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15. April 2021
PKV: Leistungsausschluss wegen verschwiegener „Anomalie“?

PKV: Leistungsausschluss wegen verschwiegener „Anomalie“?

Darf ein Versicherer nachträglich einen Leistungsausschluss erklären, wenn der Versicherungsnehmer eine „Anomalie“ verschwiegen hat? Das musste das OLG Frankfurt in einem Fall entscheiden, in dem ein privater Krankenversicherer die kieferorthopädische Behandlung eines kleinen Mädchens abgelehnt hatte.

Die Beantwortung von Gesundheitsfragen führt immer wieder zu Konflikten zwischen Versicherern und ihren Kunden. Das muss aber nicht zwingend daran liegen, dass die Versicherungsnehmer gesundheitliche Beeinträchtigungen bewusst unerwähnt lassen. Vielmehr kann auch eine unklare Frage das Problem darstellen, wie ein aktuelles Verfahren zeigt, zu dem nun das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main ein Urteil fällen musste.

Beantwortung der Gesundheitsfragen umstritten

Ein privat Kranken- und Pflegeversicherter forderte von seinem Versicherer die Erstattung von Aufwendungen für eine kieferorthopädische Behandlung seiner Tochter. Der Mann hatte im März 2017 den Abschluss einer privaten Krankheitskosten- und Pflegeversicherung beantragt. Hinsichtlich seiner mitzuversichernden neun Jahre alten Tochter antwortete er auf die Frage: „Bestehen/bestanden in den letzten drei Jahren Beschwerden, Krankheiten, Anomalien [...] die nicht ärztlich [...] behandelt wurden?“ mit „Nein.“

Backenzähne weisen Engstand auf

Die Tochter wiederum befand sich seit 2011 unter regelmäßiger zahnärztlicher Kontrolle, da bei ihr ein Engstand der Backenzähne vorlag. Im Sommer 2017 erlitt das Mädchen einen Unfall, im Zuge dessen sie sich einen Zahn abbrach. Im Zusammenhang mit dieser Behandlung wurde die Indikation für eine kieferorthopädische Behandlung gestellt.

Versicherer will Leistungsausschluss durchsetzen

Der Krankenversicherer vertrat die Auffassung, dass es sich bei dem Engstand der Backenzähne des Mädchens um eine anzeigepflichtige „Anomalie“ im Sinne der Antragsfrage gehandelt habe. Hätte das Versicherungsunternehmen gewusst, dass die Tochter eine derartige Anomalie aufweist, hätte es nach eigener Angabe einen Leistungsausschluss für die kieferorthopädische Behandlung vereinbart. Dementsprechend sei der Vertrag wegen Anzeigepflichtverletzung nachträglich anzupassen.

Versicherungsnehmer zeigt sich verblüfft

Der Versicherungsnehmer hat sich demgegenüber darauf berufen, dass er erstmals im Sommer 2017 von der Notwendigkeit einer kieferorthopädischen Behandlung Kenntnis erlangt habe. Zuvor habe nichts auf diese Notwendigkeit hingedeutet; insbesondere auch nicht der Engstand der Backenzähne.

Keine Anzeigepflichtverletzung

Das Landgericht hatte die Klage auf Kostenerstattung abgewiesen. Die Berufung vor dem OLG Frankfurt hingegen hatte überwiegend Erfolg. Der Versicherer sei nach Überzeugung des Gerichts nicht zur Vertragsanpassung unter Aufnahme eines Risikoausschlusses für die Behandlung von Zahnfehlstellungen/Anomalien berechtigt gewesen. Der Versicherungsnehmer habe keine Anzeigepflichten verletzt. Soweit bei seiner Tochter ein Engstand der Backenzähne vorgelegen und ihm bekannt gewesen sei, sei das nicht anzeigepflichtig gewesen.

Bedeutung von Anomalie ist unklar

Zum einen handele es sich bei dem Engstand nicht um eine Krankheit im versicherungsvertraglichen Sinne. Falls der Versicherer meine, es liege eine Anomalie vor, sei die Antragsfrage unklar. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer sei nicht erkennbar, was unter einer Anomalie im Zahnbereich zu verstehen sei. Gemäß der Definition im Duden verstehe man unter einer Anomalie eine Abweichung vom Normalen, eine körperliche Fehlbildung. Darunter dürfte der durchschnittliche Versicherungsnehmer eher eine Missbildung verstehen, als eine Zahn- und Kieferfehlstellung. Hinzu komme, dass dem Begriff der Anomalie eine gewisse Dauerhaftigkeit immanent sei, sich der Zahnstatus der neunjährigen Tochter des Klägers aufgrund fortschreitenden Wachstums und Zahnwechsels aber naturgemäß ändere.

Wertung des Versicherungsnehmers ist unzulässig

Die Frage verlange dem Versicherungsnehmer aber auf jeden Fall eine Wertung ab. Fragen jedoch, die eine Wertung des Versicherungsnehmers voraussetzten, seien grundsätzlich unzulässig, entschied das OLG Frankfurt. Derartige Fragen könnten deshalb auch keine Anzeigepflicht begründen. (tku)

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 24.03.2021 – 7 U 44/20

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