Kürzlich sorgte ein Gastbeitrag mit dem Titel „Das BaFin-Merkblatt zum Wohlverhalten geht auch Makler an“ für Irritationen bei Versicherungsmaklern. In dem Beitrag heißt es, die Vorstellungen der BaFin zum Wohlverhalten richten sich nicht nur an LV-Unternehmen, denn über die Vorschriften der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) seien auch Vermittler erfasst. Insbesondere Makler träfen aus der IDD eigene Pflichten in Form sogenannter Versicherungsvertriebsvorkehrungen. Der Kundennutzen stehe im Fokus der BaFin und „schlage damit auf die Prozesse der Vermittler durch“. Irritationen deshalb, weil die BaFin für die Aufsicht über Vermittler gar nicht zuständig ist, weil die Vorschriften der IDD an die Mitgliedsstaaten der EU adressiert sind und im Übrigen keine Sondervorschriften für Makler enthalten. Dennoch sind die Aussagen über die Pflichten der Vermittler über Vorkehrungen für den Produktvertrieb im Ergebnis richtig. Sie ergeben sich aber unmittelbar aus § 14 Abs. 1 VersVermV und der Delegierten Verordnung (POG) der Europäischen Kommission.
Anforderungen an Produkthersteller
Artikel 25 der IDD verpflichtet Versicherungsunternehmen und -vermittler, die Versicherungsprodukte zum Verkauf an Kunden konzipieren, zur Einführung eines sogenannten Produktfreigabeverfahrens. Darin müssen für jedes Produkt ein bestimmter Zielmarkt und ein angemessener Kundennutzen festgelegt werden. Die Produkthersteller müssen weiter gewährleisten, dass das Produkt den Bedürfnissen des Zielmarkts entspricht, und dies regelmäßig überprüfen sowie den Vermittlern sachgerechte Informationen zur Verfügung stellen. Vermittler müssen Vorkehrungen treffen, um diese Informationen zu erhalten und zu verstehen.
Im deutschen Recht setzt § 23 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) die Vorgaben der IDD für Versicherungsunternehmen sehr allgemein gehalten um. Die Vorgaben für Vermittler setzt § 14 Abs. 1 VersVermV ebenfalls sehr allgemein um.
Delegierte Verordnung der Europäischen Kommission
Zu Artikel 25 IDD hat die Europäische Kommission eine Delegierte Verordnung erlassen. Deren Inhalte sind sowohl für Versicherer wie auch für Versicherungsvermittler verbindlich. Sie legen konkretisierend Kriterien und praktische Einzelheiten für das Produktfreigabeverfahren fest. Die Verordnung gilt unmittelbar (ohne weitere Umsetzung!) in jedem Mitgliedsstaat der EU. Im deutschen Recht ergänzt sie § 23 VAG und § 14 Abs. 1 VersVermV.
Wichtig: Versicherungsvermittler, die bei der Konzeption und Entwicklung einzelner Versicherungsprodukte einen entscheidenden Einfluss haben, gelten als Hersteller und müssen ebenfalls ein Produktgenehmigungsverfahren einrichten. Und: Wenn Vermittler nicht als Hersteller gelten, müssen sie in jedem Fall Produktvertriebsvorkehrungen treffen.
Struktur der Delegierten Verordnung
In Kapitel I werden Gegenstand und Anwendungsbereich der Verordnung beschrieben. Ferner wird festgelegt, unter welchen Voraussetzungen ein Versicherungsvermittler in Anbetracht seines Einflusses auf die Entscheidungsfindung hinsichtlich der Konzeption und Entwicklung eines bestimmten Versicherungsprodukts als Hersteller anzusehen ist. In Kapitel II wird die zentrale Pflicht der Hersteller begründet, für alle neu entwickelten Versicherungsprodukte sowie für weitreichende Anpassungen bestehender Versicherungsprodukte ein Produktfreigabeverfahren aufrechtzuerhalten, umzusetzen und zu überprüfen. In Kapitel III werden die Anforderungen an Versicherungsvertreiber, die Versicherungsprodukte verkaufen, die nicht von ihnen hergestellt wurden, festgelegt.
Versicherungsvermittler gelten als Hersteller, wenn eine Gesamtanalyse ihrer Tätigkeiten zeigt, dass sie bei der Konzeption und Entwicklung eines Versicherungsprodukts für den Markt über Entscheidungsbefugnisse verfügen.
