Eines lehrt die aktuelle Corona-Pandemie: Menschen sind einfach unersetzlich – ob im privaten oder geschäftlichen Bereich. Ohne Menschen geht es nicht. Fragt man heute jemanden, was er am meisten vermisst, wird ein Großteil antworten „der menschliche Kontakt“. Genau da liegt auch in Zukunft die Chance für den Versicherungsvertrieb. Diese Ausnahmesituation bringt neue Herausforderungen mit sich. Für Vermittler gilt es, die Menschen dort abzuholen, wo sie gerade stehen, sie zu verstehen, sie zu lesen und Empathie zu zeigen. Denn das ist das Geheimnis eines guten Verkäufers.
Gefühle lesen
Gefühle zu lesen kann man lernen. Für Profiler gehört dies zum Handwerkszeug. Sie beobachten Menschen, lassen sich auf deren Umfeld ein und nehmen jede Regung ihres Gegenübers auf. Dazu zählen die Gestik, die Mimik, der Körper und natürlich das Gesagte. Aber da liegt jetzt der Unterschied zum normalen Vorgehen. Profiler interessiert vor allem der Kontext, in dem etwas gesagt wird. Außerdem ist es wichtig, die Motivlagen eines Menschen zu kennen. Denn alles, was jemand sagt oder tut, hat einen Grund. Warum machen Menschen etwas? Es kostet Energie, etwas zu sagen oder zu tun, also ist nichts umsonst, was beim Gegenüber geschieht.
Der Mensch im Vordergrund
Die äußeren Einflüsse sind von entscheidender Bedeutung in diesem Kontext. Fühlt sich der Gesprächspartner wohl? Gibt es Störfaktoren? Gibt es Stressoren? Neben der Motivlage ist es enorm wichtig, was der Kunde erreichen möchte. Welcher Typ ist er? Was sind seine Wünsche? Das Produkt, das verkauft werden soll, wurde bisher noch gar nicht erwähnt. Denn das ist erst einmal egal, vielmehr geht es um den Kunden oder besser gesagt um den Menschen, der gegenübersitzt – derzeit über den Bildschirm per Videocall via Skype & Co., irgendwann auch wieder im direkten Kontakt.
So gehen Profiler vor
Doch wie gelingt es, den Kunden besser zu erreichen? Profiler achten auf Kleinigkeiten, wie das folgende Beispiele eines Bewerber-Castings zeigt. Im Warteraum beobachtete ein Profiler eine Frau und bemerkte eine frische Operationsnarbe an ihrer Hand. Er fragt sie einfach, was es denn damit auf sich hätte. Die Frau antwortete bereitwillig und erzählte. Der Profiler stellte weder Fragen noch gab er sich desinteressiert. Was er zeigte, das war Verständnis. Nach etwa 20 Minuten stoppte die Frau plötzlich. Sie bemerkte selbst, dass sie sehr viel erzählt hatte, und zwar einem ihr völlig fremden Mann. Und es war sehr viel privater Inhalt. Was hat der Profiler gemacht? Er hat genau ihren wunden Punkt getroffen. Er beobachtete, suchte etwas, was seinem Gegenüber wichtig war, fragte gezielt nach und die Frau erzählte.
Mimikerkennung als „Waffe“
Hier geht es um Facial Action Coding System (FACS), ein unter Psychologen verbreitetes Kodierungsverfahren zur Beschreibung von Gesichtsausdrücken Diese Mimikerkennung im Zusammenspiel mit wichtigen psychologischen Erkenntnissen ist eine Art „Waffe“, die Verhörexperten weltweit nutzen, um Ergebnisse zu erzielen. Auch für den Vertrieb lassen sich diese Techniken erlernen und anwenden. Denn die Menschen haben sehr viel zu erzählen.
Drei Tipps, um Gestik und Mimik zu lesen
- Es gilt, den Gesprächspartner genau zu beobachten: Was steht am Schreibtisch? Welche Kleidung trägt er, welche Accessoires wie Uhren oder Schmuck? Hat er mimische Ticks? Ist der Tisch aufgeräumt, unordentlich? Gibt es Familienbilder oder Fotos von Hobbys usw.?
- Die Beobachtungen lassen bereits Rückschlüsse zu, um welchen Typ Mensch es sich handelt. Ist er menschenorientiert oder eher sachorientiert? Extrovertiert oder eher introvertiert? Hier bieten sich Ansatzpunkte für das Gespräch.
- Jetzt kommt die Königsdisziplin: Mimik und Gestik beobachten. Welche Gefühle werden wann und in welchem Zusammenhang gezeigt? Passen die Emotionen zum Gesagten? Warum erzählt der Gegenüber genau diesen Sachverhalt? Welche Gefühle offenbart er dabei? Aus ihrer Praxis wissen Profiler: Jede Bewegung im Gesicht unterhalb der Nasenwurzel, außer einem Lachen, ist ein negatives Gefühl.
Lockerungen bei Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen gibt es bereits, vielleicht sehen sich Vermittler und Kunden bald wieder von Angesicht zu Angesicht und haben nicht nur Kontakt über Telefon oder den Bildschirm per Videoberatung. Im Beratungsgespräch gilt es in jedem Fall, auf die Kunden einzugehen. Die Tipps eines Profilers können dabei helfen.
Über den Autor
Jürgen Stephan arbeitet als Profiler und hat jahrelange Erfahrung in der forensischen Psychiatrie. Er ist Experte, wenn es darum geht, Mimik zu entschlüsseln. Mit dem Fraunhofer Institut entwickelte Stephan eine Software zur Gesichtserkennung. Der Profiler berät Sicherheitsunternehmen, Politiker und Vorstände. Gleichermaßen können seine Tipps auch für den Vertrieb eingesetzt werden. Entsprechende Trainings bietet der Analytiker an. Weitere Informationen erhalten Interessierte unter www.der-profiler.de.
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