Das Ostseehochwasser im Oktober 2023 zählt zu den schwersten Sturmfluten seit über einem Jahrhundert. Binnen weniger Stunden verursachten die extremen Wasserstände entlang der Küsten von Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern massive Schäden an privaten Wohngebäuden und gewerblichen Objekten sowie an Booten und Hafenanlagen. Doch für einen Großteil der entstandenen Schäden kamen die Versicherer nicht auf, da Sturmfluten in der Elementarschadenversicherung ausgeschlossen sind. Das bedeutet, dass trotz Abschluss dieser Zusatzversicherung Versicherte auf ihren Schäden sitzen blieben.
Ist ein Ostseehochwasser eine Sturmflut?
„Für viele Betroffene ist die Ablehnung nicht nachvollziehbar. Sie hatten sich bewusst zusätzlich gegen Überflutungen und andere Naturgefahren absichern wollen“, sagt Stephen Rehmke, Vorstand beim Bund der Versicherten e. V. (BdV). „Wenn dann nach einem sturmbedingten Hochwasser an einem Binnenmeer die Leistung verweigert wird, ist das auch rechtlich ziemlich fragwürdig.“
Seiner Ansicht nach ist nach den Versicherungsklauseln völlig unklar, was eine Sturmflut genau ist und insbesondere, ob auch ein Ostseehochwasser darunterfallen kann. Er argumentiert, dass die Ostsee als Binnenmeer kaum merkliche Gezeiten hat. Ein sturmbedingtes Hochwasser ähnele in der Form den Naturereignissen in anderen Regionen, wo Flüsse über die Ufer traten und schwere Schäden verursachten. Solche Überschwemmungen seien grundsätzlich versicherbar. Die Überlegung, dass mit dem Risikoausschluss von Sturmfluten auch ein Hochwasser auf der Ostsee gemeint sein könnte, liegt so eher fern, erklärt Rehmke.
Dürfen Versicherer diese Vertragsklausel verwenden?
Mit dieser Argumentation bereitet der BdV zusammen mit der Verbraucherzentrale Hamburg eine Musterfeststellungsklage vor. Breite Unterstützung bekommt das Vorhaben von weiteren Verbraucherzentralen im Norden Deutschlands. Ziel der Verbraucherschützer ist es auch, die Rechtslage grundsätzlich klären zu lassen – insbesondere, ob Versicherer den Begriff der Sturmflut in einer Vertragsklausel verwenden dürfen, wenn dabei für die Versicherten unklar bleibt, was letztlich versichert ist und was nicht.
Aufruf: Eintrag ins Klageregister und Spendengelder
Mit einer Musterfeststellungsklage können die Verbraucherschutzverbände die Ansprüche der Betroffenen konkret klären. Für Musterfeststellungsklagen gelten allerdings strenge rechtliche Voraussetzungen: Um die Klage einreichen zu können, bedarf es mindestens 50 vergleichbarer Fälle und auch Geld. Deshalb rufen die Verbände zur Eintragung in ein Klageregister und zu Spendengeldern auf. Erst wenn das Spendenziel von 60.000 Euro erreicht ist, könne Klage eingereicht werden, so der BdV. Gegen wen sich die Klage richtet, wird erst die Auswertung der gemeldeten Fälle zeigen. Es ist also auch möglich, die Klage gegen mehrere Versicherer zu erheben. Die Richtung kann derzeit noch nicht abgesehen werden, erklärt Stephen Remke auf Nachfrage.
Aufnahme von Sturmfluten in Pflicht-Elementarschadenversicherung?
Bei ihrem Aufruf haben die Verbände sicherlich auch die Verjährungsfristen im Blick. Gleichzeitig erfolgt er zu einem Zeitpunkt, an dem die weiteren Richtlinien für die im Koalitionsvertrag vereinbarte Pflicht-Elementarschadenversicherung festgelegt werden könnten. Verbraucherschützer und Länder wie Schleswig-Holstein setzen sich bereits seit geraumer Zeit dafür ein, dass Sturmfluten in den Versicherungsschutz aufgenommen werden. Dabei ist jedoch auch klar, dass eine solche Erweiterung voraussichtlich mit höheren Prämien für die Versicherten einhergehen wird. (bh)
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