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12. April 2021
Wer Klimaschutz für einen Trend hält, versteht Bedeutung nicht

Wer Klimaschutz für einen Trend hält, versteht Bedeutung nicht

Nachhaltigkeit zieht auch in die Sachversicherungen ein. Versicherungsmakler Volkmar H. Haegele rät dazu, bei dem Thema kritisch zu bleiben. Er hat sich der nachhaltigen Beratung verschrieben, gehört zum Netzwerk „Grüner Makler“ und hat den nachhaltigen Assekuradeur agencio mitgegründet.

Herr Haegele, anders als bei der Altersvorsorge denkt man bei Haftpflicht- oder Hausratversicherung weniger an Nachhaltigkeit. Gibt es schon ein entsprechendes Bewusstsein bei Sachversicherungen?

Ja, nachhaltige Komposit-Versicherungen werden zunehmend nachgefragt. Das sind meist junge Menschen und Familien, denen die Zukunft am Herzen liegt und die gerne wissen möchten, was mit ihren Prämien passiert. Doch die Anforderungen an Versicherer im Sinne der ökologischen, ökonomischen und sozialen Dimensionen gehen weit darüber hinaus.

Sie haben sich einer „grünen Beratung“ verschrieben. Wie darf man sich das vorstellen?

Die Marke „grün vorsorgen“ entstand 2017, als es darum ging, die ethischen und ökologischen Finanzkonzepte stärker in den Fokus zu rücken. Mit Umweltthemen beschäftige ich mich bereits seit über 20 Jahren. Vieles, was heute Trend sein soll, ist ja schon seit den 80ern bekannt. Daher berücksichtige ich in der Beratung nicht nur individuelle Faktoren, sondern auch die Umwelt und ethische Werte. Diese „Hin-zu-Dienstleistung“ soll allen Generationen weltweit erlauben, anständig zu leben – heute wie zukünftig.

Die, die sich bewusst für eine grüne Versicherung entscheiden, sind erfahrungsgemäß internetaffin, loyal und verursachen weniger Schäden. Und dass nachhaltige Finanzberatung honoriert wird, zeigte sich auch, als „grün vorsorgen“ im Februar zum „Local Hero“ der nachhaltigen 222+ Unternehmen gekürt wurde.

Zunächst denkt man daran, was Versicherer mit der Prämie machen – also an die Kapitalanlage. Hinsichtlich des EU-Aktionsplans für ein nachhaltiges Finanzwesen ist dies ein aktuelles Thema. Worauf achten Sie da?

Zunächst vertraue ich nicht auf die Aussagen der Versicherer. Wer Klimaschutz oder Nachhaltigkeit für einen (Mega-)Trend hält, hat die existenzielle Bedeutung für unsere Zukunft noch nicht verstanden.

Wir befinden uns in einem globalen Transformationsprozess, sprich einem umfassenden Umbruch der Technik, Ökonomie und Gesellschaft. Dieser Wandel stellt schon heute Anforderungen an jeden von uns. Wir können jedoch mit jedem Euro, den wir ausgeben, die Richtung mitbestimmen. Müssen Flüge von Nürnberg nach Frankfurt sein? Müssen Plastik-Gadgets an Makler verschickt werden?

Dabei könnten uns die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) bei nachhaltigen Finanzprodukten helfen. Ich prüfe grundsätzlich die Positiv- und Negativkriterien und die nicht-finanziellen Berichte, die größere Versicherer im Rahmen ihrer unternehmerischen Gesellschaftsverantwortung (CSR) publizieren müssen. Leider stelle ich dann beim Blick in die Datenbank des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) oft fest, dass es mit Transparenz und Vergleichbarkeit nicht so einfach ist. Liest man die Analysen von Urgewalt oder Facing Finance, versteht jeder, warum Kritik angebracht ist.

Bei Sachversicherungen könnte man auch noch auf andere Dinge sehen, zum Beispiel auf die Art der Reparaturen. Was gibt es denn in dem Bereich schon?

Ja, da gibt schon ein paar „green Gadgets“, für die Sie extra bezahlen dürfen: Die einen Anbieter übernehmen höhere Kosten bei Erstattung und Reparatur über nachhaltige Unternehmen – Kunden sollten das aber vorher anfragen. Um die Wirkung zu erhöhen, zahlen andere noch Mehrkosten für baubiologische Beratung und Produkte sowie das Beachten von bestimmten Öko-Siegeln. Wer mehr möchte, entscheidet sich dann für einen Tarif, der für den Neuvertrag – einmalig – einen Baum pflanzt oder in ein Klimaschutzprojekt zur CO2-Kompensation im Schadenfall spendet. Ob jedoch die marktübliche Digitalisierung oder die Übernahme von Betankungsschäden in eine Nachhaltigkeitsklausel gehören, sehe ich kritisch.

Reichen Ihnen denn generell die bisherigen Angebote am Markt aus?

Nein. Aktuell gibt es nur einen „dunkelgrünen“ Anbieter. Deshalb beschlossen Holger Koppius und ich, den nachhaltigen Assekuradeur agencio zu gründen. Mit dem Versicherungsverein GVO, der verstärkt auf Nachhaltigkeit setzt, haben wir schon einen wertvollen Partner an unserer Seite. Parallel entsteht mit Wissenschaftlerinnen die Genossenschaft climaverde eG, die ihre Klimakompetenz beisteuern wird. Gemeinsam wollen wir ab Sommer 2021 mit „Klimaschutz im Versicherungsmantel“ innovative Komposittarife zu marktgerechten Prämien anbieten, die eine wirkungsorientierte Nachhaltigkeitsstrategie verfolgen.

Wo ist noch Luft nach oben?

