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Management & Vertrieb
11. Januar 2016
Megatrend Digitalisierung: Vermittler haben den Beratungs-Trumpf

Megatrend Digitalisierung: Vermittler haben den Beratungs-Trumpf

Auf die vom Arbeitskreis Beratungsprozesse entwickelten Materialien für die Finanz- und Versicherungsberatung lassen sich auch digitale Anwendungen oder Kooperationen mit FinTechs aufbauen, erklären Marco Habschick und Michael Franke, die gleichzeitig die aktuelle Lage kommentieren.

Mit epochalen Umbrüchen ist es immer gleich: Erst überschätzen wir, wie schnell sie kommen. Und wenn es so weit ist, unterschätzen wir ihre Wucht. Der Übergang vom Industriezeitalter zur Netzwerkökonomie unterscheidet sich in diesem Punkt nicht vom Wechsel der Segel- zur Dampfschifffahrt. Schon eine ganze Generation ist online aufgewachsen, und erst jetzt geht in der Versicherungsbranche eine Panikwelle um. Denn nun sind die ersten Auswirkungen abschätzbar und werfen Fragen auf: Brauchen wir in Zukunft noch Berater und Vermittler aus Fleisch und Blut, wo doch Maschinen anfangen, intelligent zu werden? Werden wir noch die Produktlandschaft haben, wie wir sie heute kennen? Was passiert, wenn erst Google und Co. in den Markt drängen, die mehr über den Kunden wissen als er selbst?

Unverkennbar – die Branche ist aufgewacht. Die großen Versicherer stecken dreistellige Millionenbeträge in die Digitalisierung. Doch verglichen mit anderen Wirtschaftszweigen hinkt die Versicherungszunft hinterher. Selbst die Banken – regulierungsbedingt ebenso wie Versicherer besser gegen Strukturbrüche abgeschirmt als zum Beispiel Buchhandel oder Industrie – sind beim Thema Digitalisierung weiter. Zugegebenermaßen haben sie allerdings mit dem Online-Banking einen eingeführten strukturellen Vorteil, auf dem neue Angebote nun aufsetzen können.

Vom Stillstand zum Wildwuchs

Kunden sind längst auf allen Kanälen parallel unterwegs, während Versicherer noch in Silos denken und ihre Vertriebswege sich gegenseitig bekämpfen. Der jahrelange Stillstand rächt sich. Neuartige Wettbewerber, die „FinTechs“, decken nun schmerzhaft die Defizite der Branche auf: Wo, wenn nicht bei Knip, Clark und ähnlichen Angeboten, soll der Kunde einen digitalen Versicherungsordner erwarten? Wer sonst verspricht Vertragsabschlüsse in wenigen Schritten auf dem Smartphone? Oder den Vergleich komplexer Produkte am heimischen PC?

Über die jungen Wilden bei den FinTechs wird aktuell viel geschrieben. In dieser Phase sehen wir Wildwuchs, Fehleinschätzungen und Übertreibungen. Noch steckt oft viel heiße Luft in den FinTechs und nur wenig Hightech. Hinter der schicken App sitzen oft billige Arbeitskräfte, die Kundendaten manuell in CRM-Systeme eintippen. Schnittstellen, BiPRO-Norm, bedarfsgerechte Beratung? Weitgehend Fehlanzeige. Zukunftsfähig ist das noch nicht – kein Wunder, dass FinTechs mit einer Halbwertszeit von Monaten kommen und gehen. Jede Darstellung der aktuellen deutschen FinTech-Landschaft ist zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung mindestens an einer Stelle bereits wieder überholt. Pünktlich zur DKM ging der nächste digitale Makler an den Start: asuro.de, die „digitale Komplettlösung in Versicherungsfragen“.

