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4. August 2017
Was ist Blockchain? Und was heißt das für Versicherer und Vertrieb?

Was ist Blockchain? Und was heißt das für Versicherer und Vertrieb?

Der Begriff Blockchain ist in aller Munde. Was steckt hinter dieser Technologie und wie kann sie die Versicherungswirtschaft und den Vertrieb verändern? Wie Blockchain Prozesse beschleunigen, neue Produkte schaffen und mit künstlicher Intelligenz wirken kann, beantwortet Oliver Volk, Allianz Re Blockchain-Experte und B3i-Vertreter.

Herr Volk, wir müssen ganz von vorne anfangen: Was ist die Blockchain-Technologie?

Auf Basis der Blockchain-Technologie können Anwendungen programmiert werden. Die Blockchain-Technologie zeichnet sich dabei durch Dezentralität, Unveränderlichkeit und Transparenz aus. Wir müssen grundsätzlich zwischen öffentlichen Blockchains und privaten Blockchains unterscheiden. Eine öffentliche Blockchain ist eine dezentrale Datenbank, die von keiner zentralen Autorität verwaltet wird, also keinen Besitzer hat. Eine private Blockchain ist vergleichbar mit einem Intranet, das von einer Firma oder Organisation betrieben wird und bei dem der Zugang der Teilnehmer beschränkt werden kann. Die bekannteste öffentliche Blockchain ist momentan Bitcoin, mit der man Geld ohne die Zuhilfenahme eines Zwischenhändlers überweisen kann. Viel schneller, aber genauso sicher wie bei einer Bank, die dafür noch dazu weit höhere Gebühren verlangen würde.

Was ist so anders als bei gängigen Softwareprogrammen oder dem „bisherigen“ Internet?

Während es das Internet ermöglicht, von überall auf Informationen zuzugreifen, kann man mithilfe der Blockchain-Technologie das gleiche mit Werten machen. Also beispielsweise kann man Geld oder Patente transferieren ohne auf Zwischenhändler, sogenannte Intermediäre, angewiesen zu sein. Die dahinterliegenden Verträge – sie heißen Smart Contracts – sind automatisiert. Alle Parteien greifen auf einen einheitlichen Datensatz zu. Dieser ist dezentral und identisch auf allen teilnehmenden Rechnern gespeichert und somit fälschungssicher. Im Vergleich zu bisher gängigen Softwareprogrammen ist Blockchain meiner Meinung nach revolutionär: Es ermöglicht, Anwendungen zu erschaffen, die nicht von einer Autorität kontrolliert werden und bei der man den anderen Teilnehmern, auch wenn man sie nicht kennt, vertrauen kann, da das „Vertrauen“ im System programmiert wurde und durch einen sogenannten Konsensusmechanismus sichergestellt wird.

In welchen Bereichen kann die Blockchain-Technologie in der Versicherungswirtschaft angewendet werden?

Die Blockchain-Technologie ist ein Mittel, um die Digitalisierung der Versicherungswirtschaft weiter voranzutreiben. Dies kann die gesamte Wertschöpfungskette der Versicherungsindustrie betreffen, angefangen beim Endkunden, der eine Versicherung sucht, über den Makler, der berät und Angebote vergleicht, bis hin zu Erstversicherern die den Versicherungsschutz bieten. Neben dem B2C-Bereich gibt es auch für den B2B-Bereich viele Möglichkeiten. Ein Beispiel aus der Versicherungswirtschaft: Ein Erstversicherer kann seinen Kundenstamm zum Beispiel zusätzlich gegen Naturkatastrophen bei einem Rückversicherer absichern, der das Risiko teilweise an einen weiteren Rückversicherer, den sogenannten Retrozessionär weiterleitet. In jedem Prozessschritt geht es um Vertragsbeziehungen zwischen sehr vielen Parteien. Genau hier liegt das große Optimierungspotenzial der Blockchain-Technologie: Das gesamte Vertragsmanagement kann automatisiert, transparent und fälschungssicher ablaufen.

Die B3i-Initiative beschäftigt sich mit diesen Themen. Was macht die Initiative?

Die Blockchain-Initiative der Versicherungswirtschaft, B3i, wurde im Oktober 2016 gegründet und ist ein globaler Zusammenschluss von 15 der führenden Erst- und Rückversicherer. Dazu gehören Achmea, Aegon, Ageas, Allianz, Generali, Hannover Re, Liberty Mutual, Munich Re, RGA, SCOR, Sompo Japan Nipponkoa Insurance, Swiss Re, Tokio Marine Holdings, XL Catlin und Zurich Insurance Group. B3i erforscht das Potenzial der Blockchain Technologie und hat das Ziel, Standards für digitale Arbeitsabläufe der Versicherungsbranche zu entwickeln. Der Prototyp wird am 10.09.2017 auf der „RVS Monte Carlo“ präsentiert, die seit 60 Jahren eine der wichtigsten Austauschplattformen für die Rückversicherungs- und Versicherungsbranche ist. Makler, Versicherer und Rückversicherer sind herzlich eingeladen, sich von B3i den „Smart Contract“-Ablauf präsentieren zu lassen.

