Interview mit Harald Rosenberger, Vorstandsvorsitzender der NÜRNBERGER
Herr Rosenberger, zunächst zu Ihrer persönlichen Gefühlslage: Sind Sie erleichtert, dass ein Käufer gefunden wurde und die Verträge unterzeichnet sind? Der Prozess muss ja auch für Sie anstrengend und emotional gewesen sein…
Zuallererst freue ich mich, dass wir in der VIENNA INSURANCE GROUP (VIG) einen aus unserer Sicht wirklich idealen strategischen Partner gefunden haben. Unser Ziel war es, einen Mehrheitsinvestor zu finden, der unsere Transformation zum Präventionsversicherer unterstützt und uns gleichzeitig Stabilität gibt, um unsere Eigenständigkeit dauerhaft zu sichern und unsere Marktposition in Deutschland auszubauen. Diese Partnerschaft bildet eine wichtige Voraussetzung, um uns in Zukunft noch besser auf die Anforderungen und den Bedarf von Kunden und Vertriebspartnern einzustellen. Der Einstieg der VIG ist im besten Interesse der NÜRNBERGER und aller ihrer Stakeholder. Mit einem Preis von 120 Euro je Aktie macht die VIG unseren Aktionären ein äußerst attraktives Erwerbsangebot. Die jetzt vereinbarte Partnerschaft ist das Ergebnis eines langen Prozesses. Klar, war das zeitweise auch anstrengend. Jetzt konzentrieren wir uns darauf, dass wir das Verfahren auch erfolgreich abschließen.
Die Nachricht von der Übernahme der NÜRNBERGER durch die VIG hat in der Branche große Wellen geschlagen. Haben Sie bereits erste Rückmeldungen von Maklern und Vertriebspartnern erhalten?
Nicht nur von Maklern und Vertriebspartnern, aber ganz besonders von ihnen, gab es sehr positives Feedback. Unzählige Anrufe, Nachrichten, Glückwünsche und Gratulationen ganz unabhängig von der Größe der jeweiligen Büros und Agenturen haben uns erreicht. Das zeigt, dass auch unsere Vertriebspartner den großen Wert erkennen, der in dieser strategischen Partnerschaft für alle liegt, die der NÜRNBERGER verbunden sind.
Die Logik dieser Partnerschaft ist bestechend: Unsere starke Marke, unsere Identität als NÜRNBERGER und der Standort in Nürnberg bleiben dauerhaft erhalten. Wir agieren auch weiterhin als eigenständige Einheit innerhalb einer starken internationalen Gruppe, bringen dort unsere Expertise allen voran im Einkommensschutz sowie unsere Vertriebsstärke ein. Gleichzeitig sichert die VIG notwendige Investitionen und Finanzierungsgarantien zu. Zudem profitieren wir gemeinsam von den Skalierungspotenzialen und Synergien. Das wird unsere Transformation beschleunigen und uns schneller machen in der Produktentwicklung und bei der Digitalisierung von Prozessen. Dinge, von denen vor allem unsere Kunden und unsere Vertriebspartner profitieren.
Einige der Investoren haben ja während des Prozesses öffentlich Kritik geäußert, nicht zuletzt über die Höhe des vorgeschlagenen Kaufpreises der Aktien. Wie begegnen Sie dieser Kritik?
Das vorliegende Erwerbsangebot über 120 Euro pro Aktie wird allseits als sehr attraktiv bewertet. Damit sind auch die Befürchtungen mancher Kritiker zerstreut worden. Es ermöglicht unseren Aktionärinnen und Aktionären, Ihre NÜRNBERGER-Aktien mit einer herausragenden Prämie zu veräußern und sich einen wesentlichen Teil der erwarteten Wertsteigerung sofort zu sichern. Die Tatsache, dass die VIG sich nach ihren Aussagen bereits vor Veröffentlichung des Angebotes mehr als 90% der Anteile gesichert hat, spricht für sich.
Wichtig sind für uns gerade auch die Reaktionen unserer Vertriebspartner. Und die waren, wie gesagt, sehr positiv. Sie freuen sich für und mit uns über die neuen Möglichkeiten, die diese Partnerschaft bietet.
