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5. Mai 2011
Absicherung von Pflegefallrisiken: im Dschungel der Tarife und Versicherungsbedingungen

Absicherung von Pflegefallrisiken: im Dschungel der Tarife und Versicherungsbedingungen

Die Bevölkerung in Deutschland wird immer älter. Die deutsche Versicherungswirtschaft hat auf den Bedarf von „Seniorenprodukten“ bereits reagiert . Viele Unternehmen haben sich auf die Absicherung von Pflegefallrisiken fokussiert.

Von Alexander Schrehardt, Geschäftsführer der Consilium Beratungsgesellschaft für betriebliche Altersversorgung mbH

Die steigende Lebenserwartung und eine seit Jahren fallende Geburtenrate in Deutschland projizieren für die nächsten Jahrzehnte eine zunehmend überalternde Bevölkerung. Auch die deutsche Versicherungswirtschaft reagiert auf den vermehrten Bedarf von „Seniorenprodukten“. Viele Unternehmen haben sich vor dem Hintergrund steigender Fallzahlen auf die Absicherung von Pflegefallrisiken fokussiert.

Während in den letzten Jahren eine tendenzielle Annäherung der Versicherungsbedingungen von Berufsunfähigkeits- und Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungen zu beobachten war, fallen die Versicherungsbedingungen von Pflegekosten-, Pflegetagegeld- und Pflegerentenversicherungen weit auseinander. Viele Bedingungswerke beinhalten für den Vermittler haftungsrelevante Stolperfallen. Bei unzureichender Aufklärung des Mandanten bzw. einer mangelhaften Dokumentation im Leistungsfall können sich diese zu einer nicht unerheblichen Schadenersatzforderung ausweiten. Die von Versicherungsgesellschaften oftmals bevorzugte Darstellung der Tarifleistungen für einen stationären Pflegefall der Stufe 3 geht an der Pflegerealität zumindest teilweise vorbei und lässt eine aussagekräftige Produkteinordnung nicht zu. Für die qualifizierte Bewertung von Tarifen und Versicherungsbedingungen muss vielmehr ein bedarfsorientierter Ansatz unter Berücksichtigung der Situation von Pflegebedürftigen und ihren Familienangehörigen gewählt werden. Mit der isolierten Betrachtung des Worst-Case-Szenarios eines stationären Pflegefalls der Stufe 3 werden zum Beispiel nur ca. 6,15% aller Leistungsempfänger der sozialen Pflege-Pflichtversicherung erfasst (Stand 31.12.2009 – Pflegebericht der AOK vom Mai 2010). Eine differenzierte Bewertung von „Pflegetarifen“ sollte daher auf die in der Mehrheit der Fälle anzutreffende Pflegefallgenese beginnend mit der Pflegestufe 1 abgestellt werden.

Laienpflege im häuslichen Umfeld

Von den 2,13 Millionen Pflegefällen in Deutschland im Jahr 2005 wurden 1,45 Millionen Pflegebedürftige ambulant im häuslichen Umfeld und 980.000 dieser Pflegefälle durch Familienangehörige versorgt (Quelle: Statistisches Bundesamt). Für diese mit Abstand größte Gruppe pflegebedürftiger Personen werden von der Pflege-Pflichtversicherung die geringsten Pro-Kopf-Leistungen in Form von Pflegegeldzahlungen (§ 37 Abs. 1 SGB XI) erbracht. Das heißt, die flankierende private Absicherung des persönlichen Pflegefallrisikos sollte auf diese Fallkonstellation fokussiert und die Erwartungshaltung mit dem Mandanten besprochen werden.

