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23. Juli 2020
Vermögensschadenhaftpflicht: Auf die richtigen Fragen kommt es an

Vermögensschadenhaftpflicht: Auf die richtigen Fragen kommt es an

Holger Sassenbach und Winfried Beyer haben ein Lehrbuch zur Vermögensschadenhaftpflichtversicherung (VSH) herausgebracht, das Mitarbeitern bei Versicherern und Vermittlern einen Einstieg in die Materie bietet. Im Interview mit AssCompact haben die beiden Autoren einen weiten Bogen gespannt rund um VSH und Berufshaftpflicht.

Herr Sassenbach, Herr Beyer, für etliche Berufsgruppen wie für Vermittler oder auch Rechtsanwälte ist eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung vorgeschrieben. Nun besteht aber auch in anderen Berufen das Risiko, einen Vermögensschaden zu verursachen. Für wen ist denn eine solche Absicherung noch dringend zu empfehlen?

Winfried Beyer (WB): Vermögensschäden können insbesondere in Berufsgruppen verursacht werden, in denen beraten, begutachtet oder betreut wird. Das sind zum Beispiel Unternehmensberater, Sachverständige oder Nachlassverwalter. Der Risikoschwerpunkt liegt hier im Bereich von falschen Empfehlungen, dem schlichten verrechnen oder auch dem versäumen von Fristen. Hieraus können sich Schadenersatzforderungen ergeben.

Holger Sassenbach (HS): Die Absicherung beruflicher Risiken sollte jeder selbstständige Freiberufler und Gewerbetreibende in Erwägung ziehen, denn Fehler können immer passieren. Dafür einzustehen fällt umso leichter, wenn damit kein eigenes finanzielles Risiko verbunden ist. Daher empfiehlt sich der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung aus denselben Gründen, aus denen der Abschluss einer Privathaftpflichtversicherung ratsam ist.

Wie lässt sich das Risiko für bestimmte Berufe überhaupt ermitteln und inwieweit gibt es Unterschiede in den jeweiligen Branchen?

WB: Für die meisten beratenden Dienstleister existiert kein einheitliches Berufsbild. So ist zum Beispiel die Berufsbezeichnung Unternehmensberater nicht gesetzlich geschützt. Das bedeutet ein ganz unterschiedliches Verständnis von den Aufgabenbereichen. Für den Vermittler stellt sich daher bei der Beratung die Aufgabe, den tatsächlich erbrachten Tätigkeitsumfang sorgfältig zu ermitteln. Er darf es beispielsweise nicht bei der Beschreibung „Werbeagentur“ belassen. Der Vermittler muss konkret nachfragen, welche Leitungen sein Kunde anbietet. Druckt er vielleicht selbst oder bietet er auch Softwareprogrammierung an? Hilfreich ist in diesem Zusammenhang auch ein Blick in die vom Dienstleister verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Darin finden sich häufig auch Haftungsvereinbarungen, die für die konkrete Ausgestaltung des Versicherungsschutzes wichtig sind.

HS: Darüber hinaus ist auch zu überlegen, welche beruflichen Versehen passieren können und welche Personen bzw. welches Vermögen dadurch Schaden erleiden können? Die Vielfalt der abzusichernden Dienstleistung bedingt eine Vielfalt der abzusichernden Schadenszenarien: All das zu ermitteln, ist die gemeinsame Aufgabe von Kunden und Vermittler, aber auch des Versicherers.

Ein wichtiger oder der wichtigste Punkt überhaupt ist die Versicherungssumme. Wonach richtet sie sich und wie hoch sollte sie sein?

WB: Bei den Pflichtversicherungen ist die Versicherungssumme vorgeschrieben, die mindestens abgeschlossen werden muss. In der Regel liegt sie bei 250.000 Euro bei einer jährlichen Gesamtleistung von 1.000.000 Euro. Diese gesetzliche Mindestversicherungssumme wird für viele Dienstleister jedoch nicht ausreichen. Gefährlich wird es, wenn als Grundlage der Versicherungssumme das erzielte Honorar zugrundegelegt wird. Dieses drückt in der Regel nicht das tatsächlich eingegangene Risiko aus. Hilfreicher Ansatzpunkt für die Diskussion einer angemessenen Versicherungssumme mit dem Versicherungsnehmer kann beispielsweise die gemeinsame Überlegung sein, welcher größtmögliche Schaden durch das Verschulden des Versicherungsnehmers bei einem einzelnen Kunden eintreten kann. Für die Festlegung der Versicherungssumme ist zwar der Versicherungsnehmer selbst zuständig, ein qualifizierter Vermittler kann mit seiner Erfahrung jedoch Hilfestellung geben, indem er die richtigen Fragen stellt.