Anforderungen an Versicherungsvermittler
Versicherungsvermittler sind verpflichtet, sogenannte Produktvertriebsvorkehrungen zu treffen. Diese Produktvertriebsvorkehrungen müssen angemessene Maßnahmen und Verfahren umfassen, um sämtliche sachgerechten Informationen zu den Versicherungsprodukten, die sie ihren Kunden anzubieten beabsichtigen, bei den Herstellern einzuholen und diese Versicherungsprodukte unter Berücksichtigung ihrer Komplexität und des mit ihnen verbundenen Risikos sowie der Art, des Umfangs und der Komplexität des jeweiligen Geschäfts des Vertreibers in vollem Umfang zu verstehen. Versicherungsvermittler müssen die Vorkehrungen für den Produktvertrieb in einem schriftlichen Dokument festhalten und den betreffenden Mitarbeitern zur Verfügung stellen.
Die Produktvertriebsvorkehrungen sollen eine Benachteiligung des Kunden verhindern bzw. mindern, einen ordnungsgemäßen Umgang mit Interessenkonflikten unterstützen und sicherstellen, dass den Zielen, Interessen und Merkmalen der Kunden gebührend Rechnung getragen wird.
Versicherungsvermittler müssen sicherstellen, dass die von ihnen jeweils festgelegte bzw. angewandte Vertriebsstrategie der vom Hersteller aufgestellten Vertriebsstrategie und dem von ihm ermittelten Zielmarkt entspricht. Die für die Konzeption von Versicherungsprodukten zuständigen Stellen des Versicherungsvermittlers sind für die Festsetzung, Umsetzung und Überprüfung der Produktvertriebsvorkehrungen verantwortlich und müssen kontinuierlich die interne Einhaltung dieser Vorkehrungen überprüfen.
Die Versicherungsvermittler müssen ihre Produktvertriebsvorkehrungen regelmäßig einer Überprüfung unterziehen, um sicherzustellen, dass sie noch gültig und aktuell sind. Wenn dies nicht der Fall ist, müssen die Produktvertriebsvorkehrungen angepasst werden. Versicherungsvermittler, die eine spezifische Vertriebsstrategie festgelegt haben oder anwenden, müssen diese je nach Ergebnis der Überprüfung der Produktvertriebsvorkehrungen ggf. ändern. Im Rahmen der Überprüfung der Produktvertriebsvorkehrungen müssen Versicherungsvermittler auch prüfen, ob die Versicherungsprodukte an den ermittelten Zielmarkt vertrieben werden. Für die regelmäßige Überprüfung ihrer Produktvertriebsvorkehrungen müssen Versicherungsvermittler geeignete Prüfungsintervalle festlegen und dabei die Größe, den Umfang und die Komplexität der jeweiligen Versicherungsprodukte berücksichtigen.
Zur Unterstützung der von den Herstellern durchgeführten Produktprüfungen müssen Versicherungsvermittler den Herstellern auf Verlangen alle relevanten Verkaufsinformationen zur Verfügung stellen. Dazu zählen ggf. auch Informationen zu den regelmäßigen Überprüfungen der Produktvertriebsvorkehrungen.
Unterrichtung des Herstellers
Wenn ein Versicherungsvermittler erkennt, dass ein Versicherungsprodukt nicht im Einklang mit den Interessen, Zielen und Merkmalen des jeweiligen ermittelten Zielmarkts steht, oder ihm sonstige produktbezogene Umstände bekannt werden, die nachteilige Auswirkungen auf den Kunden haben können, muss er unverzüglich den Hersteller unterrichten und ggf. seine Vertriebsstrategie für das betreffende Versicherungsprodukt ändern.
Dokumentation
Die von den Versicherungsvermittlern in Bezug auf ihre Produktvertriebsvorkehrungen ergriffenen Maßnahmen müssen hinreichend dokumentiert, zu Prüfungszwecken aufbewahrt und den zuständigen Behörden auf Verlangen zur Verfügung gestellt werden.
Fazit
Die wenigsten Vermittler werden bei der Konzeption und Entwicklung eines Versicherungsproduktes für den Markt über Entscheidungsbefugnisse verfügen, die sie zu Herstellern qualifizieren. Die meisten Vermittler wird es aber überraschen, dass sie umfängliche Produktvertriebsvorkehrungen vorhalten und dokumentieren müssen. Vermittler sind gut beraten, sich damit zu beschäftigen.
Vermittler müssen sicherstellen, dass die von ihnen festgelegte bzw. angewandte Vertriebsstrategie der vom Hersteller aufgestellten Vertriebsstrategie und dem von ihm ermittelten Zielmarkt entspricht.
Über Hans-Ludger Sandkühler
Hans-Ludger Sandkühler ist Vertriebs- und Versicherungsjurist und verfügt über praktische Erfahrungen aus seinen langjährigen Tätigkeiten als Versicherungsmakler und Rechtsanwalt. Er ist ausgewiesener Experte in Maklerfragen, gefragter Referent und Autor zahlreicher Veröffentlichungen.
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