Eine Leistungsbetrachtung verdeutlicht sehr schnell, dass mit einem Pflegegeld von 225 Euro/Monat (ab 01.01.2012 235 Euro/Monat) ein ambulanter, von Familienangehörigen versorgter Pflegefall der Stufe 1 nur im Ausnahmefall kostendeckend betreut werden kann. Eine qualifizierte Absicherung des Pflegerisikos sollte hier aufsetzen. Eine kritische Analyse der Versicherungsbedingungen offenbart jedoch vor allem bei Pflegetagegeldtarifen äußerst unzureichende Leistungen für genau diese Fallkonstellation. Eine Vielzahl von Tarifangeboten schließt Leistungen für einen Pflegefall der Stufe 1 grundsätzlich aus. Andere Tarife vermitteln einen vermeintlichen Versicherungsschutz, der mehr an ein Taschengeld als an eine bedarfsgerechte Leistungszahlung erinnert. In vielen Fällen werden die Versicherten bei Inanspruchnahme von familiärer Unterstützung im Pflegefall abgestraft. So erscheint die Bemessung mit 25% des vereinbarten Pflegetagegeldsatzes für einen Pflegefall der Stufe 1 bereits an sich sehr gering. Die Kürzung dieser Leistung um weitere 50% für den Fall einer ambulanten Laienpflege würde bei einem vereinbarten Tagegeldsatz von 50,00 Euro gerade noch zu einer Leistungszahlung von 6,25 Euro/Tag oder 187,50 Euro/Monat führen.

Erhält der Pflegebedürftige eine Höherstufung in die Pflegestufe 2, so kann für den Fall der ambulanten Laienpflege der Leistungsanspruch in Höhe von 70% des vereinbarten Tagegeldsatzes nur dann eingefordert werden, wenn die pflegenden Familienangehörigen gegenüber dem Versicherer einen schriftlichen Nachweis über ihre krankenpflegerischen Kenntnisse und Fähigkeiten führen können. In den aufgezeigten Fällen bleibt zu hoffen, dass der Vermittler dieser Tarife die Belehrung seiner Mandanten über derart höchst unzureichende Leistungen in seinem Beratungsprotokoll nachweisen kann.

Messlatte „Pflegestufe 0“

Mit der Ergänzung des Sozialgesetzbuches Nr. XI um die §§ 45a und 45b hat der Gesetzgeber auf die signifikante Zunahme dementieller Erkrankungen in Deutschland reagiert. In vielen Fällen führt eine demenzielle Erkrankung des Versicherten zu keiner Pflegeeinstufung, da die motorischen Grundfähigkeiten durch den demenziellen Krankheitsverlauf nicht eingeschränkt werden. Auch nach Anerkennung einer Pflegestufe erfordert die pflegerische Betreuung von Demenzpatienten aufgrund einer oftmals sehr eingeschränkten Orientierung und/oder einer erhöhten Weglaufgefährdung einen gesteigerten Betreuungsaufwand. Der für die zusätzliche Betreuung von Demenzpatienten im Gesetz vorgesehene Grundbetrag in Höhe von 100 Euro/Monat bzw. der erhöhte Betrag von 200 Euro/Monat kann jedoch nur als ein Tropfen auf den heißen Stein gewertet werden.

Die Erfordernis einer flankierenden Absicherung des Demenzrisikos im Rahmen einer privaten Pflegezusatzversicherung wird vor dem Hintergrund signifikant steigender Fallzahlen nachhaltig unterstrichen. Aktuell wird die Anzahl demenzieller Erkrankungen in Deutschland mit 1,0 bis 1,2 Millionen bei einem Zuwachs von 20.000 Neuerkrankungen/Jahr eingeschätzt. Die steigende Lebenserwartung der Bevölkerung katalysiert dabei den Anstieg der Fallzahlen, da demenzielle Erkrankungen alterskorreliert sind. Während in der Altersgruppe 65 bis 69 Jahre nur 1,2% des Kollektivs eine demenzielle Erkrankung aufweisen, steigt dieser Anteil in der Altersgruppe der über 90-Jährigen auf fast 35% an (Quelle: PD Dr. Klaus Junghanns, Universität Lübeck 2007).

