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4. Juli 2023
Gemischte Teams treffen bessere Anlageentscheidungen
Gemischte Teams treffen bessere Anlageentscheidungen

Gemischte Teams treffen bessere Anlageentscheidungen

KI und Nachhaltigkeit bei Anlageprodukten sind Themen, mit denen sich Martina Bahl, Geschäftsführerin der Unternehmensberatung BahlConsult, regelmäßig beschäftigt. Und was sie Firmen und Anlegern nur empfehlen kann: Gender Smart Investing. Mehr dazu erläutert Bahl im Interview.

Frau Bahl, können Sie sich und Ihr Unternehmen kurz vorstellen?

BahlConsult ist eine Unternehmensberatung mit dem Schwerpunkt Risikomanagement. Neben der klassischen Beratung zu Risikomanagementprozessen im Treasury beschäftigen wir uns mittlerweile viel mit regulatorischen Fragestellungen und dem gesamten Bereich ESG und Nachhaltigkeit im Asset-Management.

Wir wollen heute auch das Thema Gender Smart Investing in den Fokus stellen. Zunächst einmal: Was ist das?

Gender Smart Investing beschäftigt sich – wie der Name schon sagt – mit dem Geschlechterverhältnis einerseits und dem profitablen Investieren andererseits. Die Idee dahinter ist, dass Unternehmen, die ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Männern und Frauen auf allen Ebenen aufweisen, auf Dauer bessere Ergeb­nisse erzielen. Der Grundgedanke ist, dass Männer und Frauen oft andere Entscheidungsschwerpunkte haben. Das hat nichts mit Gleichberechtigung zu tun, sondern schlicht mit unterschiedlichen Lebenseinstellungen und Blickwinkeln, die Frauen und Männer haben und die sie in die Entscheidungen von Unternehmen einbringen. Diese Mischung aus verschiedenen Herangehensweisen an Risiko, Kundenorientierung, Ideen und Erfahrungen macht Unternehmen im wahrsten Sinne des Wortes reicher. Das spüren Investoren in Form langfristig stabiler und guter Ergebnisse, die sich positiv auf Aktienkurse und Dividenden auswirken.

Bei Gender Smart Investing wird übrigens nicht nur auf das ausgeglichene Geschlechterverhältnis bei Unternehmen geachtet, in die investiert werden kann, sondern auch auf das Geschlechterverhältnis bei den Asset-Managern, die die Anlageentscheidungen treffen!

Gender Smart Investing ist nur der erste Schritt in Richtung Vielfalt der Entscheidungsträger. Die Diversität, von der Investoren profitieren können, geht viel weiter. Unterschiedliche Altersgruppen im Entscheidungsgremium beispielsweise oder verschiedene soziale, kulturelle oder ethnische Hintergründe sind ebenfalls eine Bereicherung für die Blickwinkel. Warum wir uns zunächst auf das Geschlechterverhältnis konzentrieren, ist schlicht die Verfügbarkeit der Datenlage, die wir dazu analysieren können.

Diversität bei den Asset-Managern, Diversität bei den Investitionszielunternehmen – kann man das folglich so zusammenfassen?

Ja, genau. Die durch ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis entstehenden unterschiedlichen Ideen und Blickwinkel in Entscheidungsteams tragen dazu bei, dass sowohl Chancen als auch Risiken umfassender gesehen werden. Das trifft auf das Unternehmen zu, in das investiert werden soll, aber auch auf den Asset- Manager selbst. Diverse Teams sind kein reiner Selbstzweck, um irgendwelche ethischen Feel-good-Kriterien zu erfüllen oder politisch geforderte Quoten einzulösen, sondern tatsächlich am Ende des Tages gut für die Unternehmensgewinne.

Worin unterscheiden sich denn die Entscheidungskriterien?

Bei Gender Smart Investing suchen wir nach Unternehmen, die auf allen Ebenen, aber vor allem in jenen Gremien, die für strategische Entscheidungen relevant sind, ein ausgeglichenes Verhältnis von Männern und Frauen haben. Es geht nicht nur um die Gesamtzahl der Beschäftigten im Unternehmen. Der Rest der Unternehmensdaten muss natürlich auch stimmen.

Wird diese diverse Aufstellung aufgrund von ESG-Regularien und der Förderung von Impact Investing ein Trend?

