New Leadership: Zwischen Tradition und Wandel
Ein Artikel von Kerstin Fuchs, Partner bei der CTG Consulting und Managing Director von Numeris Consulting
Die Finanz- und Versicherungsbranche ist traditionell von festen Strukturen, klaren Hierarchien und einem hohen Maß an Regulierung geprägt. Wie in anderen Bereichen auch galten Führungskräfte hier lange als unangefochtene Entscheider mit weitreichender Autorität. Doch die Arbeitswelt hat sich gewandelt: Digitalisierung, veränderte Wertvorstellungen und der Fachkräftemangel fordern neue Führungsansätze. Besonders die jüngeren Generationen erwarten von ihren Arbeitgebern nicht nur attraktive Gehälter, sondern auch Flexibilität, Sinnstiftung, eine wertschätzende Unternehmenskultur und Sicherheit in krisenreichen Zeiten.
Vor diesem Hintergrund stellen sich die Fragen: Wie funktioniert Führung heute noch? Welche Herausforderungen muss sie meistern? Und wie gestaltet man sie im Finanz- und Versicherungsumfeld?
New Leadership als Antwort auf die VUCA-Welt
Seit einigen Jahren leben wir in der sogenannten VUCA-Welt. Das Akronym VUCA steht für vier Herausforderungen, die die neue digitalisierte Arbeitswelt kennzeichnen: Volatilität (Volatility), Unsicherheit (Uncertainty), Komplexität (Complexity) und Mehrdeutigkeit (Ambiguity).
Die Antwort auf diese Herausforderungen ist ein neues Verständnis von Führung: New Leadership. Der Begriff New Leadership beschreibt einen modernen Führungsansatz, der auf Vertrauen und Eigenverantwortung setzt. Im Gegensatz zu klassischen hierarchischen Modellen verstehen sich New Leader nicht mehr nur als Anweisende, sondern als Coaches, Mentoren und „Enabler“. Ihr Ziel ist, Mitarbeitende zu befähigen, eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen und einen Rahmen für innovative Zusammenarbeit zu schaffen.
New Leadership steigert nicht nur die Motivation und Zufriedenheit der Mitarbeitenden, sondern trägt auch dazu bei, die Anpassungsfähigkeit und Wettbewerbsstärke des Unternehmens in einem dynamischen Marktumfeld zu sichern. Das Konzept fordert dazu auf, Führung als einen flexiblen, auf den Menschen ausgerichteten Prozess zu verstehen, der den gemeinsamen Erfolg in den Mittelpunkt stellt.
In vier Schritten zum neuen Rollenverständnis
1. Vertrauen statt Kontrolle
New Work bringt neue Herausforderungen mit sich. Angestellte arbeiten zunehmend remote oder hybrid, an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten. Und das ist auch gut so. Zusätzlich ändern digitale Beratungstools die Art und Weise, wie Finanz- und Versicherungsdienstleistungen erbracht werden. Unter diesen neuen Strukturen wird ein hohes Maß an Vertrauen noch wichtiger als zuvor. Nur eine Führungskraft, die Mitarbeitenden Freiraum gewährt und sie nicht durch Mikromanagement einschränkt, ermöglicht kreatives und produktives Arbeiten – das gilt in Zeiten von Remote Work mehr denn je. Outcome-orientierte Führung ist dabei das Stichwort: Solange die Ergebnisse stimmen, spielt es nur eine untergeordnete Rolle, wann oder wie lange ein Teammitglied am Schreibtisch sitzt.
2. Soft Skills: Kommunikationsstärke und Empathie entscheiden
Führung basiert heute weniger auf Expertise als auf zwischenmenschlichen Kompetenzen. Erfolgreiche Führungskräfte zeichnen sich durch Kommunikationsstärke, Empathie und emotionale Intelligenz aus. Gerade in der Versicherungs- und Finanzbranche, in der Kunden oft in sensiblen Lebenslagen beraten werden, ist es essenziell, dass auch die interne Führung von Wertschätzung und Empathie geprägt ist. Offenes Feedback und transparente Kommunikation sind zentrale Elemente eines erfolgreichen Miteinanders. Genauso entscheidend ist eine konstruktive Fehlerkultur, in der Irrtümer erlaubt sind und zum Lernen dienen.
3. Diversität und Inklusion als Schlüssel zum Erfolg
Diversität ist ein Wettbewerbsvorteil. Unterschiedliche Perspektiven fördern Kreativität und Innovation und helfen Unternehmen, eine zunehmend heterogene Kundschaft besser zu verstehen. Der Finanzbereich ist traditionell von homogenen Teams geprägt; hier muss sich noch viel tun. Dazu gehört nicht nur das bewusste Recruiting von Mitarbeitenden mit unterschiedlichen Hintergründen sowie unterschiedlichem Alter, sondern auch eine inklusive Unternehmenskultur, in der alle Stimmen gehört und geschätzt werden. Führungskräfte nehmen dabei eine Vorbildfunktion ein.
4. Agil führen: Flexibilität als Erfolgsfaktor
Traditionelle, starre Strukturen werden zunehmend durch agile Methoden ersetzt. Agile Führung bedeutet, flexibel auf Veränderungen zu reagieren und iterative Prozesse sowie die dezentrale Entscheidungsfindung zu fördern. Gerade in der Versicherungs- und Finanzbranche, in der regulatorische Anforderungen und Marktveränderungen schnelle Anpassungen erfordern, ist agiles Denken essenziell. Führungskräfte müssen lernen, Kontrolle abzugeben und ihren Teams die Freiheit zu geben, eigenständig Lösungen zu entwickeln.
Veränderung ganzheitlich denken
New Leadership bedeutet nicht, bewährte Strukturen komplett zu verwerfen, sondern sie Schritt für Schritt um moderne Ansätze zu ergänzen. Veränderung ist Kern unserer VUCA-Welt. Nicht nur bei der Einführung von neuen Führungsmethoden spielt ein durchdachtes Change-Management deshalb eine zentrale Rolle. Ein nachhaltiger Wandel erfordert klare Strategien, transparente Kommunikation und die aktive Einbindung aller Mitarbeitenden. Besonders wichtig ist dabei auch die Anpassung der Unternehmenskultur. New Leadership funktioniert nur dann, wenn Eigenverantwortung und Zusammenarbeit gezielt gefördert werden. Führungskräfte müssen als Vorbilder agieren, Weiterbildungen anbieten und Unternehmensprozesse entsprechend anpassen.
Digitale Werkzeuge sollten sinnvoll integriert werden, um moderne Arbeitsweisen zu unterstützen und die Effizienz zu steigern. Der Einsatz geeigneter Technologien kann Change-Prozesse erleichtern und den Austausch in hybriden oder virtuellen Teams optimieren. Entscheidend ist außerdem die kontinuierliche Weiterentwicklung – sowohl auf individueller als auch auf organisatorischer Ebene. Nur wenn all diese Aspekte ineinandergreifen, kann ein nachhaltiger Wandel gelingen und die Organisation langfristig wettbewerbsfähig bleiben.
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