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17. August 2021
Herzstillstand nach Streit im Vertrieb: Arbeitsunfall oder Alltag?

Herzstillstand nach Streit im Vertrieb: Arbeitsunfall oder Alltag?

Kann ein intensives Gespräch zwischen zwei Mitarbeitern die Ursache für eine lebensgefährliche Herzerkrankung sein? Und wenn ja, ist ein derartiger Vorfall dann als Arbeitsunfall zu werten? Mit diesen Fragen musste sich das Bundessozialgericht auseinandersetzen, nachdem eine Bankkauffrau einen Herzstillstand erlitten hatte.

Eine Bankkauffrau war am 12.04.2010 an ihrem Schreibtisch sitzend kollabiert. Die Kollegen riefen einen Notarzt, der in der Lage war, die Frau zu reanimieren. Im Anschluss wurde sie stationär ins Krankenhaus eingewiesen. Wenige Wochen später wurde ihr ein Herzdefibrillator implantiert. Im Gegensatz zu einem Herzschrittmacher, der den Herzschlag beschleunigen soll, erfüllt ein implantierbarer Defibrillator (ICD) die Aufgabe, zu schnelle Herzschläge durch Stromimpulse zu vermeiden.

Tag mit üblicher Arbeitsbelastung?

Die Berufsgenossenschaft prüfte den Fall und lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls im September 2011 ab. Als Begründung für diese Entscheidung führte die Berufsgenossenschaft an, dass die Frau bei der üblichen Arbeit einen Herzinfarkt erlitten habe und an diesem Tag keine Besonderheiten aufgetreten seien.

Streitgespräch mit Vorgesetztem

Die Bankkauffrau beantragte im April 2012 eine Überprüfung des Ablehnungsbescheids. Zum einen habe sie keinen Herzinfarkt sondern einen Herzstillstand erlitten und zum anderen habe es sich keinesfalls um eine normale berufliche Situation gehandelt, sondern um einen sehr stressigen Tag. Die Frau hatte an diesem Montag nämlich ein Streitgespräch mit einem Vorgesetzten geführt, nachdem bei einem Kollegen eine Kassendifferenz festgestellt worden war und sie ihn gegen Anschuldigungen in Schutz nahm.

Frostige Gespräche im Vertrieb an der Tagesordnung

Im Zuge des Gerichtsprozesses stellte sich heraus, dass die Bankkauffrau und der stellvertretende Filialleiter die Auseinandersetzung unterschiedlich einschätzten. Während der Vize-Filialleiter von einem sachlichen und angemessenen Ton sprach, sah die Bankkauffrau die Auseinandersetzung als Streit an. Der stellvertretende Filialleiter bezeichnete das Ende des Gesprächs jedoch als „unschön, unharmonisch und frostig“, was seiner Ansicht nach im Vertrieb jedoch Alltag sei.

Prozessverlauf

Vor dem Sozialgericht Schleswig und dem Landessozialgericht Schleswig-Hostein konnte die Frau sich mit ihrer Klage nicht durchsetzen, doch vor dem obersten deutschen Sozialgericht, dem Bundessozialgericht (BSG), errang sie zumindest einen Teilsieg.

Intensives Gespräch kann Arbeitsunfall begründen

Auch ein alltäglicher Vorgang könne von außen auf den Körper des Geschädigten einwirken und somit einen Arbeitsunfall begründen, zeigten sich die Richter überzeugt. Dementsprechend könne ein solches Ereignis bei dem intensiven Gespräch der Frau mit ihrem Vorgesetzten vorgelegen haben – ganz gleich, ob es sich um einen Streit oder eine sachliche Auseinandersetzung handele.

Vorliegen eines Arbeitsunfalls weiter zu prüfen

Weiterhin unklar sei aber, ob das Gespräch überhaupt im Rahmen der versicherten Tätigkeit der Bankkauffrau stattgefunden habe. Deshalb hat das BSG das Verfahren an das vorinstanzliche Landessozialgericht zurückverwiesen. Dort müsse nun geprüft werden, ob die Frau mit dem Eintreten für den Kollegen einer Verpflichtung aus ihrem Beschäftigungsverhältnis nachkam oder ob sie in dieser Situation unternehmensbezogene Rechte aus ihrem Arbeitsverhältnis ausübte. Des Weiteren wird das Gericht auch zu prüfen haben, ob die wesentliche Ursache des Herzstillstands nicht vielmehr in einer langjährigen Vorerkrankung der Frau zu finden sei. (tku)

BSG, Urteil vom 06.05.2021 – B 2 U 15/19 R

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