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6. September 2019
Private Pflegeversicherung: Mehr denn je ein Muss

Private Pflegeversicherung: Mehr denn je ein Muss

Die soziale Pflegeversicherung (SPV) war immer als eine Teilleistungsversicherung ausgelegt. Darüber hinaus müssen Pflegebedürftige selbst für Kosten aufkommen. Der Münchener Verein räumt mit Fehleinschätzungen auf und zeigt Gesprächsansätze auf.

Von Dr. Rainer Reitzler, CEO der Münchener Verein Versicherungsgruppe

Quo vadis, soziale Pflegeversicherung? Diese Frage ist grundsätzlich einfach zu beantworten. Ab Ende 2020 gehen die letzten neun Babyboomer-Jahrgänge regulär in Rente. Zur Erinnerung: Das waren seinerzeit fast 12,5 Millionen Neugeborene. Vor diesem Hintergrund muss man nicht groß spekulieren, was mit der Pflegeversicherung geschieht: Die Zahl der Leistungsempfänger wird stetig zunehmen, ebenso die Ausgaben. Schätzungsweise werden wir in den nächsten zehn Jahren rund acht bis neun Millionen neue Leistungsempfänger erleben. Unabhängig von Zuwanderung oder Produktivitätssteigerung, der Beitragssatz im aktuellen Umlageverfahren wird steigen. Die „magische“ Grenze von maximal 40% Beitragssatz für die soziale Sicherung auf die Einkommen wird dann nicht lange zu halten sein. Zumal alle Regierungen es in den letzten Jahren immer geschafft haben, insbesondere das Rentensystem stetig und nachhaltig weiter zu belasten. In Zeiten sprudelnder Sozialversicherungsbeiträge kein Problem. Wenn die Konjunktur, aus welchen Gründen auch immer, abflauen sollte, dann muss man schon Optimist sein, um zu glauben, dass Zuwanderung und Produktivitätssteigerung das Finanzierungsproblem nachhaltig lösen können.

Vor diesem Hintergrund sind die aktuellen Überlegungen zur Ausweitung der Leistungen und Kosten der Pflegeversicherung mehr als kritisch zu betrachten: Ausbau zur Vollkaskoversicherung, bessere Entlohnung des Pflegepersonals, Verzicht auf die Inregressnahme von Kindern für ihre Eltern, die Hilfe zur Pflege erhalten, um nur die drei wichtigsten Aspekte aufzugreifen. Dabei besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass das Pflegepersonal ordentlich bezahlt werden soll. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Eine Mindestvoraussetzung, ansonsten werden wir den Bedarf an Fachkräften in den nächsten Jahren nicht decken können.

Können Milliardenzuschüsse die Lösung sein?

Will man die demografisch bedingte stetige Zunahme der Leistungen nicht durch die ebenso regelmäßige Anhebung der Beitragssätze finanzieren, bleibt auf den ersten Blick nur der Steuerzuschuss – in der Renten- und Krankenversicherung schon immer selbstverständlich. Bis zu 3 Mrd. Euro sind im Gespräch. Wäre dieses Geld nicht besser in die Förderung der privaten Vorsorge investiert? Man könnte die Förderung von heute 5 Euro auf 15 Euro anheben. 1,5 Mrd. Euro würden für mehr als acht Millionen geförderte Verträge reichen. Das ist eine erheblich effizientere Lösung als ein Steuerzuschuss. Warum? Ganz einfach, durch die Versicherungslösung erzeugen schon die 60 Euro Förderung im Jahr einen Hebel von möglicherweise zusätzlich 7.200 Euro Entlastung im Jahr.

Wie viel Vollkasko ist in den Ankündigungen enthalten?

Die Versprechungen sind vollmundig. Aber was steckt wirklich dahinter?

  • Vollkaskoversicherung: Es geht in der aktuellen Diskussion nur um Pflegekosten im Heim. Wohnen/Essen und Investitionskosten bleiben nach wie vor ausschließlich Sache der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen. Und von der ambulanten Versorgung ist gar nicht die Rede.
  • Verzicht auf die Inregressnahme von Kindern: Die bisherige Regressquote lag deutlich unter 2%. Das Problem scheint also möglicherweise woanders zu liegen. Sozialhilfe zu beantragen, empfinden die meisten Menschen grundsätzlich als unwürdig. Und: Wer Sozialhilfe beantragt, dessen Vermögen ist vorher aufgebraucht.

In all diesen Überlegungen spielen die Familienangehörigen, die nach wie vor die meiste Pflege übernehmen, keine Rolle. Die von Pflegebedürftigen und Angehörigen zu tragenden Kosten werden statistisch nicht erhoben. Experten schätzen das Volumen auf 15 bis 30 Mrd. Euro.

Private Vorsorge bleibt also trotz aller Versprechen notwendig

Die vorigen Ausführungen zeigen deutlich, dass private Vorsorge ein Muss bleibt, will man Vermögen bewahren und Familienangehörige nicht belasten.

Tabu-Thema Pflege im Gespräch – Warum eigentlich?

Das Thema Pflege ist sehr negativ besetzt. Das „Pflegebild“ in den Köpfen so vieler Menschen ist zu einfach: im Bett liegend, gefüttert werdend, auf das Ende wartend. 85% aller Pflegebedürftigen werden nach dem neuen Begutachtungsverfahren in den Pflegegrad 3 eingestuft. Damit stellt sich in den allermeisten Fällen noch lange nicht die Frage nach dem Pflegeheim oder dem Lebensende, sondern eher, wie man denn in diesem Fall am besten den Urlaub organisiert.

Der Schwerpunkt der Pflege ist zudem immer noch zu Hause bei den Angehörigen. Mehr als 50% der Pflegebedürftigen beziehen ein Pflegegeld. Dieser Personenkreis und damit meist auch die Menschen aus dem Umfeld sehen gar keine Pflegelücke. Auch wenn der Pflegedienst unterstützend kommt, bleibt eine ganze Menge Arbeit an den Angehörigen hängen. Das Hauptaugenmerk sollte auf die aus deren Portemonnaie zu zahlenden Kosten gelegt werden, weniger auf die Katastrophe im Heim mit Pflegegrad 5. Ein Zustand, den die Kunden sich nicht vorstellen wollen.

Auf den Punkt gebracht muss die Argumentation lauten: Pflegebedürftigkeit kostet eigenes Geld, Vermögen und Ressourcen. Und auch die Angehörigen müssen einen Teil der Pflege bezahlen. Auch das Thema Patientenverfügung ist ein guter Ansatz, um zum Thema Pflege ins Gespräch zu kommen.

Bild: © Evrymmnt – stock.adobe.com

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 09/2019, Seite 28f., und in unserem ePaper.

 
Ein Artikel von
Dr. Rainer Reitzler