Im Leistungsvergleich fallen die Tarifleistungen privater Pflegezusatzversicherungen für die „Pflegestufe 0“ weit auseinander. Viele Pflegekosten- und Pflegetagegeldtarife sehen für diese Leistungszielgruppe keine Tarifleistungen vor. Nach neueren Tarifwerken lösen anerkannte demenzielle Erkrankungen zumeist einen Leistungsanspruch in gleicher Höhe wie für einen Pflegefall der Stufe 1 aus. Im Gegensatz zu den Krankenversicherungstarifen wird das Demenzrisiko bei Pflegerententarifen regelmäßig höher bewertet und eine demenzielle Erkrankung in der Leistungsabrechnung überwiegend einem Pflegefall der Stufe 2 gleichgestellt. Bei den meisten Versicherungsgesellschaften erfolgt die Beurteilung eines leistungspflichtigen Demenzfalls auf der Grundlage der Global Deterioration Scale nach Reisberg oder gegebenenfalls einer alternativen Demenzbeurteilungsskala. Leistungsvoraussetzung ist hierbei eine Demenz mit mittelschweren kognitiven Leistungseinbußen mit dem Schweregrad 5 (GDS 5) oder höher. Einige Versicherungsgesellschaften lassen für den Nachweis der demenziellen Erkrankungen auch radiologische Untersuchungen (MRT) zu. In jedem Fall sollte der Vermittler jedoch darauf hinweisen, dass die Anerkennung einer leistungspflichtigen demenziellen Erkrankung durch den Träger der sozialen bzw. privaten Pflegepflichtversicherung keinen zwingenden Leistungsanspruch gegenüber dem Versicherer einer privaten Pflegezusatzversicherung auslöst. Denn das Ergebnis einer Begutachtung des Versicherten bzw. die Einschätzung eines Leistungsanspruchs i. S. von §§ 45a/b wird als Leistungsgrundlage in Versicherungsbedingungen regelmäßig nicht genannt.

Leistungsgrundlagen für die Pflegestufen 1 bis 3

Während die Krankenversicherungsgesellschaften einen tariflichen Leistungsanspruch mehrheitlich auf den Nachweis einer Pflegestufe i.S. von § 15 Abs. 1 und 3 SGB XI abstellen, basiert die Einordnung der Pflegestufe bei Pflegerententarifen häufig auf dem ADL-Katalog. Oft wird argumentiert, dass mit unterschiedlichen Bewertungssystemen die Chancen für ein Leistungsanerkenntnis durch zumindest einen Versorgungsträger verbessert werden. Im Umkehrschluss kann der Versicherungsnehmer aber auch mit zwei „Baustellen“ im Leistungsfall konfrontiert werden. Sofern für ein Leistungsanerkenntnis aus der privaten Pflegezusatzversicherung sowohl die sozialrechtliche als auch eine Pflegeeinstufung nach dem ADL-Katalog zugelassen werden, kann eine verbesserte Durchsetzung des Leistungsanspruchs sicherlich bejaht werden. Die von einigen Versicherungsgesellschaften in ihren Bedingungswerken formulierten Einschränkungen für eine Anerkennung einer leistungspflichtigen Pflegestufe auf der Grundlage einer medizinischen Befundung durch seitens des Versicherers beauftragte Ärzte kann aus heutiger Sicht nur zur Disqualifikation im Wettbewerb führen.

Konzeptioneller Beratungsansatz – Optionsrechte prüfen

In vielen Beratungsgesprächen verweist der Mandant auf ein begrenztes Budget, wenn es um die Absicherung des Pflegefallrisikos geht. Kostengünstige Einsteigertarife mit einem auf Schwerstpflegebedürftigkeit beschränkten Versicherungsschutz und garantierten Optionsrechten für eine Höherversicherung kann zwar keine perfekte, mit Blick auf die altersbezogene Pflegefallstatistik jedoch eine sinnvolle Absicherung bieten. Seitens des Vermittlers ist in diesem Fall zwingend darauf zu achten, dass der Optionsjoker auch nach Eintritt einer Pflegebedürftigkeit noch gezogen werden kann. In vielen Bedingungswerken wird das Optionsrechts auf Höherversicherung nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit ausgeschlossen.

Die ausgewählten Leistungskriterien für die Beurteilung von Pflegetarifen stellen nur exemplarische Beispiele aus einem umfassenden Katalog von Leistungsmerkmalen dar. Hier ist der Vermittler gefordert. Mit Grundkenntnissen über die Pflegeunterhaltsverpflichtung von (Ehe-)Partnern und Familienangehörigen oder Hinweisen auf die Rechte pflegender Personen können in vielen Fällen neue Kundenempfehlungen generiert werden.

 
Ein Artikel von
Alexander Schrehardt