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4. Dezember 2014
Was wäre, wenn jeder die Wahl zwischen PKV und GKV hätte?

Was wäre, wenn jeder die Wahl zwischen PKV und GKV hätte?

Zwei Hamburger Professoren haben eine etwas andere Reform für das deutsche Krankenversicherungssystem vorgeschlagen. Demnach soll jeder Bürger unabhängig vom Einkommen die Wahl zwischen GKV und PKV haben. Bei einem Wechsel in die PKV erhielte der private Krankenversicherer den Beitrag, den auch ein gesetzlicher Versicherer aus dem Gesundheitsfonds erhalten würde. Im Rahmen einer Veranstaltung vom Hamburg Center for Health Economics wurde über den Vorschlag diskutiert. Das Echo ist geteilt.

Zahlreiche Reformbemühungen prägen die Diskussion um das deutsche Krankenversicherungssystem. Allen gemeinsam ist, dass sie die Abschaffung eines Systems und damit die Schaffung eines einheitlichen Krankenversicherungsmarktes zum Ziel haben. Prof. Dr. Mathias Kifmann (Professor für Volkswirtschaftslehre am Fachbereich Sozialökonomie der Universität Hamburg) und Prof. Dr. Martin Nell (Direktor des Instituts für Versicherungsbetriebslehre an der Universität Hamburg) haben eine Alternative vorgestellt.

Der Reformvorschlag enthält fünf zentrale Punkte:

  • Jeder Bürger zahlt immer den Beitrag zum Gesundheitsfonds.
  • Bei einem Wechsel in die PKV erhält der private Krankenversicherer den Beitrag, den auch ein gesetzlicher Krankenversicherer aus dem Gesundheitsfonds erhalten würde.
  • Zur Sicherung der Nachhaltigkeit wird ein Teil der Einnahmen des Gesundheitsfonds für den Aufbau eines Kapitalstocks verwendet.
  • PKV-Verträge werden wie bisher auch als langfristige Verträge ohne ordentliches Kündigungsrecht des Versicherers geschlossen. Der Unterschied zum Status quo besteht lediglich darin, dass die erwarteten Leistungen aus dem Gesundheitsfonds in die Kalkulation eingehen.
  • Jeder Bürger hat die Wahl zwischen GKV und PKV – unabhängig vom Einkommen.

Kern des Reformvorschlags ist, dass alle einkommensabhängig in den Gesundheitsfonds einzahlen – unabhängig davon, ob sie privat oder gesetzlich versichert sind. Dadurch wird erreicht, dass der Solidarbeitrag eines Versicherten nicht mehr von der Wahl des Krankenversicherungssystems abhängt. Die Professoren erläutern: „Dieser Solidarbeitrag entspricht der Differenz zwischen dem Beitrag, den ein Versicherter für den Gesundheitsfonds zu entrichten hat, und dem Beitrag, der aus dem Gesundheitsfonds an den Krankenversicherer gezahlt wird. Ist die Differenz positiv, was bei Versicherten mit einem hohen Einkommen und einem geringen Krankheitsrisiko der Fall ist, zahlen diese die Differenz als Solidarbeitrag. Personen mit geringem Einkommen und hohem Krankheitsrisiko erhalten dagegen einen Sozialbeitrag in Höhe der Differenz.“

Nebeneinander von GKV und PKV

Für GKV und PKV bedeutet der Reformvorschlag, dass die jeweiligen Geschäftsmodelle grundsätzlich beibehalten werden. Die einzige Änderung für die PKV bestünde darin, dass sie für einen Versicherten eine risikogerechte Zahlung aus dem Gesundheitsfonds erhielte, die in die Prämienkalkulation eingehe, sodass die Versicherungsprämie und die Höhe der Altersrückstellungen niedriger ausfallen würden. Gleichzeitig erhalte die PKV Zugang zu dem Markt der GKV-Versicherten. Für diese würde sich ein Wechsel in die PKV nur noch dann lohnen, wenn sie für eine umfassendere Versorgung mehr zu zahlen bereit seien bzw. wenn Prämiensenkungen durch Selbstbehalte oder Beitragsrückerstattungen bevorzugt würden. Für gut verdienende GKV-Versicherte sei ein Wechseln rein aus der Überlegung heraus, Solidarbeiträge zu sparen, nicht mehr lukrativ. „Private Versicherungen müssen mit einem attraktiveren Angebot, zum Beispiel bei Leistungen oder der Gestaltung von Selbstbeteiligungstarifen, überzeugen – zum Wohle aller Versicherten“, erklärt Prof. Kifmann.

Reformvorschlag kaum umsetzbar

Im Rahmen einer Veranstaltung vom Hamburg Center for Health Economic wurde der Reformvorschlag der beiden Professoren mit Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, sowie Dr. Clemens Muth, Vorstandsvorsitzender der DKV AG, diskutiert.

Nach Ansicht von Dr. Clemes Muth enthalte das Modell der beiden Wissenschaftler zwar interessante Aspekte, allerdings sei der Reformvorschlag für zukünftige Generationen schädlich, praxisfern und kaum umsetzbar. Zudem seien viele entscheidende Fragen noch offen.

Positiv sieht Muth, dass die beiden Professoren grundsätzlich die Notwendigkeit sehen, kapitalgedeckt für die Gesundheitskosten im Alter vorzusorgen. Weiter sei der erleichterte Zugang in die PKV zu befürworten. Allerdings habe das „Kifmann-Nell-Modell“ seiner Ansicht nach auch mehrere Schwächen. Diese erläutert Muth wie folgt: „Hier möchte ich nur zwei Punkte herausgreifen. Erstens gäbe es de facto weniger Kapitaldeckung und damit weniger Generationengerechtigkeit. Denn in der PKV würden Alterungsrückstellungen nur für das ‚Mehr‘ gegenüber der GKV aufgebaut. Und ob die geplante Kapitaldeckung für GKV-Leistungen kommt, ist mehr als ungewiss. Der angedachte Kapitalstock ist zudem nicht vor staatlichem Zugriff geschützt. Damit gleicht er einer offenen Geldbörse, in die man nur hineinzugreifen braucht. Zweitens sehe ich nicht, wie die Kalkulation der PKV in einem solchen System funktionieren könnte. Die GKV schaut von Jahr zu Jahr. Leistungskatalog und Morbi-RSA lassen sich kurzfristig ändern. Die PKV kann dagegen ihren Leistungskatalog nicht einfach anpassen. Sie garantiert den Versicherten die vertraglich vereinbarten Leistungen über die gesamte Vertragslaufzeit. Und sie kalkuliert ihre Prämien mit Alterungsrückstellungen und damit langfristig: Schwankende Zuweisungen aus dem Morbi-RSA sind damit nicht vereinbar.“

Abschied von der PKV durch die Hintertür

Seiner Ansicht nach bedeutet der Reformvorschlag einen Abschied von der PKV durch die Hintertür. Muth ist sich sicher: „GKV-Prinzipien lassen sich eben nicht einfach auf die PKV übertragen. Die auch aufgrund des Zusammenspiels von privater und gesetzlicher Krankenversicherung im internationalen Vergleich erstklassige Qualität des Gesundheitswesens in Deutschland würde gefährdet. Von dem Verlust an Generationengerechtigkeit ganz zu schweigen.“ (kb)