Hier und da entdeckt man auch kundenorientierte Apps von Versicherern, Pools oder Vertrieben. Funktionsumfang und Stoßrichtung unterscheiden sich deutlich; so finden sich Anwendungen, die Angebote oder den Austausch von Informationen (zum Beispiel Vertragsdaten, Schadenmeldung) zwischen Kunde und Vermittler ermöglichen sollen. Wir sehen aber auch sehr schmale Lösungen, die sich mit sattsam bekannten Gimmicks begnügen: Notrufnummer der Vergiftungszentrale oder Feuerwehr, Hinweise zum Verhalten bei Leitungswasserschäden oder zur stabilen Seitenlage. Vervollständigt werden solche Apps mit einem kleinen Banner zum Nachweis der Existenz des Vermittlers. Der Zuspruch zu solchen Angeboten korreliert auffällig mit deren vordergründigem Nutzen: Die Downloadzahlen sind bescheiden; vielfach wird schon die Marke von 50 Downloads nicht erreicht.

Angst, den Anschluss zu verlieren

Trotz dieser ernüchternden Realität sind viele Vermittler von dem unguten Gefühl getrieben, irgendwie den Anschluss zu verlieren. Dabei haben sie einen Trumpf in der Hand, den bis auf Weiteres kein FinTech spielen kann: die systematische Beratung von Angesicht zu Angesicht. Bis die FinTechs einen Ansatz gefunden haben, auch fundierte Beratung zu virtualisieren und in ihre Systeme einzubauen, dürfte noch eine Weile vergehen. Das bringt Vermittlern Zeit, ihre bisherige Wertschöpfungskette zu zerlegen und zukunftssicher neu zusammenzusetzen. Netzwerkökonomie bedeutet nämlich: so wenig wie möglich selbst machen und sich auf etwas konzentrieren, was man besser kann als alle anderen.

Unsere These: Die persönliche Beratung als Bindeglied für alle neuen technischen Möglichkeiten und Kanäle wird erhalten bleiben. Aber sie wird sich verändern. Die Rechtslage spielt aktuell noch der klassischen Beratung „von Mensch zu Mensch“ in die Karten. Der Gesetzgeber unter­scheidet bei der Beratungs- und Dokumentationspflicht nicht nach Vertriebs­wegen. Insofern haben auch digitale Anbieter die Pflicht zur Beratung und Dokumentation. Ob man bei der Bedienung einer App oder Portalanwendung, und sei sie noch so ausgefuchst, allen Ernstes von „Beratung“ im Wortsinn sprechen kann, darf dabei bezweifelt werden. Und die jüngste Klarstellung durch die Rechtsprechung, wonach ein Beratungsprotokoll den Verlauf des Gespräches samt seiner Schwerpunkte erkennen lassen muss, lässt eine rein technisch erzeugte Dokumentation erst recht wie Science Fiction erscheinen.

Wege in die Zukunft

Der Arbeitskreis Beratungsprozesse bietet seit vielen Jahren Materialien für die systematische und rechtskonforme Versicherungs- und Finanzberatung an. Auf seiner weithin anerkannten Syste­matik lassen sich Prozesse aller Art aufbauen, mit denen Kunden auf verschiedenen Kanälen und mit innovativer Technik betreut werden. Auch intelligente Kooperationen mit FinTechs schließt das nicht aus. Der Makler kann beispielsweise den individuellen Service liefern und bindet für Produktvergleich und Abwicklung digitale Anbieter ein. Denn eines ist klar: So wenig effizient manche Backoffice-Prozesse auch sein mögen – wie man extrem nah am Kunden arbeitet, lässt sich von FinTechs sehr anschaulich lernen.

Apropos lernen: Von Trendforschern wie dem Hamburger Professor Peter Wippermann kann man sich die Erkenntnis aneignen, dass wir bei epochalen Umbrüchen regelmäßig zu eng denken. Wippermann führte einmal aus: „Der Lastkraftwagen hat die Pferdedroschke verdrängt. Trotzdem gibt es heute mehr Pferde als damals – sie haben eine andere Funktion bekommen.“ Mit der Beratung zu Versicherungs- und Finanzfragen könnte es ähnlich kommen. Wenn sie sich neu erfindet, hat sie immer Zukunft. Gerade in einer digitalen Welt.

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 01/2016, Seite 70f.

Grafik: Übersicht der FinTech-Unternehmen am deutschen Markt

Meistens noch Banking, aber immer mehr Versicherung: die deutsche FinTech-Landschaft im Herbst 2015

 
Ein Artikel von
Michael Franke
Marco Habschick