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16. April 2020
PKV-Tarifwechsel: „Fairness ist das Stichwort“

PKV-Tarifwechsel: „Fairness ist das Stichwort“

Tarifwechsel in der PKV sind ein umstrittenes Thema. Viele Versicherte brauchen Orientierung. KVoptimal.de hat sich auf die Tarifwechselberatung spezialisiert und kennt die Sorgen der Kunden sowie die Vorgehensweisen der Versicherer, erklärt Anja Glorius, Geschäftsführerin der KVoptimal.de GmbH.

Frau Glorius, wie ordnen Sie die Beitragsentwicklungen des Jahres 2020 ein?

Aus unserer Sicht fallen die Beitragserhöhungen bei vielen Gesellschaften planmäßig und branchenüblich aus. Wie immer gab es sowohl Tarife als auch Alterskohorten, die in der Einzelanpassung über die Stränge schlugen, aber im Gesamtbild, würde ich sagen, war es kein besonders auffälliges Jahr.

Wie sieht es mit steigenden Anfragen hinsichtlich eines PKV-Tarifwechsels aus?

Wir verzeichnen jedes Jahr ein erhöhtes Anfragevolumen bei Beitragserhöhungen. Das ist die Zeit, in der Kunden sich mit ihrem Vertrag und der Prämie beschäftigen. Zeitgleich stellen wir auch fest, dass das Know-how der Kunden steigt. Es werden nicht nur einfache Tarifwechsel angefragt, sondern auch aktiv die Berücksichtigung von steuerlichen Effekten und Leistungssteigerungen angefragt. Wir wechseln Tarife immer auch mit Blick auf das Rentenalter. Langfristige Planung ist in der PKV unerlässlich.

Wer fragt denn tendenziell überhaupt bei Ihnen an?

Wir haben uns auf langjährige PKV-Kunden spezialisiert. Ratsuchende sind im Durchschnitt 55 Jahre alt, Arbeitnehmer oder Unternehmer. Deren Verträge wurden oft Jahrzehnte nicht mehr aktualisiert und es existieren vertragliche Mängel: Leistungslücken, Unterversicherung und großer Frust über die PKV. Dazu herrscht ein Vertrauensverlust gegenüber den Versicherern. Kunden sehen nach der Beratung durch uns wieder Licht am Ende des Tunnels. Wir beraten jeden Kunden durchschnittlich sechs Stunden zum Thema PKV und Zukunft.

Ein Großteil der PKV-Versicherer hat sich zu einem fairen PKV-Tarifwechsel bekannt. Verlaufen die Wechsel denn zufriedenstellend?

Zufriedenheit liegt im Auge des Betrachters. Versicherer handhaben das Thema völlig unterschiedlich. Wir erleben Versicherer, die die Tarifwechselleitlinie ganz vorbildlich anwenden. Es gibt aber auch klare Tendenzen bei einigen Versicherern, die die Leitlinie aus unserer Sicht nicht nur falsch anwenden, sondern auch fachlich Defizite bei der Durchführung haben. Zum Beispiel verwendet ein Münchner Versicherer bei dem Vergleich von Leistungen ein Pfeilsystem. Dieses System ist ungenau. Wir haben den Versicherer daraufhin angesprochen und der verweist lapidar auf die AVB. Das hilft natürlich niemandem weiter.

Einem Kunden nur ein Tarifwechselangebot zu übermitteln und dies bei dem Wunsch nach einer Umstellung mit einem hohen versicherungsmedizinischen Zuschlag anzubieten, ohne die Möglichkeit des Mehrleistungsverzichts auszustatten, ist für den Kunden ein mangelhaftes Ergebnis in seinen Entscheidungsmöglichkeiten. Es spielen die Nachteile von Unisex, Risikoprüfung bei Leistungsverbesserungen, Mehrleistungsverzicht und die richtige Auswahl des Tarifes eine große Rolle. Da die Tarifwechselleitlinie nicht individualisiert auf die Kundenverhältnisse ist, kann dies auch selten zu dem wirklich besten Ergebnis führen.

Wie sieht die tatsächliche Wechselrealität aus und wohin wird gewechselt?

Unsere Kunden wechseln in den allerwenigsten Fällen den Versicherer. Tendenziell lässt der Kunde ein Wechselszenario fachlich prüfen und kommt im Anschluss zu dem Schluss, einen Tarifwechsel intern zu vollziehen, um sich seine erworbenen Rechte zu erhalten. Wir erleben auch, dass Kunden sich mit dem Gedanken tragen, den Standardtarif zu wählen. Im Ergebnis bieten sich andere Einsteigertarife des Versicherers an, da diese sogar günstiger sind und ein besseres Leistungsniveau haben. Die GKV-Rückkehr ist zwar im Gedanken des Kunden häufig ein Thema, scheitert aber in den meisten Fällen an den gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Rückkehr.

Welche Kriterien ziehen Sie in der Tarifwechselberatung insbesondere heran?

