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11. Oktober 2022
Wie eine generationengerechte Finanzierung der Pflegeversicherung gelingt

Wie eine generationengerechte Finanzierung der Pflegeversicherung gelingt

Noch sei es für durchgreifende Reformen in der Pflegeversicherung nicht zu spät, konstatiert der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. In einem Gutachten rückt er besonders drei Aspekte in den Vordergrund, mit denen eine nachhaltige Kostenverteilung möglich wäre, ohne die jüngeren Altersgruppen zu überlasten.

Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat sich bereits in mehreren Sitzungen mit der Thematik „Nachhaltige Finanzierung von Pflegeleistungen“ auseinandergesetzt und dazu jüngst auch ein Gutachten veröffentlicht.

Aufstockung der SPV-Leistungen ist nicht generationengerecht

Im Gutachten prognostiziert der Beirat einen weiteren steilen Anstieg der Beitragssätze in der Sozialen Pflegeversicherung (SPV), ausgelöst durch die Alterung der Bevölkerung. Im Zusammenhang mit dieser Prognose wird vor einer weiteren Ausdehnung der Pflegeversicherungsleistungen gewarnt und der Beirat legt dar, wie es gelingen könnte, dass die Generation der „Babyboomer“ einen größeren Teil der von ihr benötigten Pflegeleistungen durch Kapitaldeckung selbst finanziert. „Eine weitere Aufstockung der SPV-Leistungen würde zu einer erheblichen Umverteilung von den jüngeren zu den älteren Generationen führen und innerhalb der älteren vor allem die Vermögenden begünstigen“, erläutert der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats, Prof. Klaus Schmidt von der LMU München. Damit würde die Generationengerechtigkeit, wie sie üblicherweise verstanden werde, verletzt.

Für Reformen der Pflegeversicherung ist es noch nicht zu spät

Im Unterschied zur Rentenversicherung sei es für durchgreifende Reformen der Pflegefinanzierung noch nicht zu spät, so der Beirat. Daher begrüße man es auch, dass die Bundesregierung das Thema Pflegeversicherung auf die Agenda für diese Legislaturperiode gesetzt habe. Denn noch gebe es die Möglichkeit, auf die zu erwartenden Finanzierungsprobleme zu reagieren: Der Löwenanteil der Pflegeleistungen werde von Menschen in sehr hohem Alter, meist erst 15 bis 20 Jahre nach dem Renteneintritt, benötigt. Daher sei es noch möglich, dass die Generation der „Babyboomer“ einen größeren Teil ihrer eigenen Pflegekosten selbst finanziere, indem sie genügend Kapital anspare, argumentiert Prof. Friedrich Breyer von der Universität Konstanz, der das Gutachten federführend betreut hat.

Drei Aspekte im Blickfeld

Zur generationengerechten Finanzierung der Pflegeversicherung hält der Beirat folgende Aspekte für wichtig:

1. Der vom Jahr 2030 an zu erwartende Anstieg des Beitragssatzes sollte abgeflacht werden, beispielsweise durch eine sofortige maßvolle Anhebung des Beitragssatzes zum Zweck der Aufstockung des Pflegevorsorgefonds. Der Fonds müsse wirksam vor einer vorzeitigen Entnahme der Mittel geschützt werden.

2. Pflegeleistungen sollten auch in Zukunft gemeinsam von der SPV und von den privaten Haushalten erbracht und finanziert werden. Die Pflegeversicherung decke durch einen pauschalen Betrag einen Teil der Pflegeleistungen ab. Der andere Teil werde von den privaten Haushalten erbracht, sei es durch häusliche Pflege von Angehörigen oder durch private Vorsorge zur Finanzierung des Eigenanteils bei stationärer Pflege.

3. Einen Ausbau der SPV, wie sie im Koalitionsvertrag angekündigt wird, hält der Beirat nicht für empfehlenswert, weil sie, wie bereits anfangs dargelegt, nicht generationengerecht wäre. Dies betreffe vor allem den Plan, die Eigenanteile der Pflegebedürftigen bei stationärer Pflege zu begrenzen und dafür den von der SPV übernommenen Anteil der Kosten zu erhöhen.

Wenn der Gesetzgeber nicht darauf vertraue, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre individuelle Ersparnis zur Vorsorge gegen diese privat zu tragenden Pflegekosten im Alter bildeten und aufrechterhielten, so die Darlegungen des Beirats, dann wäre es eine Möglichkeit, alle Bürgerinnen und Bürger im Erwerbsalter zum Abschluss einer privaten Zusatzversicherung mit Kapitaldeckung zu verpflichten und dabei Personen mit geringen Einkommen aus Steuermitteln gezielt zu unterstützen.

Zum Hintergrund

Seit ihrer Einführung im Jahr 1995 seien laut Beirat die SPV-Ausgaben regelrecht explodiert, wozu insbesondere die massive Ausweitung der Leistungen im letzten Jahrzehnt beigetragen habe. Zudem sei in den kommenden Jahren und Jahrzehnten mit einer Beschleunigung dieser Entwicklung zu rechnen: Der Anteil der Pflegebedürftigen in der Gesamtbevölkerung werde sich bis 2050 von heute 5% auf über 7,5% erhöhen. Gleichzeitig schrumpfe der Anteil der Personen im Erwerbsalter, die Pflegeleistungen erbringen könnten. Zusätzlich sei aufgrund des Urteils des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2021 zur Entlohnung ausländischer Pflegekräfte davon auszugehen, dass sich auch die häusliche Pflege stark verteuern werde. Der Beitragssatz zur SPV erhöhe sich bis 2040 um weitere 1,5 bis 2 Prozentpunkte. Im selben Zeitraum stiegen auch die Beitragssätze zur gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung stark an. Damit gerate die Finanzierbarkeit der deutschen Sozialversicherung insgesamt in Gefahr. (ad)

Bild: © Romolo Tavani – stock.adobe.com