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20. August 2021
GKV: Querschnittsgelähmte muss Behandlungskosten selbst tragen

GKV: Querschnittsgelähmte muss Behandlungskosten selbst tragen

Krankenkassen müssen Kosten für Behandlungen im Ausland nicht übernehmen, wenn diese nicht dem anerkannten Stand der Wissenschaft entsprechen. Ausnahmen sind nur für Extremsituationen vorgesehen. Eine vom Hals abwärts gelähmte Frau, die wieder laufen lernen wollte, bleibt nun auf den Kosten sitzen.

Eine mittlerweile 30 Jahre alte Frau hatte sich 2006 bei einem Reitunfall einen Trümmerbruch zweier Halswirbel zugezogen und ist seither querschnittsgelähmt. Um ihren körperlichen Zustand zu verbessern, nahm die Frau im Laufe der Jahre Behandlungen in Deutschland in Anspruch. 2014 reiste sie in die USA, um zusätzlich beim Trainingsprogramm „Projekt Walk“ in Carlsbad, Kalifornien teilzunehmen.

Versicherte beantragt Kostenübernahme

Bei diesem Trainingsprogramm wird der Ansatz verfolgt, das Gehen unter Nutzung der natürlichen Muskelkontraktion durch eine Kombination aus intensivem körperlichen Training und Elektrostimulation wieder zu erlernen. Nachdem sie im Februar 2014 einmal an dem Programm teilgenommen hatte, beantragte die Frau am 12.03.2014 Kostenübernahme für einen weiteren Aufenthalt in den USA bei ihrer Krankenkasse. Hierfür legte sie auch eine Kostenaufstellung für die Monate März bis Oktober 2014 vor. Dabei beliefen sich allein die Therapiekosten auf monatlich 5.200 Euro. Hinzu kamen Kosten für Wohnung, Unterstützung und Transport. Tatsächlich erstreckte sich die Teilnahme der Frau an dem Programm schließlich sogar bis ins Jahr 2015.

Krankenkasse sagt lediglich 800 Euro pro Monat zu

Die Krankenkasse erklärte sich im Rahmen einer Einzelfallentscheidung zu einer Kostenbeteiligung in Höhe von monatlich 800 Euro bereit. Den dagegen eingelegten Widerspruch von Seiten der Frau wies die Krankenkasse zurück. Schließlich klagte die Frau auf Erstattung der angefallenen Kosten in Höhe von ungefähr 107.000 Euro.

Programm entsprach nicht anerkannten Standards

Weder mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht noch mit ihrer Berufung vor dem Landessozialgericht konnte sich die Frau gegen die Krankenkasse durchsetzen. Vor dem Bundessozialgericht (BSG) hatte sie schließlich auch keinen Erfolg. Die Behandlung im Rahmen des Projekts habe jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt nicht dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft entsprochen.

Querschnittslähmung keine notstandsähnliche Extremsituation

Nach § 2 Abs 1a SGB V haben Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung zwar das Recht, abweichende Leistungen zu beanspruchen. Eine derartige Erkrankung sehen die Bundesrichter im Fall einer Querschnittslähmung jedoch nicht als gegeben an. Um die Definition zu erfüllen, müsse es sich nach Überzeugung der Richter um eine notstandsähnliche Extremsituation handeln, wie sie auch für eine nahe Lebensgefahr typisch ist.

Verschlimmerung war nicht absehbar

Kennzeichnend für eine derartige Extremsituation sei neben der Schwere der Erkrankung ein erheblicher Zeitdruck für einen bestehenden Behandlungsbedarf. Die Querschnittslähmung war jedoch bereits acht Jahre vor Beginn der Therapie eingetreten, wie die BSG-Richter in ihrer Urteilsschrift betonen. Es habe keine erhebliche Verschlimmerung gedroht und ein enges therapeutisches Zeitfenster habe ebenso wenig bestanden. Des Weiteren scheitere der Kostenerstattungsanspruch auch an der fehlenden Einhaltung des Arztvorbehalts nach § 15 SGB V. Dieser gelte auch für Behandlungen im Ausland. (tku)

BSG, Urteil vom 16.08.2021 – B 1 KR 29/20 R

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