HS: Diese Hilfestellung kann auch einem Branchenvergleich bestehen, dem sogenannten Benchmarking: Was sichern andere Dienstleister mit einem vergleichbaren Tätigkeitsspektrum ab? Alternativ lassen sich auch Risikoquantifizierungen vornehmen, indem Schadenszenarien stochastisch analysiert werden. Ein Worst-Case-Szenario allein ist in aller Regel ein teurer Ratgeber für den Einkauf von Versicherungen.

Ergibt sich in der Praxis im Schadenfall denn häufig das Problem einer Unterversicherung?

WB: Eine Unterversicherung wie bei einer Sachversicherung wird im Leistungsfall vom Versicherer nicht angerechnet. Er leistet bis zur Höhe der vereinbarten Versicherungssumme. Danach kann es jedoch für den Versicherungsnehmer kritisch werden. Eine Vielzahl der beratenden Dienstleister ist als Einzelunternehmer tätig. Das heißt, sie haften für berufliche Risiken mit ihrem Privatvermögen. Ist die Versicherungssumme ausgeschöpft und die berechtigte Schadenersatzforderung noch nicht vollständig beglichen, kann sich der Geschädigte persönlich an seinen Dienstleister halten.

HS: Die Unterversicherung kommt in der Praxis immer wieder vor, wenn zum Beispiel aus Kostengründen die Versicherungssumme zu niedrig gewählt wird oder vergessen wird, diese anzupassen an die Wertentwicklung der Mandate. Dies führt zu einem bösen Erwachen im Schadenfall, denn der Versicherer legt im Schadenfall immer die Versicherungssumme zugrunde, die zum Zeitpunkt des beruflichen Versehens galt. Nicht maßgeblich ist die Versicherungssumme zum Zeitpunkt der Schadenentdeckung, der Inanspruchnahme oder gar der Regulierung.

Selbstständige können Betriebs- und Vermögensschadenhaftpflicht zusammengefasst in einem Vertrag abschließen oder einen VSH-Baustein zur Betriebshaftpflicht hinzuwählen. Wie beurteilen Sie die verschiedenen Varianten?

HS: Das ist ein probates Mittel, um Verwaltungsaufwand und dadurch gegebenenfalls Kosten einzusparen. In der Praxis ist aber davon abzuraten, weil die Schadenbelastung des Vertrages beobachtet werden muss: Es kommt immer wieder vor, dass Schäden aus der Betriebshaftpflicht dazu führen, dass der Versicherer den Vertrag wegen fehlender Rentabilität kündigt, obwohl die Dienstleistung ordnungsgemäß war. Dann werfen solche Schadenfallkündigungen ein schlechtes Licht auf den Versicherungsnehmer, der bei der Suche nach einem neuen Versicherer ja Auskunft darüber geben muss, ob Vorschäden eingetreten sind. Dann ist es oftmals schwer nachzuweisen, dass die Schäden nicht aus einer fehlerhaften Dienstleistung herrühren. Deswegen sollte die Vermögensschadenhaftpflicht immer von der Betriebshaftpflicht getrennt sein.

Umgekehrt ist es immer zu empfehlen, den VSH-Baustein zur Betriebshaftpflicht hinzuzunehmen, um das Schadenszenario zu erweitern. Leider ist der Markt hierfür zurückhaltend, sodass Kunden und Vermittler dies nur mit Aufwand umsetzen können. Oftmals ist es daher zielführender, auch hier getrennte Verträge abzuschließen.

Und wie sieht es mit dem Thema Rechtsschutz aus? Bietet eine Vermögensschadenhaftpflicht hier ausreichend Schutz?

WB: Wie bei Haftpflichtversicherungen üblich, stellt der Versicherer den Versicherer nicht nur von berechtigten Ansprüchen Dritter frei, sondern wehrt auch unberechtigte Schadenersatzforderungen ab. Diese Abwehr geschieht auf Kosten des Versicherers, ggf. auch auf dem Rechtsweg. Man spricht hier auch von einer passiven Rechtsschutzfunktion der Haftpflichtversicherung.

HS: Die Vermögensschadenhaftpflicht ist sicherlich ausreichend, solange die Forderung kleiner als die Versicherungssumme ist. Sie setzt aber immer einen gedeckten Versicherungsfall voraus. Außerhalb dessen greift dieser Rechtsschutz daher nicht. Hierfür und für weitere Fälle empfiehlt sich vielmehr ein separater Rechtsschutz.

Lassen Sie uns noch die Maklerseite betrachten. Worin sehen Sie die größten Herausforderungen in der Vermittlung von Vermögensschadenhaftpflichtpolicen?

