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20. Juli 2022
„Ich möchte an Ehrlichkeit im Finanzvertrieb appellieren“

„Ich möchte an Ehrlichkeit im Finanzvertrieb appellieren“

Prof. Dr. Hartmut Walz will Verbraucher bei der Vorbereitung auf eine Finanzberatung unterstützen. Hierzu zeigt der Verhaltensökonom die aus seiner Sicht oft genutzte Methodik und Verkaufsrhetorik der Berater auf. Die Vermittlerzunft kommt dabei nicht gut weg, deshalb hat AssCompact bei ihm nachgehakt.

Herr Prof. Dr. Walz, mit Ihrem neuen Leitfaden für Verbraucher wollen Sie in der Finanzberatung für Gespräche auf mehr Augenhöhe sorgen. Worum geht es konkret?

Ich würde das mit Dipl.-Psychologen Ulrich Bosetti gemeinsam geschriebene Buch nicht als Leitfaden für Verbraucher, sondern als transparentes und einfach verständliches Aufklärungsbuch bezeichnen. Es soll redlichen Bürgern helfen, bei Vertriebsgesprächen im Finanzdienstleistungsmarkt einigermaßen auf Augenhöhe mit psychologisch geschulten Verkäufern zu kommen. Wer es gelesen hat, wird nie wieder Beratung und Verkauf verwechseln. Und hat gute Chancen, die üblichsten Psychotricks in Gesprächen zu erkennen, bei denen nicht die Kundeninteressen, sondern die Verkaufsinteressen im Mittelpunkt stehen.

Nun ist der Titel Ihres Buchs sehr provokant formuliert. Schüren Sie damit nicht eher Ängste und Ablehnung bei Verbrauchern, wenn es um das Thema Versicherung geht?

Nein, der Titel ist nicht provokant – bestenfalls pointiert. Hätten wir das Buch „Verraten statt Beraten“ genannt, wäre es vielleicht provokant. Aber wir sind beim Titel wie auch in den Ausführungen stets sehr sachlich und konstruktiv geblieben. Provokante Bücher von Aussteigern aus dem Finanzdienstleistungsvertrieb gibt es ja schon zuhauf und diese lesen sich auch spannend wie ein Krimi. Nur lassen sie die Leser zwar empört, aber doch hilflos zurück. Uns ging es jedoch darum, für die Kunden ganz konkrete Tipps und praktische Hilfen zur Abwehr von Verkaufsrhetorik und Verkaufspsychologie zu geben. Die oben genannte Augenhöhe im Verkaufsgespräch eben. Die Reaktionen zeigen übrigens schon jetzt eindeutig: Das ist uns gelungen.

Die Menschen benötigen Absicherung. Genügend Umfragen zeigen, dass sie dabei auf die persönliche Beratung Wert legen. Das zeigt doch die Wertschätzung der Kunden gegenüber ihrem Vermittler oder Berater, oder nicht?

Die Antwort lautet kurz: oder nicht! Aber der Reihe nach, denn Ihre Frage besteht ja aus drei Teilen. Die Menschen benötigen Absicherung: Ja, das mag im Ansatz stimmen. Jedoch nicht um jeden Preis und nicht weltumspannend in allen Lebensbereichen. Es gibt eine Menge Risiken, die man lieber selbst tragen sollte. Und es gibt eine Vielzahl von unnötigen, kundenunfreundlich konstruierten und völlig überteuerten Absicherungsprodukten und Produktkombinationen. Warum muss der Kunde für einen Todesfallschutz in einer kapitalbildenden Lebensversicherung ein Mehrfaches berappen, als wenn er den identischen Todesfallschutz in einer reinen Risikolebensversicherung abschließt?

Ihre These ist, dass genügend Umfragen zeigten, dass Kunden auf die persönliche Beratung Wert legten. Hinter diese These muss ich als Wissenschaftler schon ein kräftiges Fragezeichen setzen. Auf die Frage nach dem Financier bestimmter Umfragen und Studien möchte ich hier gar nicht tiefer eingehen. Aber wenn ich einigermaßen unabhängige Studien zugrunde lege, sehe ich eher, dass der Wunsch nach persönlicher Beratung in den letzten Jahren stetig gesunken ist.