Gehen wir zunächst in die Tiefe. Aktuell erweitern wir mit Dirk Natschke den „Mr-Money“-Vergleichsrechner. Ziel ist, die Komposittarife auf Basis von öffentlich zugänglichen CSR-Daten sowie grünen Tarifleistungen vergleichbar zu machen. Möglicherweise führt die gewünschte Transparenz dann zu mehr Impacts in zukünftigen Tarifen.

Sachversicherungen werden zunehmend digitaler, Sie haben auch schon die Digitalisierung angesprochen. Unterstützt die Digitalisierung den Nachhaltigkeitsgedanken – oder schafft sie stattdessen sogar neue Probleme?

Die Digitalisierung ist Teil des Transformationsprozesses in allen Lebensbereichen. Auf der einen Seite kann sie Zeit und Kosten sparen helfen. Man erreicht schneller neue Zielgruppen ohne Flugzeug und beschleunigt Prozesse. Und sie verändert unsere Kommunikation: Wir können uns transparenter informieren – auch in Bezug auf unseren Konsum.

Kritisch ist, dass die Technik jedoch wertvolle Rohstoffe benötigt, deren Förder- und Verwertungsprozess noch nicht ausreichend geregelt ist. Und die Digitalisierung benötigt Energie, die zwar über Ökostrom bezogen, ansonsten jedoch kompensiert werden muss.

Funktioniert Nachhaltigkeit bei Gewerbeversicherungen auch?

Ja, bestimmt, wobei manche Branchen kritisch sind, da sie Nachhaltigkeitsrisiken beinhalten. Ob Unternehmensgrün, Entrepreneuers4Future oder Gemeinwohlökonomie – die Nachfrage ist da, nur nicht das richtige Angebot. Davon ist auch Susanne Mewis vom Weltladen Bremen überzeugt und sagt: „Für uns hört faires und ökologisches Handeln nicht bei fairem Kaffee und Bio-Schokolade auf, sondern betrifft alle Lebensbereiche. Dazu zählt beispielsweise neben Ökostrom und Lieferservice per Fahrrad auch eine nachhaltige Versicherung mit ethisch-ökologischen Grundsätzen.“

Im Rahmen der climaverde-Tarifwelt beschäftigt sich hiermit aktuell Andreas Maul, ein weiterer „Grüner Makler“.

Wie sieht es aus Ihrer Sicht bei der Altersvorsorge und dem Vermögensaufbau aus?

Mit Wertpapieren und Sachwerten lässt sich schon lange nachhaltig Vermögen sowie mit Fondspolicen Altersvorsorge aufbauen. Hier sollte man jedoch darauf achten, dass auch der Deckungsstock der Anbieter und die Fonds kritisch hinterfragt werden.

Sie sind auch Spezialberater für das Heilwesen. Passt der Bereich gut zum Thema Nachhaltigkeit?

Ja, das Thema ist im Heilwesenbereich schon längst angekommen. Beispielsweise hat meine Kollegin in der Klimagenossenschaft, Roxane Rohleder, zu Nachhaltigkeitsberichten in Zahnarztpraxen geforscht. Es gibt sogar gemeinwohlbilanzierte Praxen und Apotheken – da wird auch nach Versicherungen gefragt. Auch hier haben wir schon spannende Ideen für nachhaltige Tarife.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 04/2021, Seite 38 f., und in unserem ePaper.

Bild: © Proxima Studio – stock.adobe.com

 
Ein Interview mit
Volkmar H. Haegele

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Wilfried Stras… am 13. April 2021 - 08:17

Ich habe in sozialen Medien öfters darauf hingewiesen das Firmen wie Black Rock, die sogar ehrlicherweise behaupten dies nicht nur wegen des Naturschutzes, sondern auch weil dort Gewinne zu erzielen sind, mehr bewirken als nur Badelatschen Träger unter sich. Dafür wurde ich heftig attackiert, weil wie immer in Deutschland, was nicht zu 100% umgesetzt wird, nicht ÖKO sein kann. Wie eine Firma, die an fast allen DAX Unternehmen beteiligt ist komplett aus diesen Systemen aussteigen kann, ohne ein Chaos zu hinterlassen, erschließt sich mir nicht.

Ich sitze seit Jahren in Vorträgen großer Finanzverwalter und Versicherungen, die sich wirklich ernsthaft bemühen, die Natur zu retten. Da sind Merkel und Altmaier, außer inhaltsleeren VOKALBEKUNDUNGEN nicht einmal in Spurenelementen so weit.

Im Gegenteil, Deutschland ist der Verhinderer, oft allein von Umweltverbesserungen in der EU, was aber bestimmt nicht nachhaltig die Wirtschaft fördert, sondern nur die Wirtschaft von GESTERN stärkt, So einfach so klar. Das digitale Desaster im FAX Land und Karteikarten Land ist ja jetzt wohl schon allen bekannt. Mehrfach dasselbe tun und niemals das gesamte im Blick. Man hat da erst in Wochen einen nicht korrekten Überblick, was in Asien nur Sekunden dauert. Dies gilt für alle Bereiche des Lebens und manifestiert die Rückständigkeit, wird aber in den Medien auch noch als Erfolg gepreist.

Wer aber das Fundament nicht richtig baut, wird-man ist ja schon gut-sich keinesfall anstrengen um die Zukunft für die Jugend zu gestalten.

Trotz Greta, haben sie erst 2020 das Thema UMWELT in D und der EU in Kategorie B heruntergestuft. Dümmer ist NICHT mehr möglich. firmen und Versicherungen

Wenn man weiterhin diesen Kapitalfirmen vertraut, kann man dann in der Jahreshauptversammlung deutlich machen das weitere Bemühungen in Richtung Natur und gleichzeitig Ausstieg aus Waffen, destruktiver Chemie und Mobilität, Energie umgesetzt werden sollen.