Ein Artikel von Stefanie Symmank, Geschäftsführerin der VFS Personalberatung GmbH
Ein kurzer Blick zurück: In den 1950er- und 1960er-Jahren galt Erwerbstätigkeit für Frauen in Deutschland oft nur als Übergang bis zur Heirat. Der Mann bestimmte nicht nur über das Haushaltsgeld, sondern auch über die Berufstätigkeit seiner Frau – und über ihren Lohn. Dass Frauen heute selbstverständlich in verantwortlichen Positionen arbeiten, sich weiterbilden und über ihre Karriere selbst entscheiden, ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels.
In der Versicherungswirtschaft sind Frauen mittlerweile in nahezu allen Bereichen vertreten – vom Außendienst über das Underwriting bis hin zu Vorstands- und Aufsichtsratsfunktionen. Doch die Verteilung bleibt ungleich: Etwa 31% der Führungspositionen im Innen- und Außendienst sind weiblich besetzt, auf den obersten Ebenen liegt der Anteil noch unter 20%.
Neue Zeiten, neue Anforderungen
Die Branche selbst befindet sich im Umbruch: Digitalisierung, Fachkräftemangel, Nachhaltigkeit, neue Kundenerwartungen – all das verändert nicht nur Geschäftsmodelle, sondern auch Führungsanforderungen. Gefragt sind heute Persönlichkeiten, die Wandel gestalten, Menschen mitnehmen und Strukturen neu denken können. Frauen bringen hier vielfach genau die Eigenschaften mit, die moderne Unternehmen schätzen: Empathie, Kommunikationsstärke, Teamorientierung und die Fähigkeit, Komplexität zu managen. Führung ist heute weniger hierarchisch, weniger laut – dafür kooperativer und dialogorientierter. Diese Form von Führung gilt in vielen Versicherungsunternehmen inzwischen als Erfolgsfaktor. Doch damit verbunden ist auch ein neuer Erwartungsdruck: Frauen sollen nicht nur fachlich exzellent sein, sondern gleichzeitig empathisch führen, Veränderung treiben und als Vorbild für andere wirken.
Zwischen Anspruch und Selbstzweifel
Gleichzeitig bleibt der alte Zielkonflikt bestehen: Karriere oder Familie – oder irgendwie beides? Auch wenn moderne Arbeitsmodelle vieles erleichtern, sind es in der Praxis immer noch überwiegend Frauen, die die Hauptlast familiärer Verantwortung tragen. Viele reduzieren Arbeitszeit, verschieben Karriereschritte oder lehnen Beförderungen ab, weil sie sich den Spagat zwischen Job und Privatleben nicht zutrauen – oder weil Unternehmen implizit weiterhin „100% Verfügbarkeit“ voraussetzen. Und es gibt auch immer noch genügend Frauen, die sehr zufrieden in einer Fachposition sind und gar nicht zwingend in die Führung wollen.
Hinzu kommt: Frauen neigen im Bewerbungsprozess oder bei internen Auswahlverfahren oft dazu, sich selbst kritischer zu bewerten. Während Männer sich auf neue Rollen bewerben, wenn sie 70% der Anforderungen erfüllen, haben Frauen häufig den Anspruch, die Anforderungen zu 100% erfüllen zu wollen. Dieses Verhalten bremst Karrieren – nicht aus mangelnder Qualifikation, sondern aus überhöhter Selbstkritik.
Alte Klischees, neue Chancen
Zwar hat sich das Bild der Frau in der Versicherungswirtschaft gewandelt, doch bestimmte Zuschreibungen halten sich hartnäckig. Frauen gelten als fleißig, zuverlässig und teamorientiert – Eigenschaften, die sie häufig in HR-, Service- oder Kommunikationsfunktionen bringen. Seltener aber werden sie mit strategischer oder vertrieblicher Verantwortung in Verbindung gebracht.
Viele Frauen übernehmen Führungsaufgaben – jedoch eher in Projekten oder Stabsfunktionen. Klassische Linienführungen sind weiterhin männlich geprägt. Der weibliche, kooperative Führungsstil, der auf Beteiligung und Teamorientierung setzt, wird zwar gelobt, aber mitunter als „zu wenig durchsetzungsstark“ bewertet. Dabei zeigen zahlreiche Studien, dass gemischte Führungsteams erfolgreicher agieren – wirtschaftlich, kulturell und innovationsbezogen. Frauen führen anders, aber nicht weniger wirksam.
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