Eine Wertschätzung der Kunden gegenüber ihrem Vermittler oder Berater kann ich überhaupt nicht erkennen. Es ist im Gegenteil so, dass Versicherungsvermittler hinsichtlich ihres Berufsimage in unserer Bevölkerung ganz weit unten stehen. Und die Mitarbeiter von Banken und Bausparkassen haben sich in den letzten Jahren leider diesem schlechten Berufsimage angenähert, das heißt wurden nach unten durchgereicht. Nehmen Sie nur als Beispiel die Befragung der „Wirtschaftswoche“ zum Vertrauen der Bürger in Berufsgruppen. Da liegen Krankenpfleger und Ärzte etwa um den Faktor vier höher als Versicherungsvertreter. Und genau aus diesem Grund freue ich mich, wenn seriöse und ethisch sauber arbeitende Menschen im Privatkundengeschäft ihre Kunden auf unser Buch hinweisen und ihnen sagen: „Schaut her, mit solchen Tricks arbeite ich nicht – davon distanziere ich mich ganz klar. Bei mir werdet ihr fair behandelt.“

Der Vermittlermarkt ist heute reguliert. Es gibt Dokumentationen, Pflichten, Vorschriften, DIN-Normen und demnächst noch ESG-Regeln. Kommt die Kritik angesichts solcher Entwicklungen nicht etwas überholt daher?

Wieso überholt? Und welche Kritik? Ganz und gar nicht! Die im Buch beschriebenen Tricks, Manipulationen und Psychofallen im Finanzdienstleistungsvertrieb sind leider hochaktuell und stammen aus Kundenfällen, die in der Regel weniger als zwei Jahre alt sind. Über das Argument, der Vermittlermarkt sei doch so reguliert und damit qualitätsgesichert, lacht doch hinter vorgehaltener Hand die gesamte Branche. Unsere Asservatenkammer mit Beispielen interessengeleiteter Fehlberatung ist randvoll. Und der Bund der Versicherten, die Verbraucherzentralen und die Bürgerbewegung Finanzwende haben noch viel größere Asservatenkammern, die ebenfalls randvoll sind. Natürlich sind das alles nur Einzelfälle. Aber eben zigtausend Einzelfälle. Und wenn Sie den Einbezug von ESG-Regeln im Vertriebsprozess ansprechen: Da bahnt sich schon die nächste Bugwelle verbraucherfeindlicher Regulierung an. Nämlich die Rechtfertigung kostenintensiver Produkte und Vehikel durch einen Nachhaltigkeitsanspruch, der sich unter den bestehenden Bedingungen noch überhaupt nicht realisieren lässt. Die ersten Greenwashing-Skandale sind da meines Erachtens nur die Vorboten.

Versicherungsmakler sind Sachwalter ihrer Kunden und nur diesen verpflichtet. Sie sind nicht an bestimmte Anbieter und Produkte gebunden, sondern vergleichen Produkte. Findet der Berufsstand bei Ihnen Würdigung?