Der Trend ist schon längst da. Nicht nur, weil sich Investoren gut dabei fühlen wollen, wie sie ihr Geld investieren. Impact Investing ist eine schöne Sache. Am Ende des Tages aber wollen die meisten Investoren ihr Geld nicht nur sinnvoll, sondern auch gewinnbringend anlegen. Gender Smart Investing und der Fokus auf Vielfalt bei Entscheidungsträgern haben sich dabei als Erfolg versprechend erwiesen. Mehr Ideen, ausgeglichenere Risiken, ein umfassenderes Blickfeld, all das ist gut für Unternehmen und Investoren. Der ESG-Trend hat uns geholfen, den Zusammenhang zwischen Vielfalt und nachhaltiger Profitabilität zu erkennen.

Nachhaltigkeit ist darüber hinaus ein großes Thema. Findet dies Ihrer Meinung nach in Portfolios bereits die richtige Anwendung?

Vielen ESG-Portfolios fehlt meiner Meinung nach noch die Ernsthaftigkeit – zu oft wird rein passiv auf externe ESG-Ratings oder ESG-Labels beschränkt investiert. Das wissen Emittenten und betreiben Greenwashing oder kaufen sich ESG-Ratings über dubiose ESG-­Ratingagenturen. Im gesamten ESG- und Nachhaltigkeitsbereich müssen Investoren noch viel eigene, kritische Analyse beisteuern, sowohl bei den Zielunternehmen als auch bei Asset-Managern.

Heute steuern immer öfter „Maschinen“ oder Robo-Advisor Anlageentscheidungen. Wie beeinflusst das Anleger und auch Kapitalmarkt?

Das hat Vor- und Nachteile. Durch den Einsatz von KI können größere Datenmengen verarbeitet und mehr Informationen über viel mehr Unternehmen und Produkte kostengünstig ausgewertet werden. Die verfügbaren Anlagemöglichkeiten sind so groß und vielfältig, dass ein menschlicher Analyst das gar nicht schaffen kann. Robo-Advisors sind zudem billiger. Ideal ist wohl eine Mischung aus KI und Mensch. Die Eigenverantwortung dürfen wir als Anleger deshalb trotzdem nicht aufgeben. Kritisches Hinterfragen von Anlagevorschlägen hat noch keinem Anleger geschadet, weder zu Zeiten rein menschlicher Analysten noch jetzt mit immer größerer Automatisierung.

Wird KI den Markt weiter verändern?
Oder sind es dann doch eher die näherliegenden Themen wie Inflation und Zinswende?

Das Thema KI wird sich meiner Meinung nach rasant weiterentwickeln und immer mehr Bereiche beeinflussen. Ob das nun mehr Chancen oder mehr Risiken birgt, ist schwer zu sagen. Denken Sie bloß an die fantastischen Möglichkeiten, die uns eine echte Decentralized-Finance-Infrastruktur bringen könnte, gepaart mit den Analysemöglichkeiten und Effizienzsteigerungen durch Bots, die selbsttätig viele mühsame Aufgaben wie das Erstellen von Analysen oder das Sammeln von Informationen für uns erledigen. Der Gedanke daran begeistert einerseits, schürt aber natürlich auch Ängste, ob nicht vielleicht unser aller Dienstleistung dann überflüssig werden könnte. Ich denke, dass wir uns trotz aller Ängste damit konkret auseinandersetzen müssen. Denn es ist nicht eine Frage des Ob, sondern eine Frage des Wann. KI und Decentralized Finance sind die Zukunft, und die liegt eher nah als fern.

Sie beschäftigen sich eigentlich mit sehr komplexen Themen des Kapitalmarkts. Ist das gleichzusetzen mit einer gewissen Risikofreude?

Oh, ganz im Gegenteil! Je komplexer die Themen, über die ich nachdenke, desto zahlreicher werden die Risiken, die ich sehe! Manchmal muss ich mich selbst an der Nase nehmen, um neben den vielen Risiken die Chancen nicht zu vergessen. Es hilft, alles aus einer gewissen Höhe zu betrachten, um die Zusammenhänge und das große Ganze zu sehen.

Wo sollten Anleger und Investoren demnächst auf jeden Fall näher hinsehen?

Da gibt es viele spannende Themen, die mir da einfallen. Kurzfristig stehen wohl Rezession, Teuerung und Zinsentwicklung auf der Tagesordnung. Strategisch, denke ich, sollte man KI und Decentralized Finance im Auge behalten.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 07/2023, S. 78f., und in unserem ePaper.

Bild oben: © New Africa – stock.adobe.com; Porträtfoto: © Martina Bahl 

 
Im Interview
Martina Bahl