen, dass man sehr schnell mit einem gigantischen geld- und fiskalpolitischen Paket entgegengehalten hat, um die Konjunktur zu stützen. Zumindest die Frühindikatoren verbessern sich zudem bereits wieder. Nicht V-förmig, sondern eher in Form eines Nike Swoosh. Das ist definitiv positiv und gibt den Aktienmärkten fundamentale Unterstützung.

Dennoch herrscht Angst vor einer zweiten Corona-Welle ...

Sollte die zweite Welle kommen, wird man nicht wieder alles zumachen. Bei einem erneuten flächendeckenden Lockdown wären die ganze Hilfspakete für die Katz gewesen. Man wird stattdessen lokale Shutdowns durchführen, wie zuletzt auch schon in den Schlachthöfen – und diese auch nur so kurz wie möglich. Flächendeckende Lockdowns würden die für die Wirtschaft so wichtige Psychologie zertreten und Konsum- und Investitionsabsichten so behindern, dass wir uns vermutlich über ganz andere Dinge wie soziale Probleme Gedanken machen müssten als über das Coronavirus – das sicher schon schlimm genug ist.

Ist eine zweite Welle des Corona-Crashs unwahrscheinlich?

An den Aktienmärkten kann es volatiler werden und auch mal 1.000 oder 2.000 Punkte nach unten gehen. An einen Crash glaube ich im Gegensatz zu so manchem Untergangspropheten aber nicht. Im Extremfall wird noch mal kräftig Geld nachgelegt werden. Die (Geld-)Politik lässt unsere Welt nicht verrecken, weil dann die Straßen unsicher werden. Wir reden hier sicher nicht von der guten alten (Finanz-)Stabilität. Diesen Luxus haben wir an der Garderobe abgegeben und dieses Kleidungsstück werden wir nie mehr zurückbekommen.

Crash-Propheten warnen allerdings vor schwindelerregend hohen Aktienbewertungen …

Kein Zweifel, die Bewertung der Aktienmärkte ist hoch, höher, am höchsten. Darüber muss man gar nicht diskutieren. An den Anleihemärkten ist sie aber noch um ein Vielfaches höher. In den USA ist man mittlerweile bei einem vergleichbaren KGV von 160. Bei den negativen Renditen von deutschen Bundesanleihen lässt sich nicht einmal mehr eine Bewertung berechnen. Es gibt heutzutage keine Parkmöglichkeiten mehr. Bei Zinsanlagen muss man sogar ein Parkticket dafür ziehen und Strafzinsen zahlen. Die Zeiten haben sich geändert. Das kann man nicht einfach ignorieren. Wir haben einen brutalen Anlagenotstand, der zinsseitig nicht mehr befriedigt werden kann.

Bleibt das Grundproblem, dass es keine Zinsen mehr gibt?

Ja, und dieser Zustand ist für alle Zeiten festgetackert. Solange das jetzige Welt­finanzsystem existiert, wird es keine vernünftigen Zinsen mehr geben. Das galt schon vor Corona und jetzt erst recht. Amerika macht in diesem Jahr knapp 20% neue Staatsschulden. Zinserhöhungen hätten bei den mittlerweile auch in Europa angehäuften Schuldenständen fatale Auswirkungen. Wir hätten die finale Schulden- und Systemkrise, den kompletten Zusammenbruch der uns bekannten Welt.

Um solche fatalen Auswirkungen zu verhindern, haben sich die europäischen Staats- und Regierungschefs nach tagelangem Verhandlungsmarathon auf ein umfassendes Corona-Hilfspaket geeinigt. Hat das zu Recht die Märkte beruhigt?

Es ist natürlich wie immer ein fauler und windiger Kompromiss. Die Stabilitätsregeln werden mit Füßen getreten. Dennoch ist mit der Einigung zunächst die EU-Kuh vom Eis. Die vorerst verhinderte Euro-Sklerose beruhigt die europäischen Finanzmärkte. Wenn Europa scheitert und zum Flickenteppich wird, hätten die drei Aasgeier aus Amerika, China und Russland leichtes Spiel, Europa zu dominieren. Entscheidend ist aber längerfristig vor allem, dass Europa endlich seine Hausaufgaben macht und klare Wirtschaftsreformen vor allem in Euro-Süd durchführt. Ansonsten stirbt es langsam, aber sicher und die drei Großmächte kommen doch noch auf ihre Kosten.

Neben Europa muss sich auch der US-Präsident Kritik gefallen lassen. Wie kritisch ist die Situation in den USA?

