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30. November 2021
Großschäden: „Immer mehr Makler schalten uns ein“
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Großschäden: „Immer mehr Makler schalten uns ein“

Die Schadenregulierung der Versicherer bei Großschäden steht in der Kritik. Der Vorwurf lautet, dass sich die Versicherer restriktiv verhalten, was auch zu Zeitverzögerungen bei der Auszahlung führt – für manchen Kunden geht es dabei um die Existenz. Der Schadenmanager gvp kennt die Details.

Interview mit Konrad Hahn, Geschäftsführer der gvp Gesellschaft für Versicherungsprüfung mbH
Herr Hahn, zuletzt hat es viel Unmut in der Industrieversicherung gegeben. Sowohl beim Renewal als auch in der Schadenregulierung. Wie sehen Ihre Erfahrungen aus?

Die Kunden stehen mit dem Rücken an der Wand. Die Versicherer reduzieren Kapazitäten und erhöhen die Preise um bis zu 100%. Begründung: schlechte Schadenquoten, zu geringes Bedarf-Bezugs-Verhältnis, unvorhersehbare Elementarschäden mit katastrophalen Ausmaßen – an Argumenten fehlt es den Versicherern nicht. Gleichzeitig beobachten wir eine zum Teil sehr restriktive Regulierungspolitik bei Großschäden. Die Versicherer kämpfen mit harten Bandagen und oft geht es um die Existenz. Die Versicherten müssen sich warm anziehen.

Aber es gibt auch Ausnahmen: Versicherer, die ihren Auftrag ernst nehmen und genau dann, wenn es darauf ankommt, zu ihrem Wort stehen und nicht jeden Punkt in den Bedingungen auf die Goldwaage legen. Deshalb Augen auf bei der Versichererwahl.

Auch Versicherungsmakler registrieren, dass die Versicherer in der Regulierung oft nachfragen, immer neue Dokumente anfordern oder auch Juristen und Gutachter engagieren. Auch Sie sagen also, einige Versicherer schießen über das Ziel hinaus?

Wir haben den Eindruck, dass die Versicherer in den Schadenabteilungen massiv aufgerüstet haben. Mehr und mehr werden gut ausgebildete Juristen eingesetzt, die die Versicherungsverträge erst einmal genauestens analysieren. Dann werden Dokumente und Nachweise angefordert, die zum Teil Jahrzehnte zurückliegen. Dass die Versicherer für die Schadenbewertung Sachverständige einsetzen, halten wir für nachvollziehbar. In modernen Bedingungswerken steht dem Versicherten dieses Recht ebenfalls zu.

Grenzwertig wird es dann, wenn die Versicherungsbedingungen kein sogenanntes Sachverständigenverfahren vorsehen. Nur der Versicherer hat also das Recht, einen Gutachter seiner Wahl einzusetzen. Angeblich sind die Sachverständigen absolut neutral – auch diejenigen, die Visitenkarten mit dem Logo ihres Versicherers haben.

Festgestellt wird auch, dass in Konsortien ein Versicherer zahlt, der oder die anderen aber nicht folgen. Kennen Sie das Problem?

Das Thema ist bekannt. Bei unseren Schäden ist das bislang nur ein einziges Mal passiert. Es handelte sich um einen sehr großen Feuerschaden mit weit über 20 Mio. Euro bei einem Holzverarbeitungsbetrieb. An dem Feuervertrag waren mehrere Versicherer beteiligt. Einer der Beteiligten verlangte dann eine Regulierungskommission. Damit hatte man neben dem Großschaden­regulierer des führenden Versicherers auch immer den Schadenregulierer des Beteiligten an Bord. Das führte unausweichlich zu Konflikten, die auf dem Rücken des Geschädigten ausgetragen wurden.

Am Ende des Tages wollte der beteiligte Versicherer von seinem Anteil des Gesamtschadens einen Betrag von 1 Mio. Euro nicht übernehmen. Nach langen und schwierigen Verhandlungen konnten wir erreichen, dass der Führende den kompletten Schaden bezahlte und den offenen Anteil des Beteiligten mit übernahm. Damit wurden im Außenverhältnis dem Kunden 100% seines Schadens erstattet. Der Schaden liegt allerdings schon mehr als zehn Jahre zurück. Ob das heute auch noch so laufen würde, halte ich für eher unwahrscheinlich.

