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29. November 2019
Wenn der Wegeunfall keiner war

Wenn der Wegeunfall keiner war

Eine Frau war auf dem Weg in die Arbeit auf einem nicht gestreuten oder geräumten Weg gestürzt und hatte sich eine langwierige Verletzung zugezogen. Daraufhin forderte sie von ihrem Arbeitgeber Schmerzensgeld, aber das bekommt sie laut einem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts nicht.

Der Wegeunfall ist ein Klassiker unter den versicherten Tätigkeiten in der gesetzlichen Unfallversicherung. Doch was manchmal auf den ersten Blick wie ein solcher aussieht, hält einer gerichtlichen Bewertung dann gar nicht stand.

Kein Winterdienst am Nebeneingang

Im konkreten Fall war eine Pflegefachkraft eines Wintermorgens zum Dienst in einem Seniorenpflegeheim angetreten. Dabei wählte sie den Nebeneingang zum Gebäude und parkte ihr Auto in der Nähe, jedoch nicht auf dem Betriebsgelände. Auf dem Weg zum Nebeneingang rutschte sie aus und zog sich eine Fraktur am Außenknöchel zu - nun auf dem Betriebsgelände. Der Nebeneingang zum Gebäude war nicht beleuchtet, nicht gestreut und nicht geräumt.

Schwere, langwierige Verletzungen

Die Verletzungen der Verunfallten waren schwer und langwierig. So musste der Frau eine Metallplatte zur Schienung der Fraktur eingesetzt werden und ein mehrtägiger Krankenhausaufenthalt folgte. Im Weiteren traten auch noch Wundheilungsstörungen auf, die die Frau mehr als fünf Monate massiv einschränkten. Aus diesem Grund forderte sie von ihrem Arbeitgeber Schmerzensgeld und die Übernahmen aller aus dem Prozess entstandener Kosten sowie den Verdienstausfall ihres Ehemannes, der sich um sie und die Kinder kümmern musste. Außerdem forderte sie die Auslagen für ihre Fahrtkosten zu Ärzten, Physiotherapie etc.

Prozessverlauf

Sowohl vor dem erstinstanzlichen Arbeitsgericht Rosenheim, als auch vor dem Landesarbeitsgericht München war die Frau mit ihren Forderungen über insgesamt mehr als 30.000 Euro gescheitert. Und auch vor dem Bundesarbeitsgericht sollte ihr kein Erfolg beschieden sein.

Kein Wegeunfall

Das oberste deutsche Arbeitsgericht gab den Ansprüchen der Klägerin nicht statt. Zum einen handelte es sich bei dem vorgebrachten Wegeunfall nicht um einen Wegeunfall. Es sei zwar tatsächlich eine versicherte Tätigkeit gewesen, die die Klägerin ausgeübt hatte, diese habe sich jedoch erst auf dem Betriebsgelände des Arbeitgebers ereignet. Somit sei ein Wegeunfall ausgeschlossen, da die Frau das Ziel ihrer Tätigkeitsausübung bereits erreicht hatte.

Kein Vorsatz gemäß Haftungsprivileg

Im Übrigen befinde sich der Arbeitgeber im Haftungsprivileg. Dementsprechend müsste für die Haftung ein doppelter Vorsatz herrschen. Der Arbeitgeber muss mit seinem Vorsatz nicht nur die Verletzungshandlung herbeigeführt haben, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen. Dies war laut Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht der Fall. Der Arbeitgeber habe sinnvoll gehandelt, wenn er zuerst den Haupteingang räumen und streuen ließ und sich erst im Anschluss den Nebeneingängen zuwandte. So habe diese vorsätzliche Unterlassung zwar zur Verletzungshandlung geführt, jedoch war der Verletzungserfolg kein Vorsatz. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts bleibt demzufolge bestehen. (tku)

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. November 2019 – 8 AZR 35/19

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