Geben Sie uns doch bitte noch ein paar praktische Beispiele, was sich genau mit Blockchain verändern könnte.

Es werden neue Produkte ermöglicht. Beispielsweise kann ein Versicherungsvertrag vollautomatisiert ausgeführt werden. Es wurde beispielsweise ein Pilotprojekt für eine Flugverspätungsversicherung durchgeführt: Erreicht ein Flug verspätet sein Ziel oder muss abgesagt werden, dann wird dies von dem Flughafen dokumentiert und diese Information automatisiert an den sogenannten Smart Contract des Kunden gemeldet. Der Versicherungskunde erhält unmittelbar den finanziellen Ausgleich überwiesen, der bei einer Verspätung oder Flugannulierung im Versicherungsvertrag als Kompensation vereinbart wurde.

Lassen Sie uns auf den Vertrieb sehen. Wie würde Blockchain hier die Wertschöpfungskette verändern?

In erster Linie wird die Blockchain-Technologie genutzt, um Ineffizienzen in bestehenden Prozessschritten zu beseitigen. Für den Vertrieb können sich dadurch Vorteile ergeben, dass Daten nicht mehr redundant in unterschiedliche Systeme eingegeben werden müssen, sondern dass es einen einheitlichen Datensatz gibt, der dezentral auf dem System verteilt ist und von allen Berechtigten editiert werden kann. Je mehr Parteien an diesem System teilnehmen desto größer werden die Effizienten sein. Deswegen ist die Blockchain-Technologie auch als Basis für digitale Plattformen prädestiniert. Sämtliche Änderungen werden mit einem Zeitstempel und dem Hinweis auf den Verfasser gespeichert und abgelegt. Die Historie ist immer nachvollziehbar. Alle Nutzer greifen auf die für alle identischen Datensätze zu. Statt viel Zeit mit administrativen Aufgaben und Abstimmungsprozessen zu verbringen, kann sich der Vermittler vermehrt um die Beratung des Kunden kümmern.

Wird der Versicherer oder Rückversicherer als Institution letztlich überhaupt noch gebraucht?

Blockchain bietet Möglichkeiten, die so bisher noch nicht realisierbar waren. Allerdings handelt es sich auch um eine sehr junge Technologie. Bitcoin als bisher bekannteste Anwendung existiert erst seit 2008 und erst seit 2014 ist der Einsatz von Smart Contracts technisch möglich geworden. Kurzum: Die Technologie muss noch weiter erforscht werden. Es ist aber abzusehen, dass sich die Rolle der Versicherer und Rückversicherer aufgrund der neuen Automatisierungsmöglichkeiten wandeln wird. Dass die Assekuranzunternehmen in absehbarer Zukunft gänzlich obsolet werden, ist aber aus meiner Sicht nicht realistisch.

Wann werden wir praktische Umsetzungen sehen?

Die ersten Pilotprojekte gibt es ja bereits. Praktische Anwendungen werden wahrscheinlich zuerst im Rahmen interner Optimierungsprojekte umgesetzt werden und für den Endkunden noch gar nicht sichtbar werden. Daraus werden sich dann auch neue Produkte ableiten lassen. Dies wird allerdings sicher noch zwei bis drei Jahre dauern. Einen verbreitenden Einsatz wird Blockchain spätestens erfahren, wenn die Technologie weiter gereift ist, vorhandene technische Probleme überwunden sind und für den Kunden ein Mehrwert geschaffen werden kann.

Hat Blockchain etwas mit künstlicher Intelligenz zu tun?

Die Blockchain-Technologie hat noch nichts mit künstlicher Intelligenz zu tun. Grundlage ist eine dezentrale Datenbanktechnik, ein Verschlüsselungs- und ein Einigungsmechanismus. Smart Contracts sind lediglich in Programmiersprache übersetzte, konventionelle Verträge. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass zum Beispiel künstliche Intelligenz (KI) dann ein Faktor werden kann, wenn es um die Analyse von Daten geht, die ein bestimmtes Versicherungsereignis auslösen. Wenn ein Versicherungsschutz gegen einen Tornado besteht, dann kann KI mithilfe von Wetterdaten und Nachrichten- oder Social-Media-Meldungen feststellen, ob das versicherte Ereignis für einen Kunden eingetreten ist oder nicht. Big Data und Sensorik werden hier zukünftig auch eine große Rolle spielen.