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7. November 2023
Rechtsschutz transformiert zur Legal Protection Insurance
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Rechtsschutz transformiert zur Legal Protection Insurance

Digitalisierung und Deregulierung krempeln die bestehenden Verhältnisse im Rechtsmarkt um. Diese Entwicklungen berühren vermehrt auch die Geschäftsmodelle der Rechtsschutzversicherer. Welche Folgen ergeben sich daraus für die Rechtsschutzsparte? Und wie können die Versicherer darauf reagieren?

Ein Artikel von Andreas Heinsen, Rechtsanwalt und Rechtsschutzvorstand (i. R.)

Das Mindset, die fachlichen Skills und die darauf aufbauenden Geschäftsmo­delle der klassischen Legal Expenses Insurance (Prozesskostenversicherung) und der Legal Protection Insurance (Rechtsschutzversicherung) weisen große Unterschiede auf. Gerade die Anwaltschaft beharrt seit jeher auf der reinen Kostenabsicherungsfunktion, der freien Anwaltswahl und einem uneingeschränkten Rechtsberatungsmonopol, so wie es vermeintlich die §§ 125 bis 129 Versicherungsvertragsgesetz (VVG), das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) sowie das Berufsrecht manifestieren. Ein Blick in die allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB) des Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV) allein zeigt schon, dass die Rechtsschutzwelt sich stark verändert hat und sich disruptiv weiter in einen digitalen Rechtsdienstleistungsmarkt verändern wird.

Der zukünftige Rechtsmarkt wird mit weiteren Deregulierungen des Anwalts- und Rechtsdienstleistermarktes massiv die Geschäftsmodelle der Versicherer tangieren und in Teilen auch gefährden, wenn man den Spieß als Versicherer nicht umdreht und die eigene Kunden-, Vertriebs- und Kapitalstärke aktiv für einen zukünftig größeren Rechtsmarkt für sein Wachstum nutzt, wozu dann auch neue strategische Kooperationen gehören werden.

Rechtsschutz sichert als Konfliktlöser den Zugang zum Recht

Was sagen die heutigen ARB zu den Aufgaben von Rechtsschutz? ARB 2022 Nr. 1 (GDV): „Aufgaben der Rechtsschutzversicherung: Sie möchten Ihre rechtlichen Interessen wahrnehmen. Wir erbringen die dafür erforderlichen Leistungen und sichern Ihnen so den Zugang zum Recht. Der Umfang unserer Leistungen ist im Versicherungsantrag, im Versicherungsschein und in diesen Versicherungsbedingungen beschrieben. Gerne unterstützen wir Sie, Ihren Konflikt schnell und nachhaltig zu lösen. Fragen Sie uns nach Ihren Möglichkeiten.“ Ich empfehle für die eigene Strategieentwicklung jedes Wörtchen dieser Verbandsempfehlung sehr genau zu nehmen und mit dem eigenen Geschäfts- und Betriebsmodell zu spiegeln, um daraus Schlussfolgerungen für die gesamte End-to-End-Wertschöpfungskette für die Rechtsschutzversicherung abzuleiten.

LegalTechs treiben den Markt und gewinnen die Kundenschnittstellen

Mit dem LegalTech-Gesetz 2021 und einigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) hat sich der regulatorische Rahmen für den Rechtsmarkt massiv verändert. Diverse LegalTech-Geschäftsmodelle, von den Anwaltskammern erfolglos bekämpft, hat der BGH für zulässig erklärt, zuletzt die Komplettabwicklung von Kfz-Schäden über einen Rechtsdienstleister mit Inkassolizenz. Da geht es um das Butter- und Brotgeschäft der Anwaltskanzlei um die Ecke und Rechtsschutz hat für dieses Thema viele Optionen für den Ausbau der eigenen Rechts-Assistance- und Schadenservice-Strategie. Der Wake-up-Call für den zukünftigen digitalen Rechtsmarkt ist für die Sparten-Profis eigentlich nicht zu überhören, und dieser ist gerade für Juristen mehr als spannend, da es um das Management und dann auch zukünftigen Vertrieb von „Rechtsdienstleistungen mit Versicherungsschutz“ geht, was auch die bisherigen Kalkulationsgrundlagen für dann neue Produktmodelle völlig auf dem Kopf stellen wird. Mutig sein in der Produktentwicklung und professionell in deren Monitoring, das steht auf der Agenda.

Die „Lex Rechtsschutz“ des § 4 RDG muss weg!

Die meisten Versicherer sehen sich schon seit längerer Zeit nicht mehr als alleinige Zahlstelle der Anwaltschaft, sondern als aktive Konfliktlöser und Rechtsnavigatoren für ihre Versicherten. Nun fordert auch der GDV, dass die „Lex Rechtsschutz“ des § 4 RDG mit Blick auf andere EU-Länder und die Schweiz zu Grabe getragen wird. Für die Anwaltschaft auf dem diesjährigen Anwaltstag eine „Kriegserklärung“ – selten, dass sich eine GDV-Vertreterin so etwas hat vorhalten lassen müssen. Aber Flagge zeigen ist wichtig, um Veränderungen und ein Level-Playing-Field gegenüber den LegalTechs auch durchzusetzen.