Grundsätzlich findet jeder Berufsstand bei mir Würdigung – das ist gar keine Frage. Trotzdem geht Ihr Einleitungssatz an der Vertriebsrealität völlig vorbei. Auch Makler unterliegen in vielen Situationen starken Fehlanreizen, wie jeder Brancheninsider nur allzu gut weiß. Auch Makler schreiben lieber Verträge über größere als kleine Volumina, vermitteln lieber provisionsstarke als provisionsschwache Produkte usw. Und am Ende der Tätigkeit des Maklers steht mit aller größter Wahrscheinlichkeit eine Produktempfehlung. Das mögliche Ergebnis einer echten Beratung im Kundeninteresse – nämlich der Rat: „Machen Sie nichts, schließen Sie keinen Vertrag ab – das lohnt sich für Sie nicht“, kommt doch so gut wie niemals vor. Den von mir oben genannten Verbraucherschutzinstitutionen liegen leider auch viele Fehlberatungsfälle von Maklern vor, die sich nur durch deren Eigeninteresse erklären lassen. Ich weiß – alles Einzelfälle… Trotzdem: um ein versöhnliches Ende zu finden. Es gibt sicher viele ehrenwerte Makler, die aus Ethos mit den täglichen Fehlanreizen und Interessenkonflikten vernünftig umgehen. Und dass viele Makler zum Beispiel nach Einführung der Indexpolicen deren Vertrieb komplett boykottierten, finde ich natürlich stark und selbstbewusst. Den entsprechenden Bericht darüber habe ich übrigens in AssCompact gelesen – Glückwunsch. Was ich also ganz sachlich kritisiere, sind lediglich die offensichtlich bestehenden Interessenkonflikte im Finanzdienstleistungsvertrieb. Und die sind bei Maklern auf alle Fälle geringer als zum Beispiel beim Ausschließlichkeitsvertrieb. Wie soll ein Einfirmenvertreter, der an der kurzen Leine des Vertriebscontrolling geführt wird, beispielsweise die Vermittlung von Indexpolicen verweigern?

An der Provisionsvergütung lassen Sie kein gutes Haar. Warum könnte man nicht einfach dem Kunden selbst überlassen, ob er sich bei seinem Vermittler oder Berater auf Provisionsbasis oder gegen Honorar beraten lässt?

Ganz einfach weil die Spielwiese zwischen Honorar und Provision kräftig schief steht und zwar zu Lasten der Honorarberatung. Das fängt schon damit an, dass Beratungshonorare mehrwertsteuerpflichtig sind, während Vermittlungsprovisionen mehrwertsteuerfrei bleiben. Das ist ein krasser Fall von Ungleichbehandlung – altbekannt, aber Dank einer tollen Lobbyarbeit nach wie vor sakrosankt. Ebenso dürfen Provisionsvermittler Honorare entgegennehmen, jedoch echte Honorarberater natürlich keine Provisionen kassieren. Und dann gibt es eben einen großen Unterschied in der Transparenz und Wahrnehmung der Vergütungen, die ja aus Sicht des Kunden Kosten sind. Während die direkt gezahlten Honorare offensichtlich sind und beim Kunden schnell die Wahrnehmung „teuer“ auslösen, fließen die Provisionen ja indirekt und bleiben in der Kundenwahrnehmung entweder völlig unentdeckt oder werden zumindest unterschätzt. Ich kenne persönlich eine Menge zum Teil sogar hochgebildete Menschen, die bei Abschluss eines Vorsorgevertrags die Information über die Höhe der Abschluss- und Vertriebskosten schlicht und ergreifend nicht wahrgenommen haben. Wie so etwas nicht trotz, sondern wegen der Art der Regulierung funktioniert und dass zum Beispiel VVG-Infos mit über hundert Seiten Umfang nicht dem Verbraucher, sondern dem Vermittler helfen, ist jedem Vertriebsprofi bekannt. Und wie diese angesichts der Informationsüberflutung des Kunden mit geschickter Fokussierung und Defokussierung diesen an der Wahrnehmung der Kosten hindern, erläutern wir gut verständlich im Buch. Kurzum: Die meisten Finanzdienstleistungen sind eben keine für den Verbraucher leicht zu durchschauenden Güter wie belegte Brötchen, sondern schwer durchschaubare Vertrauensgüter, deren Qualität sich erst nach Jahren, meist Jahrzehnten zeigt.

Sie sind Verhaltensökonom. Ihnen geht es darum, wie und aus welchen Gründen sich Kunden letztlich für ein Finanzprodukt entscheiden. Was stellen Sie dabei fest? Was sind typische Verhaltensweisen?