Sie sind angetreten, um der NÜRNBERGER einen Kulturwandel zu verpassen. Wie stark hat sich der angedachte Kulturwandel angesichts des Verkaufs in einen „Kulturschock“ verwandelt?
Bei unserer Transformation zum Präventionsversicherer geht es insbesondere um die Weiterentwicklung unserer Unternehmenskultur. Dabei stellen wir Merkmale wie Mut, Vertrauen, Klarheit und Outcome-Orientierung ins Zentrum unserer Zusammenarbeit. Jede und jeder übernehmen Verantwortung für die Ergebnisse ihrer und der gemeinsamen Arbeit. Wir nennen das Performance-Kultur. Das ist sehr ähnlich der leistungsorientierten Unternehmenskultur der VIG. Zudem hat die VIG mit ihren Managementprinzipien „lokales Unternehmertum“, „Mehrmarkenstrategie“ und „Multikanalvertrieb“ eine hohe strategische Passung.
Unabhängigkeit ist kein Selbstzweck. Was ich seit Veröffentlichung erlebe, ist, dass Führungskräfte und Mitarbeitende daher sehr klar die Vorteile dieser Partnerschaft mit der VIG sehen zum Erhalt von Marke, Standort, Identität und Eigenständigkeit. Das zeigen auch die sehr hohen Zustimmungswerte aus unserer internen Umfrage gleich nach der Bekanntgabe der geplanten Partnerschaft. Zudem denke ich, dass sich viele bereits auf den internationalen Wissensaustausch freuen und gespannt und neugierig sind, welche Entwicklungsmöglichkeiten sich ihnen auch persönlich in dieser Gruppe eröffnen. Also es ist ein logischer nächster Schritt auf unserem Weg und diese Sicherheit gibt Vermittlern und Belegschaft Rückenwind.
Wie stark mussten angesichts der Entwicklungen Strategien und Prioritäten neu sortiert werden?
Überhaupt nicht. Es ist das gemeinsame Ziel dieser Partnerschaft, die Transformation der NÜRNBERGER zum Präventionsversicherer weiterzuführen und ihre Marktposition in Deutschland auszubauen. Unsere Prioritäten bleiben dabei unverändert. Mit der VIG gewinnen wir einen Partner, der unsere strategische Vision des Präventionsversicherers teilt, diese Transformation gezielt unterstützt und beschleunigt.
Im Zuge des angekündigten Restrukturierungsprogramms: Befürchten Sie die Abwanderung von Mitarbeitenden und damit den Verlust von für die Transformation bedeutenden Know-hows?
Im Gegenteil. Die NÜRNBERGER gehört zu den attraktivsten Arbeitgebern der Branche. Das hat kürzlich erst wieder eine Studie der Ratingagentur ServiceValue und der Tageszeitung „Die Welt“ bestätigt. Und die strategische Partnerschaft mit der VIG und ihre Vorteile für die NÜRNBERGER und ihre Mitarbeitenden macht uns als Arbeitgeber sogar noch attraktiver. Künftig gibt es die Möglichkeit, in einer starken Gruppe tätig zu sein.
Um die IT der NÜRNBERGER scheint es ja besonders schlecht zu stehen. In der Pressemitteilung war von erheblichen Investitionen der VIG in die IT-Transformation die Rede. Wo hakt es derzeit besonders?
Wie in der gesamten Brache ist auch bei uns die IT ein wichtiger Schlüssel zu mehr Produktivität und Effizienz. In den vergangenen Jahren haben wir große Fortschritte bei der Stabilität unserer IT-Systeme erzielt. Insbesondere im Bereich der Cybersecurity sind wir heute sehr gut aufgestellt und erfüllen höchste Sicherheitsstandards.
Dennoch stehen auch wir vor der Herausforderung, unsere historisch gewachsene IT-Landschaft zu modernisieren, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. Dabei wird uns die VIG unterstützen, denn sie haben zum Beispiel im Rahmen der erfolgreichen Migration eines Lebenbestandssystems wertvolle Expertise gewonnen. Auf dieses Know-how und die involvierten Fachleute können wir in Zukunft zurückgreifen.
