Die globale Wirtschaftslage ist derzeit alles andere als stabil – „volatil“ ist das wohl am häufigsten verwendete Wort in der Finanzbranche, um die Sachlage zu beschreiben. Und das hat gute Gründe, denn die Zeiten sind seit 2020 geprägt von einer Krise nach der anderen: der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die Energiekrise, die Inflation, diverse Eskalationen beim Krieg im Nahen Osten, ein US-Präsident, der mal Handelszölle mit weitreichenden globalwirtschaftlichen Auswirkungen etabliert, um sie dann gleich wieder zurückzunehmen. Und das sind „nur“ internationale Krisen. In Deutschland gibt es neue Bundesregierung, die Europäische Zentralbank hat diese Woche ihre neue Strategie vorgelegt und allgemein befindet sich Deutschland in der wohl längsten wirtschaftlichen Stagnationsphase seit dem 2. Weltkrieg.
Mit dieser Einordnung leitete GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen am Dienstagvormittag den Chefökonomen-Talk ein, der ca. alle sechs Monate stattfindet. Anwesend waren Jérôme Jean Haegeli, Chefökonom der Swiss Re, Dr. Michael Menhart, Chefökonom der Munich Re, und Ludovic Subran, Chefökonom der Allianz SE. Und ja, die globale Wirtschaftslage ist besorgniserregend – da waren sich alle Experten einig. Doch was heißt das für Deutschland?
Denkbar ungünstiger Zeitpunkt für einen Handelskrieg
Sollten sich die Handelskonflikte, die die USA derzeit mit diversen Ländern haben, nicht nur fortsetzen, sondern auch eskalieren, so käme dies für Deutschland zur „Unzeit“, wie es Michael Menhart von der Munich Re ausdrückt. Das erste Quartal war mit einem BIP-Wachstum von 0,4% für Deutschland noch vergleichsweise stark, auch durch recht starke Exportwirtschaft, doch zusätzliche Zölle hätten das Potenzial, die wirtschaftlichen Probleme wie stagnierende Güterexporte oder eine starke internationale Konkurrenz für manche deutsche Hersteller weiter zu verschärfen.
Auch für Unternehmen sei die Sachlage derzeit schwierig. Zwar hätten diese, so Menhart, sicher noch Reserven. Viele mittelständische Formen hätten jedoch in den letzten Jahren, die von geringem Wachstum geprägt waren, auf Rücklagen zurückgreifen müssen, um z. B. die Inflation oder die Energiekrise zu bewältigen.
Auch Ludovic Subran von Allianz SE sieht die Unternehmen vor schweren Herausforderungen und verweist auf jüngst erschienene Zahlen von Creditreform, die darlegen, dass es 2025 voraussichtlich 10% mehr Insolvenzen geben werde als noch im vergangenen Jahr. Subran selbst sei zufrieden mit dem neuen Finanzpaket aus Deutschland, da es ein wichtiges Signal politischer Handlungsfähigkeit sei. Es müssten jedoch diverse Voraussetzungen erfüllt sein, damit es seine guten Effekte für die Zukunft entfalten könne. Dafür brauche es gezielte Reformen bspw. beim Arbeitsmarkt oder aber bei der Steuerpolitik.
Dem stimmt auch Jérôme Jean Haegeli von der Swiss Re, für den vonseiten der Regierung „auf Worte Taten“ folgen müssen. Vor allem müsse Deutschland das „Red Tape“, die Bürokratie, abbauen. Weiterhin brauche man Investitionszusagen für Dekarbonisierungsmaßnahmen, denn Dekarbonisierungspolitik sei Wachstumspolitik. Und als dritten Punkt nennt Haegeli, ähnlich zu Subran, Deutschlands und Europas Beziehung zum Arbeitsmarkt, der flexibler werden müsse im Bereich Immigration, auch im Hinblick auf demografische Entwicklungen.
Europa und Deutschland sind politisch „verlässlicher“
Dennoch: Vor allem für Michael Menhart sind die Aussichten auf die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland und Europa eher positiv. Insbesondere zum Jahreswechsel werde die deutsche Wirtschaft deutlich an Fahrt gewinnen, denn Exporte seien nur ein Teil des Bildes. Auf der Seite des Konsums oder der Investitionen dürften die Entwicklungen deutlich positiver sein.
Hintergrund sei an dieser Stelle auch, dass es einen Grund gebe, warum man zuletzt viele Kapitalabflüsse aus den USA und nach Europa und auch Deutschland gesehen habe. Politische Verlässlichkeit, bei der Europa gegenüber den Vereinigten Staaten derzeit die Nase vorne habe, sei ein wertvolles ökonomisches Asset. Gleichzeitig bleibe die Unberechenbarkeit der US-Politik für Menhart die größte Herausforderung in den nächsten sechs bis zwölf Monaten. (mki)
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