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27. Juni 2022
„Unternehmen des Maschinenbaus verkennen Digitalrisiken“
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„Unternehmen des Maschinenbaus verkennen Digitalrisiken“

Automatisierung, Cloud-Services, Fernwartung: Kaum eine Branche in Deutschland unterliegt einem so hohen Digitalisierungsdruck wie der Maschinenbau. Hiscox hat sich daher in einer Studie mit Digitalrisiken, ihrem Stellenwert und der Schadenpraxis beschäftigt und darüber mit AssCompact gesprochen.

Interview mit Franz Kupfer, Head of General Liability, Property & Events bei Hiscox Deutschland
Angesichts der Digitalisierung und neuer geopolitischer Konflikte nimmt die Aufmerksamkeit beim Thema Lieferketten und Betriebsunterbrechung gegenwärtig stark zu. Wie ist nach Einschätzung von Hiscox die derzeitige Risikolage zu bewerten?

Zum einen ist das Thema zwar sehr präsent in den Medien, zum anderen beschäftigen sich aber nach wie vor viel zu wenige Unternehmen mit den Risiken, die aus neuen Tätigkeitsfeldern wie auch der zunehmenden Vernetzung von Wertschöpfungsketten entstehen – geschweige denn mit deren Absicherung. Es ist allerdings nicht so, als ob Unternehmer einfach den Kopf in den Sand stecken würden. Meines Erachtens hat das viel damit zu tun, dass einige Unternehmen in die Digitalisierung hineingestolpert sind und sie wegen externer Zwänge – etwa Covid-19, Kostendruck oder Fachkräftemangel – noch schneller vorantreiben mussten, als dies unter normalen Umständen passiert wäre. Deshalb blieb bisher wohl oft keine Zeit, sich Gedanken zu machen, ob und wie die Risiken versichert werden können. Genau für diese neuen Risiken der Maschinenbauer haben wir unser Produkt „Smart Manufacturing“ entwickelt.

Die „gefühlte“ Risikolage ist das eine, die tatsächliche Situation häufig eine andere. Ist derzeit überhaupt eine Zunahme an Schäden in diesen neuen Feldern zu beobachten?

Eine aktuelle Hiscox-Studie – abrufbar unter hiscox.de/smama22 – zeigt, dass die Digitalrisiken gerade von kleinen und mittelständischen Unternehmen und im klassischen Maschinenbau unterschätzt werden. In der Praxis hingegen beobachten wir, dass bereits heute rund 75% der Schäden tatsächlich auf digitale Ursachen zurückgehen. Auch die durchschnittliche Schadenhöhe liegt massiv über jener von traditionellen Schäden im Bereich der Produkthaftung. Für einen Mittelständler können ja bereits Beträge von mehreren Hunderttausend Euro durchaus ruinös werden. Zudem sind die Ansprüche und der Konflikt mit dem Auftraggeber häufig damit verbunden, dass erst einmal weniger oder kein neuer Umsatz durch Folgeaufträge erwirtschaftet werden kann.

Sie erwähnten bereits die aktuelle Hiscox-Studie zur Digitalisierung im deutschen Anlagen- und Maschinenbau. Warum fokussiert die Studie diesen Wirtschaftszweig?

Als Rückgrat des deutschen Mittelstandes und Innovationstreiber kann die Bedeutung des Maschinenbaus gar nicht groß genug eingeschätzt werden. Wenn inzwischen schon von der Industrie 5.0 gesprochen wird, so deutet dies ja darauf hin, dass in kurzer Zeit fünf industrielle Revolutionen stattgefunden haben. Diese Innovationskraft wurde seitens der Versicherungsbranche bisher leider nicht durch individuelle Versicherungslösungen für diesen Wirtschaftszweig gespiegelt.

Könnten Sie das bitte genauer erklären?

Seit den 90er-Jahren ist bei Versicherungslösungen, abgesehen von der erweiterten Produkthaftpflicht, nicht viel passiert. Dort haben unsere Product Developer versucht anzusetzen. Smart Manufacturing by Hiscox ist das einzige mir bekannte durchgeschriebene Bedingungswerk eigens für digitale Maschinenbauer am freien Markt – eine echte Neuerung, wie uns letztes Jahr mit dem Goldenen Bullen als Auszeichnung der „Versicherungs­innovation des Jahres“ auch von außen bestätigt wurde.

