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10. November 2021
PKV-Beiträge: Wenn Klagen zum Bumerang werden
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PKV-Beiträge: Wenn Klagen zum Bumerang werden

Immer wieder landen Beitragssteigerungen in der PKV vor Gericht. Meist geht es darum, ob die Anpassungen formal korrekt sind. Aus Sicht der Versicherer lassen sie sich erklären, für Versicherte sind sie oft ein Schock. Die Deutsche Aktuarvereinigung e. V. (DAV) plädiert dafür, die Beitragsentwicklungen kontinuierlicher zu gestalten, erläutert Vorstandsmitglied Wiltrud Pekarek.

Seit geraumer Zeit stellen einzelne Anwaltskanzleien die Wirksamkeit von Beitrags­anpassungen in der privaten Krankenversicherung (PKV) zum Teil öffentlichkeitswirksam infrage. Im Fokus steht dabei vor allem die Auslegung der gesetzlichen und vertraglichen Regelungen zum Beitrags­anpassungsrecht und in diesem Zusammenhang die Frage, ob alle formalen Voraussetzungen für die wirksame Durchführung einer Beitragsanpassung gegeben waren. Die sachliche Notwendigkeit einer Beitragsanpassung oder die ordnungsgemäße Kalkulation der neuen Beiträge sind in der Regel nicht Gegenstand der Diskussionen. Aber was passiert, wenn Beitragsanpassungen für unwirksam erklärt werden?

Das Äquivalenzprinzip

Grundlage dieser Betrachtungen ist das sogenannte Äquivalenzprinzip, das die Gleichwertigkeit der vom Versicherer zu erbringenden Leistungen und der vom Versicherten zu zahlenden Beiträge über die gesamte Versicherungsdauer fordert. Dieses Prinzip wird in der PKV durch die Bildung von Alterungsrückstellungen realisiert: Das bedeutet, der Versicherungsbeitrag ist in den ersten Vertragsjahren höher als die in den Beitrag einkalkulierten Leistungen. Somit fließt ein Teil des Beitrags in die Alterungsrückstellung. Wenn sich im höheren Alter das Verhältnis umkehrt und die Leistungsausgaben höher sind als die Beitragseinnahmen, werden die fehlenden Teile aus der angesparten Alterungsrückstellung ausgeglichen. Der PKV-Beitrag ist also so bemessen, dass er über die gesamte Laufzeit die zu Versicherungsbeginn erwarteten Leistungen deckt.

Dieser kollektive Spar- und Entsparprozess muss infolge von medizinischer Inflation, zum Beispiel aufgrund neuer und häufig kostenintensiver Diagnoseverfahren, Änderungen der Sterbe- und Stornowahrscheinlichkeiten sowie der weiterhin sinkenden Verzinsung der Kapital­anlagen regelmäßig nachjustiert werden. Nur auf diesem Weg kann die Äquivalenz von Leistungen und Beiträgen sichergestellt werden. Hierfür steht ausschließlich das Mittel der Beitragsanpassung zur Verfügung.

Um als Versicherer die lebenslang garantierten Leistungen sicher erbringen zu können, hat der Gesetzgeber im Versicherungsaufsichtsgesetz unter bestimmten Voraussetzungen eine Beitragsanpassungsverpflichtung vorgesehen und entsprechend im Versicherungsvertragsgesetz verankert. Wird eine Beitragsanpassung aus rein formalen Gründen für unwirksam erklärt, die Äquivalenz somit nicht wiederhergestellt, ergeben sich Konsequenzen sowohl für den einzelnen Versicherten als auch für das Versichertenkollektiv.