Welche konkreten Projekte stehen oben auf der Agenda und wie bald sollen die Probleme gelöst sein?
Im Rahmen der Partnerschaft mit der VIG werden wir die Modernisierung unserer IT erheblich beschleunigen können. Dabei profitieren wir zum einen von den Investitionszusagen der VIG, zum anderen aber auch von der Expertise und dem Know-how der Gruppe. Geplant ist, in einem Großprojekt einige unserer derzeitigen Systeme schrittweise abzulösen und eine moderne, zukunftsfähige IT-Architektur aufzubauen. Diese Maßnahmen sind ein entscheidender Schritt, um eine leistungsfähige Plattform für unser künftiges Wachstum zu schaffen. Jeder, der sich mit dem Thema Informationstechnologie beschäftigt, weiß: Die Anpassung und Modernisierung von Systemen dieser Art ist ein Prozess, der Jahre dauert und nie ganz abgeschlossen sein wird.
Versicherungsmakler berichten, dass Wachstumsziele und Vertriebsstrategien der letzten Jahre teilweise zu Lasten einer sauberen Risikoprüfung gingen – insbesondere im Sachgeschäft. Ist dieses Problem heute behoben? Wie stellen Sie künftig sicher, dass Wachstum nicht zulasten der Bestandsqualität geht?
In der Tat haben ambitionierte Wachstumsziele in der Vergangenheit verbunden mit einer nicht erwarteten Inflation sowie ungewöhnlichen Großschäden und Naturkatastrophen dazu geführt, dass die Schadenquote und die Ergebnisse des Schaden-/Unfallgeschäfts zu einem hohen Verlust insbesondere 2024 geführt haben. Das darf und das wird uns nicht mehr passieren. Wir haben daher im vergangenen Jahr damit begonnen, unseren gesamten Bestand konsequent zu restrukturieren und zu sanieren. Dazu haben wir unseren Risikoappetit noch klarer gefasst. So haben wir uns aus einigen Sparten komplett zurückgezogen, wie beim internationalen Transportgeschäft. Zudem haben wir aufgrund der enormen Inflation und Kostensteigerungen bei der Schadenregulierung die Prämien erheblich angepasst, zum Beispiel bei den Kfz-Versicherungen. Wir sehen aktuell, dass sich inzwischen viele unserer Mitbewerber gezwungen sehen ähnliche Programme umzusetzen, ihre Prämien massiv erhöhen oder Bestände kündigen. Darüber hinaus haben wir unsere Partnerschaften mit Rückversicherern umfassender gestaltet. Um künftig unser Portfolio auf rein profitables Wachstum auszurichten, haben wir unter anderem Analysetools implementiert, mit deren Hilfe wir nun unsere Portfolien auf Basis von Projektionen nachhaltig und stabil aktiv steuern. Durch diese Investition in Produkt-Management und Underwriting-Exzellenz können wir inzwischen viel schneller auf Markttrends reagieren und sind heute bereits wesentlich widerstandsfähiger.
Wie haben Vertriebspartner auf diese teils einschneidenden Maßnahmen reagiert?
Bei all diesen Maßnahmen haben uns die meisten unserer Vertriebspartner trotz der schmerzhaften Einschnitte, die das für sie selbst und ihre Kunden bedeutete, maßgeblich unterstützt. Letztlich ist allen klar, dass dauerhaft zu hohe Schadenquoten für niemanden ein nachhaltiges Geschäftsmodell begründen. Die Sanierung und die Investitionen in unsere Underwriting-Exzellenz im Schaden- und Unfallsegment sind aber noch nicht abgeschlossen, schließlich geht es um mehr als nur um eine schwarze Null. Ziel ist es, dass wir spätestens ab 2027 auch in diesem Segment wieder nachhaltig und profitabel wachsen. Auch dabei wird uns die Partnerschaft mit der VIG zusätzlichen Rückenwind verleihen.
Auf der anderen Seite werden wir mit unserer Expertise in der Personenversicherung und dort insbesondere im Einkommensschutz als Kompetenzcenter wertvolle Impulse für die Gruppe setzen können und die Diversifizierungsstrategie der VIG unterstützen.
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