Diese Frage ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie man mit einem scheinbar harmlosen Anfangsstatement den Antwortspielraum des Interviewpartners in eine Richtung lenken kann. Danke für diese Demonstration. Ja – ich bin Verhaltensökonom, das ist richtig. Aber nein, ich untersuche eben gerade nicht, wie und aus welchen Gründen sich Kunden für ein Finanzprodukt entscheiden. Sondern ich untersuche, wie Menschen zu besseren Entscheidungen – auch Finanz- und Vorsorgeentscheidungen – gelangen können. Und welche Gründe sie daran hindern, zu solch besseren Entscheidungen zu gelangen. Diese Gründe können in unserer eigenen mentalen Struktur verankert sein, Schlagwort Hirnforschung, Neuro-Ökonomie. Damit habe ich mich in einem anderen Buch beschäftigt: „Einfach genial entscheiden“ (Haufe-Verlag, 3. Auflage 2022). Sofern wir die Entscheidungen jedoch nicht ganz alleine treffen, sondern unter dem Einfluss von Dritten stehen, können die Gründe für schlechte Entscheidungen jedoch ebenso in einer von diesen aus Eigeninteresse motivierten Manipulation liegen. Und nur diesen Teilbereich bearbeiten mein Kollege Bosetti und ich im Buch „Beraten statt Verraten“. Um nur die wichtigsten Gründe dieser Fehler zu benennen: Verzerrung durch Sympathie, sozialen Druck, das Gefühl des Verpflichtetseins, Fokus der Aufmerksamkeit auf die falschen Kriterien, Harmoniestreben und der tiefe Wunsch nach Vertrauen – vor allem angesichts wahrgenommener Komplexität und Informationsüberlastung.

Richten Sie sich mit Ihren Ausführungen auch an die Vermittler?

Ja, aber sicher: Ich möchte gerne einen Appell an Ehrlichkeit und Ethik an all diejenigen richten, die im Vertrieb von Finanz- und Vorsorgedienstleistungen tätig sind. Wenn Sie eine ehrliche Arbeitsweise im Umgang mit Ihren Kunden haben, sollten Sie unbedingt die Chance nutzen, sich von unsauberen Praktiken, aber auch unfair arbeitenden Vermittlern abzugrenzen. Ich bedaure es sehr, dass das Image der im Finanzdienstleistungsvertrieb Arbeitenden so schlecht ist und die Guten und Ehrlichen sozusagen in Gruppenhaft genommen werden. Aber die Branche hat sich das schlechte Image redlich verdient. Sie wissen so gut wie ich, dass häufig nicht für die Interessen des Kunden gearbeitet, sondern gegen seine Interessen vertrieben wird. Und das wird in der Zukunft immer schlechter funktionieren, weil die Kunden mit der Zeit immer kritischer und besser informiert sein werden. Das Buch von Herrn Bosetti und mir ist da nur ein kleiner Beitrag dazu, die hohen Mitgliederzahlen beim Bund der Versicherten und der Bürgerbewegung Finanzwende aber schon ein größerer. Mein Lieblingslehrer hat mir einmal gesagt „Verändere Dich, bevor Du es musst!“. Und genau das möchte ich den Lesern von AssCompact auch zurufen. Wenn Sie beim Transformationsprozess zu ehrlicherer und transparenterer Arbeit im Interesse Ihrer Kunden Unterstützung möchten, bin ich gerne für Sie ansprechbar.

Über Prof. Dr. Hartmut Walz

Prof. Dr. Hartmut Walz ist Verhaltensökonom mit Schwerpunkt Finanzen. Er lehrt an der Hochschule Ludwigshafen am Rhein zu den Themen Finanzkompetenz, Finanzdienstleistungen für den Privatanleger, Anlageklassen und Anlagevehikel sowie Finanzpsychologie und Behavioral Finance. Prof. Dr. Walz engagiert sich für den Verbraucherschutz in den Bereichen Geldanlage, Versicherungen und Vorsorge. Weitere Informationen sind zu finden unter hartmutwalz.de

Zum neuen Buch, das Prof. Dr. Walz gemeinsam mit dem Diplom-Psychologen Ulrich Bosetti verfasst hat, geht es über folgenden Link: fazbuch.de.

 

„Ich möchte an Ehrlichkeit im Finanzvertrieb appellieren“

 

 

Foto oben: © Ulrich Bosetti