HS: Wie schon von Winfried Beyer angedeutet, ist eines der größten Risiken die Ermittlung des risikospezifischen Abdeckungsbedarfs, das heißt, welche Tätigkeit wird ausgeübt und kann zu welchen Schäden bei welchen Personen führen? Daneben steht das Risiko, die angemessene Versicherungssumme zu ermitteln. Schließlich – und das nicht zu vergessen – ist die Aktualisierung der Versicherungsbedingungen ein Risiko für den Vermittler, denn oftmals bringen Versicherer bessere Bedingungswerke auf den Markt, die für den Kunden Vorteile enthalten. Diese neuen Versicherungsbedingungen werden aber nicht automatisch dem Vertrag zugrundegelegt, sondern müssen immer individuell vereinbart werden, ggf. auch mit Wirkung für bereits begangene, aber noch nicht bekannte Pflichtverletzungen. Nur so hat der Kunde die Gewissheit, dass die für ihn günstigsten Versicherungsbedingungen bei der Regulierung zu Grunde liegen.

Bei der Regulierung schließlich bedarf der Kunde in aller Regel der Begleitung durch einen fachkundigen Makler: Die Schadenbearbeitung in der Vermögensschadenhaftpflicht weist Besonderheiten auf, weil nicht jedes berufliche Versehen automatisch zu einem begründeten Haftpflichtanspruch führt. Das zu ermitteln, setzt besondere Sachkunde auf Seiten des Versicherers, aber auch des Vermittlers voraus.

Welche Berufsgruppen sind denn besonders beratungsintensiv?

WB: Eine pauschale Antwort ist hier naturgemäß nicht möglich. Das bereits oben thematisierte Berufsbild des Kunden spielt bei der Beratung eine wichtige Rolle und kann sehr zeitintensiv sein. Die Intensität der Beratung steigt, wenn zum Beispiel vom Auftraggeber des Versicherungsnehmers geforderte vertragliche Haftungsvereinbarungen mit in den Versicherungsschutz einbezogen werden sollen.

HS: Die Beratung ist sicherlich einfacher für Kunden, die von Gesetzes wegen eine Vermögensschadenhaftpflicht benötigen. Ist das nicht der Fall, so sind insbesondere solche Berufsgruppen beratungsintensiv, bei denen ein Fehlerbewusstsein und ein Einstehenmüssen nicht sonderlich weit verbreitet sind.

Und welche rechtlichen Fallstricke lauern für Vermittler?

HS: Die rechtlichen Fallstricke für Vermittler sind vielfältig und können zu einer eigenen Schadenersatzpflicht führen. Dies beginnt der fehlerhaften Risikoermittlung, wenn das Tätigkeitsprofil nicht ausreichend untersucht wird. Es geht über den Risikotransfer, wenn Absicherungswünsche des Kunden nicht oder nicht schnell genug an den Versicherer übermittelt werden. Es begleitet die Risikoentwicklung, wenn hinzutretende oder wegfallende Risiken nicht hinzu gemeldet oder nicht abgemeldet werden. Und reicht schließlich bis zur Regulierung im Schadenfall, wenn die dem Kunden zustehende Versicherungsleistung vom Vermittler nicht genau ermittelt wird. Das alles ordnungsgemäß zu dokumentieren, ist eine weitere Stolperfalle für den Vermittler. In Anbetracht der Fülle der Fehlermöglichkeiten und des wirtschaftlichen Risikos, das damit verbunden ist, erstaunt es nicht, dass der Gesetzgeber den Vermittler zum Abschluss einer eigenen Vermögensschadenhaftpflicht verpflichtet, deren Versicherungssumme mit aktuell 1.276.000 Euro je Versicherungsfall deutlich über dem liegt, was oftmals die Kunden des Vermittlers selbst vorhalten müssen.

Infolge der Corona-Krise und wirtschaftlichen Einbußen der Firmen bis hin zur Insolvenz ergeben sich neue Fragen und das Thema Haftung infolge von Beratungsfehlern etc. könnte in den Fokus rücken. Mit welchen Folgen rechnen Sie hier für den Bereich der Vermögensschadenhaftpflicht?

WB: Fachleute gehen davon aus, dass sich eine Reihe von Unternehmen von den Folgen der Covid-19-Pandemie nicht erholen werden. Das ist dann das Arbeitsgebiet von Restrukturierungsberatern, meistens sind das Unternehmensberater oder spezialisierte Anwälte. Sie versuchen, das in Schieflage geratene Unternehmen am Markt zu halten. Damit verbunden ist wahrscheinlich eine verstärkte Nachfrage nach höheren Versicherungssummen, die der höheren Haftungsrisiken der mit der Restrukturierung betrauten Berater Rechnung tragen. Für diese Risiken bieten die Versicherer verschiedene individuelle Lösungen an.

Das Fachbuch „Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung“ ist im vvw Verlag erschienen.

Bild: © AA Studios – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Winfried Beyer
Holger Sassenbach