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8. Dezember 2022
Elementar: Gilt geringfügiges Hangkriechen schon als Erdrutsch?
Baldwin street - the steepest street in the world, Dunedin, New Zealand

Elementar: Gilt geringfügiges Hangkriechen schon als Erdrutsch?

Kleine Rutschungen des Untergrundes haben an einem Wohngebäude hohe Schäden verursacht. Der Versicherer verweigerte die Leistung. Liegt also überhaupt ein Elementarschaden vor? Mit dieser Auslegungsfrage hat sich nun der BGH beschäftigt.

Durch Schäden an Wohngebäuden infolge von Elementargefahren wie Sturm, Hagel oder Starkregen entstehen für den Eigentümer schnell hohe Wiederherstellungskosten. Gut, wenn der Hausbesitzer im Schadenfall eine Wohngebäudeversicherung inklusive Schutz gegen Elementargefahren besitzt. Ärgerlich wiederum, wenn der Versicherer die Leistung verweigert und sich dabei auf das Fehlen einer auslösenden Naturgefahr beruft. Und genau damit mussten sich nun die Richter am Bundesgerichtshof (BGH) befassen.

Rissschäden am Haus in Höhe von 100.000 Euro

Im vorliegenden Sachverhalt lag das Grundstück des Versicherungsnehmers am vorderen Rand einer vor etwa 80 Jahren am Hang aufgeschütteten Terrasse. 2018 machte der Versicherungsnehmer gegen seinen Versicherer Ansprüche aus einer Wohngebäudeversicherung für Rissschäden an Haus und Terrasse in Höhe von 100.000 Euro geltend. Seiner Ansicht nach waren die Schäden am Haus durch einen Erdrutsch entstanden, verursacht durch geringfügige nicht augenscheinliche Rutschungen des Untergrunds. Laut Versicherungsbedingungen erstreckte sich der Versicherungsschutz auch auf Schäden durch Erdrutsch. Die Klausel in der Wohngebäudeversicherung sah vor: „Erdrutsch ist ein naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen.“ Allerdings lehnte der Versicherer die Übernahme der Beseitigungskosten ab.

Vorinstanzen lehnen Klage ab

Daher reichte der Versicherungsnehmer Klage ein. Die Klage scheiterte allerdings sowohl beim Landgericht Bamberg (LG) als auch beim dortigen Oberlandesgericht Bamberg (OLG). Laut Ansicht der Richter fehlt es bereits an einem die Leistungspflicht auslösenden Erdrutsch. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer werde darunter keine sich langsam über Jahre hinweg vollziehenden Erdbewegungen verstehen. Diese seien, so die Auffassung der Richter, mit dem allgemeinen Wortsinn der für die Definition herangezogenen Begriffe des „Abgleitens“ und „Abstürzens“ nicht in Einklang zu bringen. Vielmehr handele es sich um Vorgänge mit einer gewissen Dynamik.

Sprachgebrauch des täglichen Lebens ist maßgeblich

Daraufhin wandte sich der Kläger an den BGH. Und dem IV. Zivilsenat zufolge umfasst der Begriff „Erdrutsch“ im Sinne der Bestimmung der Versicherungsklauseln auch Schäden an versicherten Wohngebäuden, wenn sich Bodenbestandteile über einen länger andauernden Zeitraum nur allmählich verlagern. Die Klage hatte also vor dem BGH Erfolg.

Dies ergebe sich nach Ansicht des BGH aus der Auslegung der Klausel. Deren Anwendung sei – entgegen der Ansicht der Vorinstanz – nicht auf plötzliche und sinnlich wahrnehmbare geologische Vorgänge beschränkt. Denn dafür müsse der für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer geltende Sprachgebrauch des täglichen Lebens maßgebend sein. Doch aus dem Umstand, dass die Klausel das Abgleiten (oder Abstürzen) „von Gesteins- oder Erdmassen“ verlange, könne ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer keinen Hinweis darauf verstehen, dass „Kriechvorgänge“ vom Versicherungsschutz ausgenommen seien.

Ursache der Rissbildung muss nochmals geprüft werden

Der BGH warf dem zuständigen OLG daher einen Rechtsfehler vor. Demnach habe das OLG an die in der Geologie gebräuchliche terminologische Unterscheidung von „Erdkriechen“ und „Erdrutsch“ angeknüpft. Diese fachliche Einordnung findet sich laut BGH aber nicht in den Versicherungsbedingungen wieder. Fein raus ist der Kläger und Versicherungsnehmer aber nicht. Denn das OLG müsse nun laut BGH zunächst mit sachverständiger Hilfe klären, ob die Behauptung des Hauseigentümers zur Ursache der Rissbildungen überhaupt zutreffe. Denn das sei in den Vorinstanzen gar nicht geprüft worden. (as)

BGH, Urteil vom 09.11.2022 – Az. IV ZR 62/22

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