Durch diese Störung des Äquivalenzprinzips werden die Alterungsrückstellungen nicht im nötigen Maße aufgefüllt und diese Lücke muss aus aktuarieller Sicht bei der nächsten Beitragsanpassung durch überproportional höhere Mehrbeiträge für den Einzelnen geschlossen werden. Die kurzfristige Beitragsreduktion nach einer erfolgreichen Beitragsrückforderung würde sich damit nach wenigen Jahren in einen lebenslang höheren Beitrag für diesen Versicherten umkehren. Darüber hinaus sind weitere nicht-aktuarielle Effekte zu berücksichtigen:

Nach dem Einkommensteuergesetz können PKV-Beiträge für GKV-ähnliche Leistungen steuerlich als unbeschränkt abzugsfähige Sonderausgaben geltend gemacht werden. Bei einer Beitragsrückzahlung muss somit der entlastende Effekt (Steuerminderung) der Vorjahre korrigiert werden. Die Beitragsrückzahlungen müssen vom Versicherer ebenso wie die Beitragszahlungen an die Finanzverwaltung gemeldet werden, was zu einer Nachbesteuerung führen kann.

Bei der Bewertung der finanziellen Auswirkungen einer für unwirksam erklärten Beitragsanpassung sind also viele Faktoren zu berücksichtigen, die sowohl auf die Höhe des rückerstatteten Betrags als auch auf die Höhe der zukünftigen Belastung durch zusätzliche Mehrbeiträge wirken bzw. wirken können.

Belastung des Versichertenkollektivs

Zurückgenommene Beitragsanpassungen wirken sich aber nicht nur auf einzelne Versicherte aus, sondern auch auf das gesamte Kollektiv. Denn Versicherungsunternehmen müssen die Überschüsse zum weit überwiegenden Teil als Überschussbeteiligung für die Versicherten verwenden. Branchenweit belief sich dieser Anteil im Jahr 2020 auf rund 88%. Aus der Überschussbeteiligung werden beispielsweise Beitragserhöhungen insbesondere bei älteren Versicherten teilweise begrenzt, wie es das Versicherungsaufsichtsgesetz fordert. Insofern führen sinkende Unternehmensgewinne aufgrund von rückabgewickelten Beitragsanpassungen zu niedrigeren Überschussbeteiligungen für das Kollektiv.

Steigende Leistungsausgaben führen zu höheren Beiträgen

Beitragsanpassungen in der PKV sind für die Kundinnen und Kunden verständlicherweise wie jede Preiserhöhung auf der Stromrechnung im ersten Moment ein (großes) Ärgernis. Doch meist hilft es, kurz innezuhalten: Denn die meisten Preisanstiege haben einen sinnvollen Grund. So sollen auch die nächsten Generationen noch eine bewohnbare Welt vorfinden. Aber die Ökostromwende gibt es nicht zum Nulltarif. Genauso ist es im Gesundheitssystem. Nur dank der exzellenten Forschung konnte in einem halben Jahr ein Corona-Impfstoff gefunden werden, Krebs ist heute viel besser behandelbar als früher und minimalinvasive Operationen machen viele Eingriffe weniger belastend. Dieser Fortschritt ist ein Segen, gleichzeitig aber auch mit steigenden Kosten verbunden. Und daher ist es unausweichlich, dass die Beiträge zur Krankenversicherung höher werden. Beitragsanpassungen sind also kein „Systemfehler“ der PKV, sondern eine Notwendigkeit, von der alle Krankenversich­erer betroffen sind – gesetzliche wie private. Die durchschnittliche Erhöhung der GKV-Beiträge der letzten zehn Jahre liegt knapp über der durchschnittlichen Anpassungshöhe der PKV.

Beitragsentwicklungen müssen und können verstetigt werden

Beitragsanpassungen in der PKV sind aktuariell notwendig und gesetzlich verpflichtend, um das Gleichgewicht zwischen Leistungen und Beiträgen über die gesamte Vertragslaufzeit aufrechtzuerhalten. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass die teilweise großen Beitragssprünge von 10% und mehr, die in unregelmäßigen Abständen auf die Versicherten zukommen, nur schwer nachvollziehbar sind. Aus diesem Grund setzt sich die Deutsche Aktuarvereinigung seit Jahren dafür ein, die Beitragsentwicklungen kontinuierlicher zu gestalten. Dafür wurden zuletzt 2018 konkrete Vorschläge unterbreitet, die nun hoffentlich von der neuen Bundesregierung im Interesse der rund acht Millionen Privatversicherten ernsthaft weiter diskutiert werden.

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 11/2021, Seite 28 f., und in unserem ePaper.

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Bild oben: © karenfoleyphoto – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Wiltrud Pekarek