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12. November 2019
Schluss mit Mythen: Warum KI und Open Banking Vermittler doch bedrohen

Schluss mit Mythen: Warum KI und Open Banking Vermittler doch bedrohen

Vermittler müssen weder KI, Amazon noch PSD2 fürchten, so ein Ergebnis der Elefantenrunde der DKM 2019. Das sieht InsurTech-Experte Dr. Robin Kiera anders. Er meint: Diese Mythen müssen weg, denn IT-Systeme seien die besseren Menschenkenner. Für Vermittler gebe es trotzdem Hoffnung. Hier sein Kommentar:

Vier Vorstandsvorsitzende der deutschen Assekuranz diskutierten in der Elefantenrunde der DKM 2019. Bei allem persönlichen und ehrlichen Respekt den Rednern gegenüber: Sie wiederholten zwei in der Versicherungswirtschaft häufig anzutreffende Mythen. Künstliche Intelligenz (KI) und PSD2/Open Banking würden den Vermittler nicht bedrohen, sondern ihn ins gelobte Vertriebsland führen. Beide würden die Informationslage für den menschlichen Berater verbessern. Beides Mythen. Gefährliche Mythen.

KI kennt den Kunden besser

Unter anderem hieß es, PSD2 etwa könne Vermittlern eine bessere Datenbasis zur Beratung zur Verfügung stellen. Auch seien Vermittler noch von Dauer vonnöten, da kein IT-System die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen kenne.

Zu solchen Aussagen können sich nur Verantwortliche hinreißen lassen, die wohl mehr über Digitalisierung reden, als selber digitale Produkte und Services in ihrem Leben zu verwenden. Denn jeder, der auch nur unregelmäßig über Amazon Einkäufe erledigt, stellt fest, dass IT-Systeme sehr wohl Wünsche und Bedürfnisse der Menschen kennen. Ordere ich eine neue Kamera, werden mir SD-Karte und Akkus vorgeschlagen. Wenn eine gewisse Zeit vergangen ist, erinnert mich Amazon daran, dass es mal wieder Zeit wäre, neue Adidas-Samba-Schuhe zu kaufen.

Ein anderes Beispiel ist der Musikdienst Spotify. Dessen Algorithmen sind mittlerweile so gut, dass das schwedische Start-up neue Lieder vorschlägt, die auf Anhieb so gut gefallen, als ob man sie schon seit Jahren zu seinen Lieblingssongs zählen würde.

Versicherer können KI nicht

Natürlich kennen „IT Systeme” die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen. Sie kennen diese sogar viel besser als es Menschen jemals für möglich gehalten haben. Daher ist die Rolle des persönlichen Vermittlers in Gefahr – zumal Algorithmen nicht auf die nächste Vertriebsausschreibung schielen müssen, sondern tatsächlich Kunden künftig mit passenden Produkten beraten könnten.

Auch wir, also die Branche, könnten solche Technologie nutzen: Allerdings verfügen Versicherer häufig nicht über diese Technologie oder Fähigkeiten, solche Technologie und Applikationen zu konzipieren und zu bauen. Auch verfügen Versicherer nicht über Applikationen, die Kunden solche Mehrwerte bieten, dass Kunden ihnen freiwillig ihre Wünsche preisgeben würden. Ein schlecht funktionierender digitaler Versicherungsordner oder Schadenprozess ist halt nicht das gleiche wie Amazon oder Spotify. Da müssten wir schon mehr bieten.

Open Banking als Sargnagel des persönlichen Vertriebs

Neben KI ist Open Banking nicht die Rettung des Makler- und Agenturvertriebs, sondern kann – neben Regulatorik, Provisionsdeckel und IDD – ein weiterer Sargnagel werden. Das ebenfalls in der DKM-Elefantenrunde genannte Argument, Kunden seien nicht bereit, ihre Kontoinformationen und Transaktionsdaten an Unternehmen zu übermitteln, stimmt schlichtweg nicht.

Millionen verwenden Online Banking. Millionen verwenden Banking-Apps. Millionen verwenden Multibanking-Apps. Allein N26 gewann innerhalb kürzester Zeit vier Millionen Kunden. 

Es mag zwar kritische Stimmen in der öffentlichen Debatte, in der Vorstandskantine und im sonntäglichen philosophischen Quartett geben – das konkrete Handeln der Menschen sieht jedoch anders aus. Auch sollte man sich von Umfragen – einem der Lieblingsinstrumente von Strategieberatern – nicht irreleiten lassen. Kunden mögen sich kritisch gegenüber der Nutzung von Daten äußern und empört über Facebook die Nase rümpfen, beim tatsächlichen Handeln sind die meisten weniger prinzipientreu als gedacht. Google, Facebook, Tencent und Alibaba haben sich dies zu eigen gemacht.

