Ein Artikel von Ute Geishauser, Beraterin und Coach für Frauen in der Versicherungsbranche bei Flow im Business, spezialisiert auf soziale Nachhaltigkeit in der Assekuranz
Der Vertrieb bleibt das Herzstück der Kundenbeziehung. Die Erwartungen der jungen Generation und der Anspruch an moderne Arbeitskulturen verändern die Spielregeln im Vertrieb. Nur wer heute handelt, schafft die Basis für eine zukunftsfähige, resiliente Vertriebsorganisation.
Neben neuen Karrieremodellen und innovativen Reboarding-Konzepten fördern moderne Mentoringprogramme Vielfalt und geben Orientierung – auch in Konsolidierungszeiten. Immer mehr Gesellschaften erkennen: Mentoring ist weit mehr als ein Begleitprogramm, sondern wird zum strategischen Instrument, um Nachwuchs zu gewinnen, Potenziale zu entwickeln und den Vertrieb langfristig zukunftsfähig aufzustellen.
Der Vertrieb braucht weiterhin qualifizierte Köpfe
Die bevorstehende „Retirement-Welle“ der Babyboomer gefährdet vor allem die Schlagkraft des Vertriebs – und damit die zentrale Kundenschnittstelle der Branche. Ohne entschlossenes Handeln droht ein massiver Know-how-Verlust, der weder durch Digitalisierung noch durch zentrale Serviceeinheiten allein aufgefangen werden kann. Digitalisierung und Incentive-Maßnahmen schaffen kurzfristige Entlastung, doch sie ersetzen keine nachhaltige Nachfolge- und Kompetenzstrategie. Künstliche Intelligenz unterstützt Vertriebsprozesse bereits heute und steigert deren Effizienz, doch Vertrauen und persönliche Betreuung bleiben die entscheidenden Erfolgsfaktoren in der Kundenbeziehung. Deshalb muss der Fokus – heute mehr denn je – klar auf den Menschen im Vertrieb liegen. Maklerhäuser und Führungskräfte im Vertrieb stehen jetzt in der Verantwortung, gezielt neue männliche und weibliche Talente für den Außendienst aufzubauen, bestehende Mitarbeitende zu binden und auch die Attraktivität des Berufsbildes zu steigern.
Karriere in der Männer-Domäne Vertrieb
Verglichen mit anderen Branchen hat die Versicherungswirtschaft beim Thema Geschlechtervielfalt im Vertrieb erheblichen Rückstand. Im Außendienst stagniert der Anteil der weiblichen Führungskräfte seit Jahren. Und das, obwohl Hochschulen bereits hälftig mit Frauen besetzt sind und der Vertrieb den Absolventinnen nachweislich langfristig erhebliche Karrieremöglichkeiten eröffnet und viel Flexibilität bietet. Oft ist es die Aussicht, Familie und Selbstständigkeit künftig vereinbaren zu müssen, die Frauen dazu bewegt, sich für eine Festanstellung und gegen die Übernahme eines eigenen Unternehmens zu entscheiden.
Wie kann der Einstieg in die Vertriebslaufbahn gelingen?
Viele Gesellschaften haben erkannt, dass sie neue Wege gehen müssen, denn ohne ganzheitliche Konzepte zur Gewinnung, Entwicklung und Bindung von Frauen kann der Außendienst zum Auslaufmodell werden. Die Rahmenbedingungen im Vertrieb haben sich spätestens seit Corona verändert und teils durchaus verbessert, besonders für Mitarbeitende mit Familien(wunsch). Doch es braucht weitere Maßnahmen, die über die Fortsetzung der Frauenförderprogramme der letzten 30 Jahre hinausgehen. Damit der (Wieder-) Einstieg in den Vertrieb nachhaltig gelingt, braucht es Klarheit – sowohl auf Unternehmens- als auch auf Mitarbeiterinnenseite:
- Maklerunternehmen sollten sich klar für eine familienbewusste Kultur entscheiden – und diese Entscheidung mit konkreten Maßnahmen untermauern.
- Führungskräfte und ihre Vertriebsteams benötigen ein gemeinsames Verständnis für die praxisnahe Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen und leben diese vor.
- Interessentinnen und Rückkehrerinnen nach der Elternzeit brauchen vor dem Einstieg in den Vertrieb Klarheit hinsichtlich der Ausgestaltung der zukünftigen Rolle.
- Bei Vertriebsmitarbeiterinnen, deren Kolleg:innen und Führungskräften sollte ein gemeinsames Verständnis über Anforderungsprofil, Verfügbarkeit sowie Ziel- und Teamvorgaben vorhanden sein.