Bei aller Kritik macht Europa zumindest in Corona-Fragen einen deutlich besseren Job als der vor allem emotional handelnde große Zampano auf der anderen Seite des Atlantiks. Auch geostrategisch zeigt er kein Verständnis für die nach dem Krieg aufgebaute und erfolgreiche internationale Sicherheitsarchitektur. Wir reden hier doch vom Regierungschef der größten Volkswirtschaft der Welt und nicht vom Vorsitzenden eines Kegelclubs. Von daher kann man trotz seines hohen Alters nur hoffen, dass Joe Biden die Wahl gewinnen wird. Eine Wiederwahl Trumps wäre fatal, denn dann müsste er keine Rücksicht mehr auf eine Wiederwahl nehmen und könnte Entscheidungen treffen, an die ich heute nicht einmal denken möchte.

Neben Europa und den USA hat auch Deutschland neue Konjunkturmaßnahmen beschlossen. Finanzminister Olaf Scholz spricht dabei von einem historischen Wumms. Wie wirksam wird dieser Wumms werden?

Der Wumms ist eher viel Bumms. Die temporäre Mehrwertsteuersenkung wird ziemlich verpuffen. Viel effizienter wären aber permanente Steuersenkungen gewesen, wie etwa die sofortige Abschaffung des Solidaritätszuschlags und die Verdoppelung der Freibeträge bei der Einkommensteuer. Angesichts des historischen Ausmaßes der Krise hätte man zudem noch mehr Schulden aufnehmen können – zumal der Bund mit Schulden dank der Negativzinsen Geld verdient. Es ist eine absurde Vorstellung, aber die öffentlichen Haushalte machen allein in diesem Jahr durch Schulden etwa 11 Mrd. Euro Gewinn. Vor diesem Hintergrund wären hohe zusätzliche Investitionen in eine verbesserte digitale Infrastruktur zur Beseitigung unserer Strukturdefizite und unserer Wettbewerbsnachteile gegenüber Amerika und China sehr sinnvoll gewesen. Damit würden wir längerfristig wirtschaftlich kräftig investieren können, um unsere Arbeitsplätze zu sichern und sogar neue aufzubauen.

Verheerend war 2020 auch der Skandal um Wirecard. Wie fatal ist der Fall?

Der Wirecard-Skandal ist dramatisch. Auf der einen Seite präsentieren sich unsere Politik und Aufsichtsbehörden extrem reglementierend und nehmen damit auch der Marktwirtschaft Wind aus den Segeln. Auf der anderen Seite hat man bei Wirecard die Augen zugedrückt. Dabei hat der Fall spätestens im Frühjahr 2019 hohe Wellen geschlagen. Man muss davon ausgehen, dass da, wo Rauch ist, auch Feuer ist. In der Hoffnung auf einen deutschen Technologieüberflieger, der mit Amerika mithalten kann, hat man sich benebeln lassen.

Wie verheerend ist der Fall für die deutsche Aktienkultur?

Gerade Kleinanleger liebten Wirecard. Der Titel war so etwas wie eine Volksaktie. Gerade wegen der deutschen Aktienkultur, die ohnehin nur ein kleines Pflänzchen ist, hätte man Gerüchten über Fehlverhalten sofort nachgehen müssen. Ansonsten muss man sich nicht wundern, wenn der Durchschnittshaushalt in Deutschland mehr Geld für Bananen als für Aktien ausgibt.

Die BaFin hat ja sogar ein Short-Seller-Verbot auf Wirecard ausgesprochen – erstmals überhaupt für eine Einzelaktie …

Und genau deshalb muss man auch Analysten und Fonds­manager ein bisschen in Schutz nehmen. Sie haben nicht die Aufgabe, die BaFin zu überprüfen. Wenn die BaFin sagt, ich erteile ein Short-Seller-Verbot, dann ist das wie ein Ritterschlag der Queen oder der Segen des Papstes. Dann muss man sich drauf verlassen können. Viele Anleger werden nach dem Neuen Markt, der Finanzkrise und jetzt noch Wirecard Aktien feindlich gegenüberstehen. Und das ist fatal, denn zur Altersvorsorge geht an ihnen kein Weg vorbei. Denn Zinssparen zu den heutigen Konditionen ist geplante Vermögensvernichtung.

Ich würde mich freuen, wenn die Bundesregierung das Aktiensparen fördern würde. So sind regelmäßige monatliche Aktiensparpläne längerfristig – auch unter Ausnutzung der Kursschwankungen – ein ideales und einfaches Instrument, einen guten Lebensabend genießen zu können. Altersvorsorge ist Zukunftsvorsorge. Denn nicht jeder ist Politiker und kann sich über eine üppige Pension freuen.

Das Interview lesen Sie auch in AssCompact 08/2020 auf Seite 58f und in unserem ePaper.

 
Ein Artikel von
Robert Halver