Vertraglich kann das Thema im Vorfeld durch eine saubere Führungsklausel gelöst werden. Dann hat im Außenverhältnis immer der Führungsversicherer das Sagen.

Um welche Sparten und um welche Branchen dreht sich das Gerangel am intensivsten?

Wir betreuen in erster Linie Sachschäden in allen Branchen. Das beginnt beim kleinen Leitungswasserschaden im Hausratbereich mit 50.000 Euro über mittlere Schäden bei Photovoltaikanlagen im Bereich Elektronikversicherung oder Bauleistungsschäden im Hoch- und Tiefbau bis hin zu enormen Großschäden – meist sind das Feuer- oder Überschwemmungsschäden. Hier geht es immer um die Existenz. Die Branche an sich spielt im Grunde genommen keine Rolle.

Die Versicherer behandeln den Feuerschaden bei einem Bauernhof mit 3 Mio. Euro genauso intensiv und umfassend wie den Überschwemmungsschaden bei einem großen Metallbauer mit 5 oder 100 Mio. Euro. Tatsache ist, dass die Obliegenheiten, Sicherheitsvorschriften und Auflagen bei den Feuerverträgen am umfangreichsten sind. Damit kommen hier die größten Fallstricke in der Schadenabwicklung zum Tragen.

Die Sanierung der Verträge, wie es so schön heißt, soll bald abgeschlossen sein, sagt man. Erwarten Sie dann auch wieder ein anderes Verhalten in der Schadenregulierung?

Ehrlich gesagt nein. Die restriktive Regulierungs­praxis beobachten wir schon seit Jahren. Die Versicherer haben in ihren Schadenabteilungen massiv aufgerüstet. Zudem haben wir den Eindruck, dass erheblicher Druck von der Aktionärsseite gegeben ist.

Welche Möglichkeiten hat ein sagen wir mittel­ständischer Makler überhaupt, sich hier für seinen Kunden einzusetzen?

Insbesondere der mittelständische Makler stößt in der Praxis relativ schnell an seine Grenzen. Anders als die ganz Großen der Branche können es sich die Mittelständler im Grunde genommen nicht leisten, eine eigene Schadenabteilung aufzubauen. Hinzu kommt, dass der Makler auch ein wenig zwischen den Stühlen sitzt. Rein rechtlich steht er im Lager des Versicherten. In der Praxis muss der Makler aber damit rechnen, dass bei einer „nachhaltigen“ Schadenregulierung der Versicherer für das versicherte Portfolio des Maklers Probleme macht, wenn es darum geht, Deckungsprobleme zu lösen und Kapazitäten aufrechtzuerhalten. Das gilt in der aktuellen Marktphase natürlich umso mehr.

Sie verweisen an der Stelle auch auf Haftungsfragen, die sich daraus für Makler ergeben. Erklären Sie uns das bitte näher.

Wie gesagt, der Makler steht rein rechtlich auf der Seite des Kunden. Damit muss er dafür sorgen, dass sein Versicherter – insbesondere – in der Schadenabwicklung so beraten wird, dass dessen Interessen umfassend und unangreifbar durchgesetzt werden. Aufgrund der verhältnismäßig geringen Anzahl von Großschäden, die auch bei einem größeren Bestand auftreten, sind die meisten Maklerhäuser weder fachlich noch organisatorisch in der Lage, den Schadenabteilungen der Versicherer Paroli zu bieten und die Interessen ihres Versicherten durchzusetzen.

Nun belastet, wie schon angedeutet, das Verhalten mancher Versicherer die Beziehung zum Makler. Welche Strategien kann ein Makler verfolgen, um seinen Kunden doch noch zum Ziel zu führen?

Das ist ein Dilemma, aus dem der Makler gar nicht so einfach rauskommt. Eigene Schadenabteilungen aufzubauen, womöglich noch für alle wesentlichen Sparten, scheitert in der Praxis meist an finanziellen Mitteln. Einen Ausweg bietet die Auslagerung auf externe Beratungsgesellschaften mit Spezialisierung auf Schaden­management. Das hat mehrere Aspekte. Zum einen wird der Schadenexperte die Schadenabwicklung so durchführen, wie es nach Vertrag, Gesetz und Rechtsprechung erforderlich ist. Zum anderen wird dadurch die gute Beziehung zwischen Makler und Versicherer nicht belastet. Und drittens werden dadurch Haftungsfallen durch eine möglicherweise nicht ausreichende fachliche Abwicklung vermieden.