Denn ein genauer Blick auf das vordergründig analoge, häufig mittelständische produzierende Gewerbe zeigt, dass gerade hier die Digitalisierung seit Längerem Einzug gehalten hat. Immer öfter werden im Rahmen der digitalisierten Industrie die Fertigungsmaschinen in den Betrieben miteinander vernetzt. Man kann diesen Trend in der Studie gut beobachten, denn es gibt kaum noch Maschinen ohne digitale Features: vier von fünf Entscheidern geben an, dass ihr Unternehmen Produkte herstellt, die digitale Tools wie Automatisierung, Cloud-Services oder Fernwartung nutzen. Für uns bedeutend ist auch folgende Erkenntnis: mehr Digitalisierung – mehr Risiko. Knapp zwei Drittel der Entscheider sagen, dass digitale Risiken zukünftig steigen werden. Nur 16,5% insgesamt gehen davon aus, dass das Risiko niedriger wird – betrachtet man nur die Branche Maschinenbau, sagt das jedoch etwa ein Viertel.

Es scheint, als würden die digitalen Risiken im deutschen Maschinenbau unterschätzt.

Ja, digitale Risiken für Produkte werden sogar deutlich unterschätzt: Etwa zwei von drei Entscheidern halten die abgefragten digitalen Risiken für nicht kritisch oder neutral. Im Übrigen sind wir nicht die Einzigen, die diesen Missstand aufzeigen. Bereits im letzten Jahr ist eine Studie des Fraunhofer Instituts zu einem ähnlichen Schluss gekommen: Ein leistungsfähiges Risikomanagement müsse ganz oben auf der strategischen Managementagenda der Maschinenbauunternehmen stehen.

Welche Schäden können denn für die Betriebe im Maschinenbau von Cyberattacken ausgehen?

Cyberattacken beeinflussen das IT-System des angegriffenen Unternehmens von außerhalb des Betriebs. Hackerangriffe können ein solches Risiko sein, denn sie gehen häufig mit Datenverlust bzw. unbefugtem Zugriff auf Unternehmensdaten einher. Eine solche Situation kann für ein Unternehmen schnell existenzbedrohend sein, denn Systeme und Daten müssen kostspielig wiederhergestellt werden. Hier kann eine Cyberversicherung Abhilfe schaffen. Doch Unternehmen müssen sich genau über die Deckung solcher Versicherungen informieren, denn eine Absicherung gegen Cyberschäden sichert nicht zwangsläufig auch IT-Schäden und daraus resultierende Folgeschäden wie zum Beispiel Verzug oder Betriebsunterbrechung ab. Es ist also essenziell, dass Unternehmen ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Bedrohungen entwickeln.

Wie sieht es konkret bei der Schadenpraxis in den Unternehmen im Maschinenbau aus?

Die Hiscox Schadenpraxis zeigt, dass rund drei Viertel der Schäden aus digitalen Risiken entstehen. Neben unmittelbaren Schäden – etwa Ausschussproduktion beim Kunden wegen fehlerhafter Software-Updates – kommt es immer häufiger auch zu mittelbaren Schäden. Ein Beispiel hierfür aus der Praxis: Eine Schneidemaschine zeigt eine Meldung an, dass ein Mindestrandabstand nicht unterschritten werden sollte. Der Bediener auf Kundenseite „overruled“ jedoch die Anzeige und die Maschine wird durch diese fehlerhafte Bedienung beschädigt. Da das aus Sicht des Kunden nicht klar genug war, klagt er gegen den Maschinenbauer. In diesem Fall zahlt die Smart-Manufacturing-Police von Hiscox.

Das Thema Cyber gilt als komplex und setzt fundiertes Wissen voraus. Welche Empfehlungen haben Sie für Unternehmen und ihre Vermittler oder Risikomanager?

Mit Sorge sehen wir wie erwähnt, dass gerade kleinere Unternehmen und Unternehmen des Maschinenbaus die Risiken verkennen. Bei der Absicherung fällt auch auf, dass sich viele Unternehmen entweder nur gegen Sach- und Personenschäden oder nur gegen Vermögensschäden absichern. Häufig sind aber reine Vermögensschäden das Resultat der neuen Digitalrisiken und sollten deshalb immer Bestandteil der Absicherung sein. Aber selbst bei einer Kombination der beiden Deckungen klaffen eklatante Deck­ungslücken durch oft unterschiedliche abgeschlossene Tätigkeitsdefinitionen und in Wechselwirkung tretende Ausschlüsse. Hinzu kommt, dass diese Kategorien bei Versicherern in unterschiedliche Abteilungssilos fallen und im schlimmsten Fall ein und derselbe Schadenfall in unterschiedlichen Abteilungen bearbeitet wird. Daran kann häufig auch kein Sonderkonzept etwas ändern. Aber in solchen Problemstellungen liegt die Daseinsberechtigung eines Spezialversicherers. Über diese Risiken und offenen Flanken bei Unternehmen müssen Makler und Risikomanager Bescheid wissen, um entsprechend beraten zu können – wir unterstützen sie dabei mit unserem Know-how.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 06/2022, S. 30 f., und in unserem ePaper.

Bild: © greenbutterfly – stock.adobe.com

 
Ein Interview mit
Franz Kupfer