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24. März 2022
„Finanzmärkte strafen Greenwashing knallhart ab!“
greenwashing and companies pretending to be sustainable conceptual image, paper leaf with green brush painting on it on top of product packaging

„Finanzmärkte strafen Greenwashing knallhart ab!“

Spätestens mit der Klassifizierung von Atomkraft und Erdgas als nachhaltige Energie­erzeugung durch die EU-Kommission genießt Greenwashing mediale Aufmerksamkeit. Doch was ist unter Greenwashing zu verstehen? Darüber unterhielt sich AssCompact mit einem Wissenschaftler für nachhaltige Finanzanlagen.

Interview mit Prof. Dr. Christian Klein, Fachgebietsleiter Nachhaltige Finanzwirtschaft an der Universität Kassel
Lieber Herr Klein, was empfinden Sie spontan beim Begriff Greenwashing?

Der Begriff „Greenwashing“ ist ganz bestimmt das Buzzword der Stunde. Allerdings bekomme ich bei dem Begriff Bauchgrummeln, denn der Begriff Greenwashing ist überhaupt nicht definiert und wird gegenwärtig inflationär verwendet.

Was genau ist denn unter Greenwashing zu verstehen?

Aus Sicht der Wissenschaft bedeutet Greenwashing, das Geschäfts­modell entweder grüner darzustellen, als es wirklich ist, oder mit dem nachhaltigen Teil des Geschäftsmodells die nicht-nachhaltigen Anteile zu überdecken. Die entscheidende Frage ist: Wo fängt Greenwashing – also die Grenze zum Betrug – an und wo gilt das Geschäftsmodell gerade noch als nachhaltig? Viele der gegenwärtigen Diskussionen drehen sich eben genau um diese „hellgrünen“ Geschäftsmodelle, die aus dem streng nachhaltigen – „dunkelgrünen“ – Milieu angeprangert werden. Beim Blick auf die unterschiedlichen Ansichten bei „sustainable finance“ verwundert das allerdings nicht …

… dann lassen Sie uns doch über die Ansichten von „sustainable finance“ diskutieren.

Aus meiner Sicht existieren dazu zwei Definitionen, die zwar beide richtig, aber komplett unterschiedlich sind. Die erste: Ich richte mit meiner Investition keinen weiteren Schaden an, also ich investiere in Unternehmen, deren Geschäftsmodell zu meinen Nachhaltigkeitsvorstellungen passt. Die zweite: Ich erziele mit meiner Investition einen direkten Impact, also ich investiere nur in Aktivitäten, die beispielsweise der Atmosphäre nachweislich CO2 entziehen. Greenwashing-Vorwürfe entstehen nun dadurch, dass diese beiden Definitionen nicht konsequent auseinandergehalten werden. Denn aus Sicht der zweiten Definition ist ein Investment gemäß der ersten Definition natürlich immer Greenwashing, obwohl beide per se für „sustainable finance“ stehen können.

Warum überhaupt funktioniert Greenwashing?

Ich bin mir unsicher, ob Greenwashing funktioniert. Letztes Jahr ereigneten sich mehrere mediale Greenwashing-Vorfälle, darunter auch bei einem bekannten Vermögensverwalter. Allein durch das Auftauchen dieser Vorwürfe verlor der Asset-Manager innerhalb nur eines Tages 1 Mrd. Euro an Börsenwert, ohne dass der Vorfall die operative Geschäftstätigkeit des Fondsanbieters überhaupt geschädigt hat. Finanzmärkte strafen also Greenwashing bereits knallhart ab! Diese Gefahr ist den Investment­gesellschaften sehr bewusst, sodass bei dem Thema mittlerweile besonders vorsichtig agiert wird. Auch die mediale Aufmerksamkeit beim Thema Greenwashing signalisiert den Märkten: Das Thema wird beobachtet und diese Praxis gehört abgeschafft.

Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, Erdgaskraftwerke als nachhaltige Form der Energie­erzeugung zu klassifizieren. Betreibt die Kommission damit Greenwashing?

Erdgas und auch die Atomkraft sind für die „sustainable finance“-­Plattform – das Beratungsgremium der EU-Kommission – überraschend in die Taxonomie gekommen und die Plattformvertreter halten diesen Vorgang tatsächlich für Greenwashing. Erstaunlich ist die Aufnahme von Atomkraft und Erdgas insofern, als beide Technologien der Grundidee der Taxonomie – die Erreichung der Ziele aus dem Pariser Klimaabkommen und dabei keinem anderem Umweltziel schaden – widersprechen. Das war ein politischer Prozess, denn innerhalb Europas existieren unterschiedliche Philosophien von Nachhaltigkeit. Über diese Entscheidung sollte man untereinander diskutieren und versuchen, einen Kompromiss zu finden. Aber: Weder das Nachhaltigkeitsverständnis von Land A noch das von Land B ist falsch und hierzulande scheinen andere Ansichten immer ein großes Erstaunen auszulösen. Im Übrigen hinkt Deutschland bei der Implementierung von „sustainable finance“ anderen EU-Staaten weit hinterher. Und der größte Green-Bond-Emittent ist China!

Welche Rolle nimmt denn die EU-Taxonomie bei der Nachhaltigkeitswende im Allgemeinen und beim Thema Greenwashing im Besonderen ein?

