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Steuern & Recht
5. September 2017
Semmeln kaufen, Waschmaschine leeren, durchs Fenster klettern – Was zählt als Arbeitsweg?

Semmeln kaufen, Waschmaschine leeren, durchs Fenster klettern – Was zählt als Arbeitsweg?

Kann der versicherte Arbeitsweg durchs Fenster führen? Wenn es darum geht, wann ein Arbeitsunfall vorliegt, geht es oft um Details. Aktuell wurden gleich mehrere interessante Fälle vor Gericht verhandelt – mit teils überraschendem Ausgang.

Ein Arbeitnehmer verletzt sich irgendwo auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder beim Verrichten einer berufsbezogenen Arbeit in privaten Räumen. Ob diese Unfälle als Arbeitsunfälle gelten, hängt oft von Details ab. Was ist, wenn jemand statt die Tür das Fenster nutzt, um sich auf den Weg zur Arbeit zu machen? Immer wieder landen interessante Fälle vor Gericht. Aktuell hat das Bundessozialgericht in mehreren davon entschieden und Klarheit verschafft.

1. Semmeln für die Brotzeit holen

Ein Mann will auf dem Weg zur Arbeit Semmeln für die Brotzeit einkaufen. Weil die Schlange vor der Bäckerei zu lang ist, kehrt er um und stürzt. Der Einkauf ist hier rein privat und steht nicht mehr unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung. In manchen Fällen gibt es zwar Ausnahmen, bei denen Wege zur Nahrungsaufnahme versichert sind – eine solche liegt laut dem Gericht aber nicht vor. Auch die Tatsache, dass der Kläger, als er stürzte, den Semmeleinkauf wegen der langen Schlange bereits wieder aufgegeben hatte und weiter zur Arbeit wollte, begründet den Versicherungsschutz nicht wieder. Die Unterbrechung des Arbeitsweges war hier klar abgrenzbar: Fährt der Arbeitnehmer mit einem KFZ zur Arbeit und unterbricht dabei für eine private Besorgung, so ist die Unterbrechung erst beendet, wenn er wieder ins Auto steigt. Dies war zum Zeitpunkt des Unfallereignisses noch nicht der Fall.

Bundessozialgericht, Urteil vom 31.08.2017, Az.: B 2 U 1/16 R

2. Die Wohnung durch das Fenster verlassen – mit Kokain im Blut

Ein Selbstständiger will zu einem wichtigen Arbeitstermin. Der Weg durch die Wohnungstür steht jedoch nicht zur Verfügung, weil ihm der Schlüssel dazu abgebrochen ist. Stattdessen will er durch das Fenster seiner Dachgeschosswohnung auf ein vorgelagertes Flachdach klettern und von dort ins Treppenhaus gelangen. Dabei stürzt er ab und bricht sich das Bein. Seine Klage hat Erfolg – es handelt sich um einen Arbeitsunfall.

Das Gericht begründete dies damit, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt den versicherten Weg erreicht hatte: Ist die Außentür des Wohnhauses nicht erreichbar, kann ausnahmsweise auch das Hinaussteigen aus einem Fenster direkter und damit unmittelbarer Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit sein. Dieses ist dann die Grenze zwischen dem unversicherten häuslichen und dem versicherten öffentlichen Bereich. Auch das konkrete Handeln des Klägers diente der versicherten Fortbewegung: Als sich der Kläger auf das Flachdach herabließ, hatte er dabei das Ziel, zum Ort der versicherten Tätigkeit zu kommen. Unerheblich sei dabei, dass er keinen „öffentlichen Verkehrsraum“ benutzte, so lange der Weg objektiv geeignet sei. Dies gilt laut Gericht, obwohl nach dem Unfall in seinem Blut Kokain nachgewiesen wurde: Die Wegefähigkeit des Klägers sei dadurch nicht beeinträchtigt.

Bundessozialgericht, Urteil vom 31.08.2017, Az.: B 2 U 2/16 R

3. Geschäftswäsche aus der Maschine holen – im Privatraum

Eine Friseurin will Geschäftswäsche aus der Waschmaschine holen. Die Waschmaschine befindet sich in einem separaten Raum, den die Klägerin sowohl für die private Wäsche als auch für die Wäsche aus dem Friseursalon nutzt. Der Weg dorthin führt durch den Flur ihrer Privatwohnung. Dabei knickt sie um und verletzt sich das Sprunggelenk. Laut Gericht befand sich die Friseurin auf einem versicherten Betriebsweg und erlitt somit einen Arbeitsunfall.

In diesem Fall gilt Ähnliches wie beim Heimarbeitsplatz. Befinden sich Wohnung und Arbeit im selben Haus, ist die Außentür nicht als Grenze für den Betriebsweg anzusehen. Entscheidend für den Versicherungsschutz sei hier nicht der konkrete Umfang der betrieblichen oder privaten Nutzung des Wohnungsflurs, in dem sich der Unfall ereignete. Entscheidend sei vielmehr, welche konkrete Verrichtung mit welchem Zweck die Klägerin in dem Moment des Unfalls ausübte.

Künftig wird dem Gericht zufolge als maßgebliches Kriterium bei Unfällen im privaten Wohnraum die objektivierte Handlungstendenz zugrunde gelegt. Im Einzelfall müssen jedoch die gesamten Umstände, wie der konkrete Ort und Zeitpunkt des Unfallgeschehens und dessen Zweckbestimmung, als Indiz berücksichtigt werden. (tos)

Bundessozialgericht, Urteil vom 31.08.2017, Az.: B 2 U 9/16 R