- Um neue Reboarding-Prozesse erfolgreich zu begleiten, kann gegebenenfalls bei Führungskräften ein Kompetenzaufbau notwendig sein.
Das Instrument Mentoring gewinnt im Vertrieb – auch in der Ausgestaltung als Reboarding-Mentoring – zunehmend an Bedeutung.
Mentoring: Win-win für Mitarbeiterinnen und Arbeitgeber
In der Branche zählt Mentoring entlang des Mitarbeiterinnen-Lifecycle heute schon zu den integralen Bestandteilen der Potenzialförderung. Inhouse-Mentoring-Programme zielen dabei meist darauf ab, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Für das Gelingen des Onboardings und auch des Reboardings nach der Elternzeit eignen sich zudem moderne Cross-Mentoring-Ansätze. Diese berücksichtigen gelebte Vereinbarkeitsthemen und adressieren zudem das Thema Resilienzförderung. Auch in komplexen Veränderungsphasen kann Mentoring stabilisierend wirken. Ganz besonders relevant wird dieses Instrument im aktuellen Konsolidierungsprozess innerhalb des Maklermarktes, der dazu führen kann, dass sich neue Mitarbeiterinnen oder auch Rückkehrerinnen faktisch ab Tag eins in einem „neuen“ Unternehmen wiederfinden. Die Unterstützung durch erfahrene Mentor:innen kann in diesen Fällen dazu beitragen, dass die Bindung ans Unternehmen gestärkt wird. Während Pat:innen bei fachlicher und sozialer Integration unterstützen, helfen erfahrene Mentor:innen, Unsicherheiten einzuordnen, Chancen zu reflektieren und Perspektiven zu entwickeln – trotz veränderter Einstiegssituation in die neue Aufgabenstellung.
Was entscheidet über die Zukunft des Außendienstes?
Inzwischen wird der Wunsch nach Familienbewusstheit in der Branche immer lauter. Auch in den Vertriebseinheiten fordern neue Generationen von Mitarbeitenden und Führungskräften zunehmend flexible Modelle, die Beruf und Familie vereinbar machen. Um sich zukunftsfähig aufzustellen, muss sich der Vertrieb dieser Herausforderung stellen.
Nachgefragt bei Dr. Christian Schareck, Senior Partner und Global Co-Head bei Roland Berger und Experte für die Versicherungsbranche in Deutschland
Herr Dr. Schareck, welche Maßnahmen sind für einen nachhaltigen Nachwuchsauf- und -ausbau erforderlich?
Die Werte jüngerer Generationen sind in Organisation und Führung zu integrieren. Jedes Unternehmen muss sein Zielmodell individuell entwickeln, insbesondere bei Karriere- und Vergütungsmodellen. Die neuen Arbeitsmodelle und Karrierepfade müssen echte Vereinbarkeit ermöglichen, insbesondere für Mitarbeitende mit Care-Verantwortung, die bislang zumeist noch von den Frauen übernommen wird. Entscheidend ist, zeitnah eine transparente „Ermöglichungskultur“ zu etablieren, die Teilhabe sicherstellt, ohne das Leistungsprinzip aus den Augen zu verlieren, und es eng mit den Unternehmenszielen verbindet. In der Branche wurden bereits umfangreiche Konzepte erarbeitet, die jetzt konsequent umgesetzt werden müssen. Qualitative Kontinuität in der Kundenbetreuung lässt sich etwa durch hybride Modelle wie Generationen-Tandems sichern, ergänzt um attraktive Nachfolge- und Anreizsysteme. Moderne Technologien entlasten zudem von Routinen und schaffen Freiraum für hochwertige, kundenzentrierte Beratung.
Bild: © Dr. Christian Schareck, Roland Berger
Das gesamte Interview von Ute Geishauser mit Dr. Christian Schareck findet sich in ihrem Buch:
Soziale Nachhaltigkeit
Ute Geishauser richtet sich mit diesem Buch an Entscheider:innen in HR, Fachbereichen, Vertrieb und IT, die den aktuellen Transformationsprozess aktiv mitgestalten. Gemeinsam mit Gastautor:innen zeigt sie auf, wie soziale Verantwortung und Beratungsexzellenz Hand in Hand gehen und welchen Beitrag die Branche als Arbeitgeber für Attraktivität, Resilienz und gesellschaftliches Vertrauen leisten kann. Mehr Infos gibt es unter flow-im-business.de.
Bild: © Ute Geishauser
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