Open Banking und PSD2 stellen Entscheider der Assekuranz an einen Scheidepunkt. Die durch die Europäische Kommission erzwungene Öffnung des größten Schatzes der Bankenindustrie – die Vermögens- und Transaktionsdaten ihrer Kunden – bietet der Versicherungswirtschaft die Möglichkeit, digitale Produkte und Services zu bauen, die den Kunden tatsächlich im täglichen Leben helfen. Damit könnten wir eine wichtige Schnittstelle besetzen und wären dauerhaft auf dem Radar des Kunden.

Vielmehr noch, wir würden unserer Beratungsverpflichtung erstmals ernsthaft nachkommen. Denn wir wüssten es, wenn sich die Lebenssituation der Kunden verändert: Wenn das Kindergeld das erste Mal gezahlt wird, Gehälter erhöht werden bzw. wegfallen oder teurer Hausrat angeschafft wird. Wir könnten Kunden zum ersten Mal beim Aufbau, Ausbau und Erhalt von Vermögen und Absicherung gegen die Risiken des Lebens an der Seite stehen. Durch die anonymisierte Auswertung von Millionen Vermögens- und Transaktionsdaten könnten wir maßgeschneiderte Vorschläge für die unterschiedlichsten Kundengruppen entwickeln.

Um den Zugang zu den Konten unserer Kunden zu gewinnen, müssen wir nur zwei Dinge tun. Erstens auf gar keinen Fall der Versuchung erliegen, in strukturvertrieblicher Manier dem Kunden noch schnell eine in den Vertriebsplan passende Versicherung umhängen zu wollen. Dies zerstört das wenige in uns gesetzte Vertrauen unwiederbringlich. Zweitens müssen wir den Kunden einen wirklichen Painpoint im Leben kostenfrei lösen.

Die Vermögensverwaltungs-App für Vermögende OWNLY beispielsweise löst einen solchen Painpoint: Sie ermöglicht erstmals automatisiert eine ganzheitliche Vermögensübersicht über liquide und illiquide Assets. Im Hintergrund ziehen mehrere API unterschiedliche Daten für den Kunden zusammen, so dass dieser weiß, wieviel seine Häuser, sein Gold, seine Bitcoins, Aktien, Fonds, seine Kunst und Private Equity wert sind – auf den Cent genau. Auf Knopfdruck können Kunden Portfolios auf Risiken durchleuchten lassen. Selbstverständlich stehen im OWNLY-Club Finanzprodukte zum Verkauf – und es lächelt kein Finanzberater entgegen. Die über 1 Mrd. Euro Assets under Information sprechen eine eindeutige Sprache.

Komplettes Umdenken und eine neue Ehrlichkeit

Ich kann es gut verstehen, wenn sich Versicherungsvorstände auf einer Maklermesse zweier landläufiger Mythen bedienen, um die schon angespannte Stimmung nicht weiter ins Negative kippen zu lassen. In Zeiten radikaler ökonomischer Veränderungen hilft allen Beteiligten jedoch nur eines: Ehrlichkeit statt Mythen.

Künstliche Intelligenz und „IT-Systeme” können sehr wohl Wünsche und Bedürfnisse der Menschen erkennen und auch bedienen. PSD2 und Open Banking liefern nicht bessere Daten für den physischen Vertrieb, sondern haben das Potenzial, diesen zu ersetzen.

Anstatt mit Mythen zu beruhigen, sollten wir ganz konkrete Lösungen für Makler und Ausschließlichkeitsvertreter entwickeln, damit sie sich in einer digitalen Welt unentbehrlich machen können. Allen voran müssen „Vertriebler“ in ihren regionalen, demografischen und sozio-ökonomischen Communities zu persönlichen Marken werden – durch den massiven Einsatz von Social Media und Attention Hacking.

Einige Versicherer arbeiten schon daran. Auf diese wette ich.

Über den Autor

Dr. Robin Kiera ist InsurTech-Influencer – mit über 70.000 Followern auf LinkedIn, YouTube, Xing und Twitter und einer monatlichen Millionen-Reichweite. Er startete seine Karriere in der Assekuranz im Allianz-Management-Programm Vertrieb als Kundenberater. Anschließend bekleidete er mehrere Leitungspositionen bei Versicherern und Start-ups. Als Chief Product Officer verantwortete er die Vermögens-App OWNLY. Er gründete Digitalscouting.de – eine Plattform für Versicherungs- und Finanzprofis. Heute unterstützt Digitalscouting als Unternehmensberatung und Attention-Hacking-Agentur Banken und Versicherer. 

Bild: © Alexander Limbach – stock.adobe.com

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