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16. August 2022
Kommentar: Freude, schöner Götterfunken?
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Kommentar: Freude, schöner Götterfunken?

Wer den Weg der Energiewende beschreitet, der braucht Brückentechnologien, um vorwärts zu kommen. Doch nicht alles Nützliche, ist auch nachhaltig. Die Entscheidung, Atom- und Gaskraft ein Sustainability-Siegel anzuheften, beschädigt das Vertrauen in die Ernsthaftigkeit der europäischen Klimapolitik.

Ein Kommentar von Tom Kufner, AssCompact

Atom- und Gaskraft sind künftig laut EU-Taxonomie als nachhaltige Technologien einzustufen. Zweifellos ist es eine gute Sache, wenn Deutschland und Frankreich innerhalb der vielstimmigen EU an einem Strang ziehen, aber wenn dabei solche Kompromisse herauskommen, stellt sich die Frage, ob Europa seiner (proklamierten) Vorreiterrolle beim Kampf gegen den Klimawandel auch nur ansatzweise gerecht wird.

Es spricht zwar angesichts der Herausforderungen, denen Europa sich in puncto Energieversorgung aktuell stellen muss, vieles dafür, die Haltung gegenüber diesen beiden Energieträgern noch einmal gründlich zu überdenken. Sie jedoch als nachhaltig zu adeln, entbehrt jeglicher Grundlage. Die traurige Ironie wird komplett, wenn man bedenkt, dass die Entscheidung, Atom- und Gaskraft in die EU-Taxonomie aufzunehmen, gerade in diesem Sommer getroffen wurde. Ein Sommer, der durch Hitzewellen, extreme Trockenheit und zahlreiche Waldbrände in ganz Europa gekennzeichnet ist. Ein Sommer, in dem französische Atomkraftwerke vom Netz genommen werden müssen, weil sich das Wasser der Flüsse, mit denen sie gekühlt werden sollen, zu sehr erwärmt hat. Ein Sommer, in dem LNG-Terminals für US-amerikanisches Fracking-Gas in Rekordgeschwindigkeit aus dem Boden gestampft werden, weil das umstrittene Schiefergas kurz- bis mittelfristig die einzige Möglichkeit ist, um die Abhängigkeit vom Kriegstreiber im Kreml abzuschütteln.

Nichts spricht dagegen, diese beiden Energieträger zumindest vorübergehend weiter zu nutzen, während der Ausbau der regenerativen „Freiheitsenergien“ vorangetrieben wird. Diesen Brückentechnologien jedoch ein ESG-Siegel anzuheften, sendet das absolut falsche Signal. Nachhaltig an dieser Entscheidung des EU-­Parlaments ist in erster Linie der Schaden, den die Glaubwürdigkeit der EU-Taxonomie erlitten hat. Beim Thema Nachhaltigkeit ist der Götterfunken offensichtlich nicht auf die Entscheider der europäischen Werte­gemeinschaft übergesprungen.

Contra?

Sie sind anderer Meinung? Schreiben Sie an kufner@asscompact.de.

Diesen Kommentar lesen Sie auch in AssCompact 08/2022, S. 42, und in unserem ePaper.

Bild: © ra2 studio – stock.adobe.com