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Steuern & Recht
23. März 2023
BGH-Urteil: Wenn Expertenwissen nur noch eine geringe Rolle spielt

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BGH-Urteil: Wenn Expertenwissen nur noch eine geringe Rolle spielt

Die Rechtsfindung in gerichtlichen Verfahren erfolgt regelmäßig durch die systemkonforme Auslegung des Gesetzestextes. Am Beispiel eines Urteils erläutert ein Rechtsexperte, dass beim BGH dieser Weg des Erkenntnisgewinns bei der Anwendung von Versicherungsbedingungen nicht zum Ziel führt.

Ein Artikel von Dr. Arnd Böhmer, LL.M., Rechtsanwalt bei der Kanzlei Voigt Rechtsanwalts GmbH

Gesetze müssen manchmal ausgelegt werden. Das machen Juristen, indem sie die veröffentlichten Motive des Gesetz­gebers heranziehen, sich den eigent­lichen Regelungszweck des Gesetzes analytisch vor Augen führen oder die Unterschiede zu einer Vorgänger­regelung beleuchten. Früher wurden Versicherungsbedingungen genau so ausgelegt. Dann setzte sich in der Rechtsprechung die Einsicht durch, dass dem einfachen Versicherungsnehmer – im Gegensatz zum studierten Juristen – entsprechende Erkenntnismöglichkeiten fehlen. Daher sind mittlerweile nach höchstrichterlicher Rechtsprechung Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Ver­sicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Versicherungsrecht­liche Spezialkenntnisse haben dabei außen vor zu bleiben. Jetzt hat der Bundesgerichtshof (BGH) nochmals deutlich entschieden, dass das auch für andere Spezialkenntnisse gilt.

Ein Gebäudebesitzer beklagte Senkschäden

Folgender Sachverhalt stand zur Entscheidung an: Ein Gebäudebesitzer beklagte Senkschäden an seinem Haus, das an einem Terrassenhang stand. Es war davon auszugehen, dass allmähliche Erdbewegungen der letzten Jahre, oder vielleicht sogar Jahrzehnte, für die Risse im Mauerwerk des Hauses verantwortlich waren. Diese führte zu einem erheblichen Schaden an seinem Gebäude, dessen Erstattung er begehrte. Also wandte er sich an seinen Gebäudeversicherer. Denn seine Gebäudeversicherung umfasste auch Schäden durch Erdrutsch. Der Versicherer war aber nicht leistungswillig und argumentierte im Wesent­lichen, dass das, was der Versicherungsnehmer schilderte, nicht den Versicherungsfall darstelle, da ein Erdrutsch ein plötzliches, sensorisch wahrnehmbares Ereignis sei und Schäden durch sehr langsame Erdbewegungen eben kein Erdrusch und damit auch nicht ausgleichspflichtig seien. Mit anderen Worten: Der Versicherungsfall liege nicht vor. Der Gebäudebesitzer klagte.

Vorinstanz berücksichtigt Geologenwissen

Mit seiner Argumentation konnte der Versicherer auch in den ersten Instanzen überzeugen. Das zuständige Oberlandesgericht Bamberg folgte dem Versicherer und stellte in seiner Urteilsbegründung zwei Argumente heraus: Zum einen seien all die anderen in der Elementarver­sicherung abgesicherten Gefahren wie zum Beispiel die Überschwemmung, das Erdbeben oder der Vulkanausbruch punktuelle Ereignisse, sodass man daraus schließen müsse, dass auch nur der plötzliche Erdrutsch vom Versicherungsschutz umfasst sein solle. Zum anderen differenziere die geologische Fachwelt zwischen dem Erdrutsch, der typischerweise spontan erfolge, und dem Erdkriechen, das eine kontinuierliche Erdbewegung beschreibe.

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Ein Artikel von
Dr. Arnd Böhmer, LL.M.