Ich halte die EU-Taxonomie für einen echten Gamechanger. Sie ist ein machtvolles Werkzeug, das dazu führen kann, die Ziele aus dem Pariser Klimaschutzabkommen zu erreichen. Allerdings ist der Reputationsschaden durch die Aufnahme von Atomkraft und Erdgas enorm. Das einzig Positive daran ist, dass das Regelwerk nun maximale mediale Aufmerksamkeit genießt. Davon abgesehen hat die Taxonomie das Potenzial, das Greenwashing-Problem zu lösen, weil es bestenfalls alle Aktivitäten sammelt, die zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele beitragen. Dadurch wächst die Hoffnung, dass mithilfe der Kapitalmärkte die Welt ein Stück besser gemacht werden könnte.

Stichwort Taxonomie: Was kommt denn mit diesem Regelwerk auf die Versicherungs- und Finanzbranche überhaupt zu?

Gegenwärtig sind etwa 10% des Kapitals in Deutschland in nachhaltige Fonds investiert. Wir haben es also eher mit einer Marktnische zu tun. Warum dann die ganze Aufregung? Nun, die Taxonomie ist das Werkzeug und jetzt kommt es entscheidend auf die Anwendung dieses Werkzeugs an. Mal angenommen, mit der Taxonomie würden harte Regeln für die Versicherungswirtschaft getroffen, sodass das Kapital für eine fondsgebundene Altersvorsorge künftig womöglich nur noch Taxonomie-konform angelegt werden darf. Das hätte dann nichts mehr mit weicher Regulierung zu tun, sondern das wäre eine knallharte Vorgabe für die Branche! Ich vermute, dass wir hier in naher Zukunft über viele solche Anwendungsmöglichkeiten staunen werden können.

Investmentgesellschaften können nur in Unternehmen investieren, die existieren. Wie nachhaltig ist denn die Unternehmenslandschaft im Allgemeinen und gibt es überhaupt vollständig nachhaltige Unternehmen?

Es ist ein Missverständnis zu behaupten, es gäbe nur nachhaltige und nicht-nachhaltige Unternehmen. Nimmt man das Pariser Klimaschutzabkommen als Ziel vor Augen, dann stellt Nachhaltigkeit einen Prozess dar. Die Menschheit muss sich überlegen, wie sie an dieses Ziel gelangt. Wie können die Unternehmen dazu bewogen werden, dass ihre Geschäftsmodelle auch in 20 Jahren noch funktionieren und dabei im Einklang mit dem Abkommen stehen? Hier entstehen jede Menge Investitionsmöglichkeiten, wodurch die Finanzmärkte den Unternehmen signalisieren können: Hey, wir finden dein Geschäftsmodell nachhaltig!

Gesetzgeber und Öffentlichkeit fordern eine zügige Umlenkung von Finanzströmen. Ist es nun die neue Hauptaufgabe der Branche, die Welt zu einem besseren und lebenswerteren Ort zu machen?

Es ist nicht die Aufgabe eines Kapitalmarktes, die Welt zu retten! Vielmehr ist es die Aufgabe des Kapitalmarktes, aus Chance und Risiko einen adäquaten Preis zu basteln. Aus Sicht des Risikomanagements eines Versicherers ist eine Beschäftigung mit Nachhaltigkeit dennoch unverzichtbar, weil sich die Investitionsrisiken, die daraus entstehen werden, im Cashflow niederschlagen und damit bilanzwirksam werden können.

Welche Hebel besitzt denn die Versicherungs- und Finanzbranche darüber hinaus bei der Nachhaltigkeitswende?

Beim Thema „Impact“ kann man sicherlich an Produkte denken, die zum deutschen Kleinanleger passen. Zum Beispiel ein festverzinsliches Wertpapier mit einer Nachhaltigkeitskomponente. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass man den guten alten deutschen Pfandbrief wieder aufleben lassen könnte, der direkt vor Ort des Kleinanlegers in CO2-­neutrale Projekte investiert.

Und welchen Beitrag zur Nachhaltigkeitswende müsste dann der Anleger beisteuern?

Eines Tages wird man an den Punkt gelangen, wo direkter Impact tatsächlich Geld kosten könnte. Statt einer finanziellen Rendite erhalte ich als Anleger dann eben eine nachhaltige Rendite. Eine festverzinste Anleihe könnte dann in eine zukunftsfähige Einrichtung wie eine CO2-neutrale Kindertagesstätte investieren, wofür der Anleger dann aber eine niedrigere Verzinsung in Kauf nehmen müsste. Unsere Forschungen zeigen, dass es für solche Anlageprodukte durchaus einen Markt gibt!

Über Prof. Dr. Christian Klein

Prof. Dr. Christian Klein ist Leiter des Fachgebiets „Nachhaltige Finanzwirtschaft“ an der Universität Kassel. Sein Forschungsschwerpunkt fokussiert das Anlageverhalten nachhaltiger Investoren, die Eigenschaften nach­haltiger Geldanlagen sowie die Aus­wirkungen von Nachhaltigkeit auf den Kapitalmarkt und die damit verbundenen Rahmenbedingungen. Zugleich ist er Mitglied und Mitbegründer der Wissenschaftsplattform Sustainable Finance.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 03/2022, S. 44 f., und in unserem ePaper.

Bild: © faithie – stock.adobe.com

 
Ein Interview mit
Prof. Dr. Christian Klein