Zuerst prüfen wir alle Leistungen des Vertrages und definieren die Leistungslücken. Es kann für Kunden besser sein, ein breites Leistungsportfolio zu haben anstatt punktuelle Top-Leistungen. Ein Einbettzimmer ist schön, fehlen aber ambulante Transporte im Krebsfall, sind die Hilfsmittel eingeschränkt oder ambulante Therapien begrenzt, muss darüber gesprochen werden. Zeitgleich muss bei jedem PKV-Kunden das Rentenalter im Blick sein.

Können beim Wechsel eine neue Gesundheitsprüfung und neue Risikozuschläge anfallen?

Ja. Hat ein neuer Tarif Leistungsverbesserungen, ist der Versicherer zur Gesundheitsprüfung für den verbesserten Teil berechtigt. Im Anschluss muss man neben den Verbesserungen auch den Risikozuschlag in die Waagschale werfen. Denn dieser steigt ebenfalls bei einer Beitragserhöhung. Der Kunde hat gesetzlich vorgegeben aber auch das Recht, den Risikozuschlag abzuwenden und einen Verzicht der Verbesserungen zu vereinbaren. Was uns immer mehr auffällt: dass Versicherer strategisch gar keinen Risikozuschlag mehr anbieten, sondern immer einen Verzicht der Verbesserungen vereinbaren. So boykottiert man den Tarifwechsel seitens des Versicherers und schafft unzufriedene Kunden. Es sollte immer beides angeboten werden. Fairness ist das Stichwort.

Hohe Beiträge im Alter sollen durch Beitragsentlastungstarife aufgefangen werden. Aber helfen 100 Euro Entlastung, wenn der Beitrag auf 850 Euro steigt?

Es ist wichtig, über den PKV-Vertrag nachzudenken. Ein Entlastungstarif von 100 Euro ist schön, besser wären 250 Euro. Ein Arbeitnehmer hat im PKV-Bereich mit 65 ungefähr 250 Euro Beitragsreduzierung – KT, GZN, GRV-Zuschuss – „versichert“. Der erste Schritt beginnt bei der realistischen Einschätzung der Prämienerwartung im Alter. Der ermittelte statistische Beitrag im Rentenalter ist die Ausgangsbasis zur Planung der Finanzierbarkeit. Dabei kann auch der Beitragsentlastungtarif eine große Rolle spielen. Sinnvoll ist der Tarif häufig nur bei Angestellten, da diese vom Arbeitgeber auch einen Zuschuss erhalten und ihren Teil steuerlich geltend machen können.

Was passiert mit dem Entlastungstarif bei einem Wechsel?

In der Praxis entfallen die gebildeten Altersrückstellungen bei einem Anbieterwechsel. Hier stellt sich die Branche selbst ein Bein. Versichererwechsel sind klar gewünscht, aber nicht zu Ende gedacht. Es fehlt an Transparenz und objektiver Beratung.

Welche Rolle spielt bei den Beitragserhöhungen denn die mögliche Tatsache, dass der Kunde in einem geschlossenen Tarif feststeckt?

Hier ist auch die Tarifwechselleitlinie ein Problem. Es werden standardisierte Angebote erstellt und so großflächig alte und kranke Kunden in Kollektive überführt, die darin nicht vorgesehen sind. An sich ist das Geschlossensein eines Tarifes nicht immer schlecht, die Alternative wäre ja Unisex. Hier hat der Kunde aber erhebliche Nachteile, da die Entwicklung der Prämien aufgrund einer geringeren Neukundenzahl ungewiss ist und das Anrecht auf den Standardtarif entfällt.

Inwiefern empfehlen Sie den Abschluss eines PKV-Vertrags?

Wir beraten vorwiegend Angestellte oder Geschäftsführer. Wir geben dem Kunden zu verstehen, dass er mit privilegierten Leistungen keine Einsparung gegenüber der GKV zu erwarten hat. Vielmehr erkauft er sich einen gewissen Schutz mit Geld und muss daher seine Prämie bei Abschluss direkt so ausstatten, dass er sie auch langfristig finanzieren kann.

Was empfehlen Sie dabei den Kunden, um sich auf die Beiträge im Alter vorzubereiten?

Grundsätzlich ist es wichtig zu verstehen, dass die PKV lebenslang leisten soll. Beitragsstabilität ist ein Marketingbegriff, der bestenfalls in wenigen Bereichen der Wirtschaft existiert. Die gesetzliche Kasse und die privaten Versicherungen werden teurer. Der Kunde braucht eine gute Absicherung in der Lohnfortzahlung, die regelmäßig geprüft (Änderung Karenzzeit bei Arbeitgeberwechsel) und angepasst (Veränderung Einkommen) wird. Der Beratungsbereich des Krankentagegeldes mündet in die Berufsunfähigkeit und endet in der Altersvorsorge. Das Thema ist komplex und wer sich der Sache komplett annimmt, wird keine Probleme bekommen. Die PKV bietet unglaublich viele Vorteile. Tatsächlich fühlt der Kunde aber nur den finanziellen Ruin im Rentenalter. Hier klären wir auf und lösen die Thematiken der Angst auf.

Bild: © Zerbor – stock.adobe.com; KVoptimal.de

Das Interview lesen Sie auch in AssCompact 04/2020, Seite 42 f., und in unserem ePaper.

 
Ein Artikel von
Anja Glorius