Rechtsdienstleistungsmarkt 2030 kommt näher oder ist schon da

Die Anwaltschaft ist aufgefordert, ihre eigene Zukunftsstudie 2030 des Deutschen Anwaltverein e. V. (DAV) aus dem Jahr 2013 (!) für den deutschen Rechtsmarkt zu lesen. Danach kann davon ausgegangen werden, dass mit der Zulassung von Alternative Business Structures (ABS) im deutschen Rechtsdienstleistungsmarkt und der zumindest teilweisen Abschaffung des Anwaltsmonopols über das RDG zahlreiche neue finanzkräftige Akteure in den Rechtsdienstleistungsmarkt eintreten werden, in einem sehr zerklüfteten 30-Mrd.-Euro-gesamt-Rechtsmarkt. Wenn nun der BayAGH (Anwaltsgerichtshof) über den Europäischen Gerichtshof (EuGH) das Fremdbesitzverbot für Anwaltskanzleien im Jahr 2024 zum Kippen bringt, wovon viele Standesrechtsspezialisten ausgehen, dann kommt es zum „Dammbruch“ für den Rechtsmarkt und nicht nur für das Verbraucherrecht, sondern auch für die Firmenkunden-Großkanzleien. Ob es schlau ist, für Rechtsschutz eigene Kanzleien zu betreiben, die den sonstigen Berufsregeln weiter unterliegen würden, ist für Deutschland eine ganz andere Frage, ein Blick in die kleine Schweiz, die einen größeren Rechtsschutzmarkt (ca. 7 Mrd. Euro) in Relation zu Deutschland (5 Mrd. Euro) hat, ist da hinsichtlich der Produkt- und Eigenregulierungsmodelle hilfreich.

Leuchtturm-Investment von Auxilia und LVM

Die Ergebnisse der DAV-Zukunftsstudie scheinen sich die Strategie-Teams KS Auxilia und LVM sowie von der Rightmart Group zu Herzen genommen und als Leitplanken für ihre gemeinsame Weiterentwicklung der jeweiligen Geschäftsmodelle gesetzt zu haben – mit 27,5 Mio. Euro Investmentkapital ein spannendes Projekt, das auch viel Vertrauen unter sehr gut zusammenpassenden Wettbewerbern erfordert. Und man muss auch gar nicht auf das Fallen des Fremdbesitzverbotes durch den EuGH warten; es gibt diverse andere rechtlich zulässige Optionen, man muss sie nur wollen.

Der Weg der Rightmart Group ist klar kommuniziert. Die Finanzierung der Rechtsschutzversicherer markiert den Start einer Konsolidierungsstrategie für den Verbraucherrechtsmarkt, um das Wachstum weiter zu beschleunigen und Skaleneffekte zu maximieren. So strebt das Bremer Unternehmen an, unterschiedliche LegalTechs zu konsolidieren, was mit der Legal One GmbH begonnen wurde, und in Zusammenarbeit mit Partnerkanzleien die größte und bekannteste Kanzleimarke für Verbraucherrecht aufzubauen. Letzteres soll anorganisch auf Basis einer Roll-up-Strategie für Kanzleien beschleunigt werden.

Aber auch die DEVK und ROLAND Rechtsschutz sind mit ihren LegalTechs Klugo und Jurpartner in den Markt und bis auf die CHECK24-Plattform gestartet und die ARAG treibt den Umbau der deutschen Muttergesellschaft zum LegalTech mit Rechtsdienstleistungen und Versicherungsschutz weiter voran und ist hierbei auch vertrieblich seit 2015 höchst erfolgreich.

Die Herausforderungen werden also nicht kleiner, da auch die Inflationsfolgen auf die Streitwerte und weiteren Kostenerhöhungen für Anwälte und Gerichte – neue Kostengesetze im Jahr 2024 sind im Anflug – zu verarbeiten sein werden. Dass sich Rechtsschutz unter diesen Voraussetzungen und Zukunftsaussichten auch als smarte Embedded Legal Insurance weiterentwickeln kann und damit neue Märkte für sich öffnet, ist nur eine spannende Folge für eine Sparte, die das Potenzial zur High-Interest-Versicherung aus Kunden- und Vertriebssicht hat. Welche Sparte hat dies schon?

Über Andreas Heinsen

Andreas Heinsen, Rechtsanwalt, begann als Versicherungsvermittler nach §84 HGB, absolvierte nach dem Jurastudium Stationen bei der Volksfürsorge, Hamburger Feuerkasse und Hamburg-Mannheimer. 1996 erfolgte die Berufung zum Vorstand der ÖRAG Rechtsschutz AG, 2010 zum Vorstandsvorsitzenden der Deutsche Assistance Versicherung AG. 2021 schied er nach 25 Vorstandsjahren aus seinen Ämtern aus und ist heute als beratender Rechtsanwalt und Dozent im Umfeld von Versicherern, LegalTechs sowie der Anwaltschaft tätig.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 11/2023 und in unserem ePaper.

Bild: © natali_mis – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Andreas Heinsen