Die gvp ist Spezialist für Großschäden. Wo beginnt eigentlich ein Großschaden? Vielleicht nennen Sie uns ein paar Beispiele.

Den Großschaden stuft jeder Versicherer anders ein. Bei uns fängt der Großschaden bei 100.000 Euro an. Das sind häufig Feuerschäden. Aktuell betreuen wir beispielsweise eine große Biogasanlage in O Süddeutschland. Dort ist die Lagerhalle in einer Größenordnung von 750.000 Euro, die drei Motoren der Anlage und sämtliches Inventar mit rund 1,2 Mio. Euro abgebrannt. Hinzu kommt noch der BU-Schaden mit rund 600.000 Euro für die versicherte Haftzeit von (nur) zwölf Monaten. Damit liegt der Gesamtschaden deutlich über 2,5 Mio. Euro.

Unser größter Schaden ist aktuell – auch – ein Brandschaden. In diesem Fall handelt es sich um einen Metallverarbeitungsbetrieb in Bayern mit rund 25 Mio. Euro Schaden für alle Bereiche. Allen größeren Schäden gemein ist, dass es immer um die Existenz des Unternehmens geht.

Welche Erfahrung bringt die gvp mit in der Abwicklung von Großschäden?

Wir beraten Privatpersonen, Landwirte aus allen Bereichen, kleinere und mittelständische Unternehmen, Industriebetriebe und Gemeinden, Städte und kommunale Einrichtungen mit Sitz in Deutschland und Österreich. Dabei kümmern wir uns in erster Linie um Sachschäden – und hier wiederum liegt der Schwerpunkt im Bereich der Feuerschäden. Aktuell betreuen wir weit mehr als 100 Großschäden mit einem Schadenvolumen von rund 120 Mio. Euro.

Wie arbeiten Sie mit Kunden und Maklern zusammen?

Von unseren Mandanten erhalten wir eine Vollmacht nur für den Prozess der Schadenabwicklung. Damit muss der Versicherer Auskunft geben über die Versicherungsverträge und die genauen Inhalte. Wichtig ist dabei, dass wir immer die gesamte Vertragshistorie vom Versicherer anfordern und uns ein umfassendes Bild von den Vertragsinhalten machen können.

Immer mehr Makler schalten uns für ihre Kunden ein, als ausgelagerte Schadenabteilung. Auch hier werden wir vom Ver­sicherten mit einer Vollmacht ausschließlich für den Schadenprozess legitimiert. Wichtig für den Makler ist, dass wir nicht in die Vertragsbeziehung zwischen Makler und Versichertem eingreifen. Als Versicherungsberater dürfen wir ja keine Versicherungen vermitteln. Der Makler muss also keine Sorge haben, dass wir als Wettbewerber auftreten und ihm seinen Bestand wegnehmen. Das wird selbstverständlich auch vertraglich zu Beginn einer Beauftragung unmissverständlich geregelt.

Wie könnte denn abschließend eine nachhaltige Schadenregulierung überhaupt aussehen?

Wir erinnern die Versicherer immer wieder an ihr eigentliches Leistungsversprechen. Nämlich – selbstverständlich im Rahmen des bestehenden Versicherungsvertrages und nach Recht und Gesetz – dem Geschädigten die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, die es braucht, um den eingetretenen Schaden auszugleichen. Wir sorgen dafür, dass der Geschädigte das bekommt, was ihm zusteht – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Zunehmend an Bedeutung gewinnt die Zeitachse – hier sorgen wir von Anfang an dafür, dass dem Betroffenen ausreichend liquide Mittel zur Verfügung gestellt werden. Denn es ist schön, wenn der Schaden zu 100% vom Versicherer übernommen wird. Das bringt dem Unternehmen aber wenig, wenn das Geld erst fließt, nachdem der Antrag wegen Zahlungsunfähigkeit beim Amtsgericht eingereicht worden ist. Das konnten wir bislang vermeiden – und so soll es nach Möglichkeit auch bleiben.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 11/2021, Seite 40 ff. , und in unserem ePaper.

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Ein Interview mit
Konrad Hahn