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Steuern & Recht
9. Mai 2022
Überstunden: Beweispflicht weiter beim Arbeitnehmer

Überstunden: Beweispflicht weiter beim Arbeitnehmer

Die arbeitgeberseitige Pflicht zur Einführung eines Messsystems der vom Arbeitnehmer geleisteten täglichen Arbeitszeit bezieht nicht die Überstundenvergütung mit ein. Hierfür trägt weiterhin der Arbeitnehmer selbst die Darlegungs- und Beweislast.

Der Arbeitnehmer hat zur Begründung einer Klage auf Vergütung geleisteter Überstunden erstens darzulegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat. Und da der Arbeitgeber Vergütung nur für von ihm veranlasste Überstunden zahlen muss, hat der Arbeitnehmer zweitens vorzutragen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat. Diese vom Bundesarbeitsgericht (BArbG) entwickelten Grundsätze zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die Leistung von Überstunden durch den Arbeitnehmer und deren Veranlassung durch den Arbeitgeber ändern sich auch nicht durch die auf Unionsrecht beruhende Pflicht zur Einführung eines Systems zur Messung der vom Arbeitnehmer geleisteten täglichen Arbeitszeit.

Auslieferungsfahrer gegen Einzelhandelsunternehmen

Im konkreten Fall war ein Auslieferungsfahrer bei einem Einzelhandelsunternehmen beschäftigt. Seine Arbeitszeit erfasste er mittels technischer Zeitaufzeichnung, wobei nur Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten aufgezeichnet wurden. Zum Ende des Arbeitsverhältnisses ergab die Auswertung der Zeitaufzeichnungen einen positiven Saldo von 348 Stunden zugunsten Fahrers. Mit seiner Klage hat er daraufhin Überstundenvergütung in Höhe von 5.222,67 Euro brutto verlangt und dabei geltend gemacht, er habe die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet. Pausen zu nehmen, sei nicht möglich gewesen, weil sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können. Die beklagte Arbeitgeberin hat dies allerdings bestritten.

Bisheriger Prozessverlauf: Arbeitsgericht gibt Klage statt

Das Arbeitsgericht Emden (AG) hat der Klage stattgegeben. Es hat argumentiert, durch das entsprechende EuGH-Urteil vom 14.05.2019, wonach die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen, werde die Darlegungslast im Überstundenvergütungsprozess modifiziert. Die positive Kenntnis von Überstunden als eine Voraussetzung für deren arbeitgeberseitige Veranlassung sei jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn der Arbeitgeber sich die Kenntnis durch Einführung, Überwachung und Kontrolle der Arbeitszeiterfassung hätte verschaffen können. Ausreichend für eine schlüssige Begründung der Klage sei, die Zahl der geleisteten Überstunden vorzutragen. Da die beklagte Arbeitgeberin ihrerseits nicht hinreichend konkret die Inanspruchnahme von Pausenzeiten durch den klagenden Auslieferungsfahrer dargelegt habe, sei die Klage begründet.

Landesarbeitsgericht weist Klage ab

Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage mit Ausnahme der bereits von der beklagten Arbeitgeberin abgerechneten Überstunden abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte nun auch vor dem BArbG keinen Erfolg: Laut BArbG habe das Berufungsgericht richtig erkannt, dass vom Erfordernis der Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung und Zurechnung von Überstunden durch den Arbeitnehmer auch nicht vor dem Hintergrund der genannten EuGH-Entscheidung abzurücken ist. Nach gesicherter EuGH-Rechtsprechung beschränken sich die Bestimmungen darauf, Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Sie finden aber grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer. Die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit hat deshalb keine Auswirkung auf die nach deutschem materiellen und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess.

Auslieferungsfahrer hat Überstundenerforderlichkeit nicht ausreichend dargelegt

Hiervon ausgehend hat die Vorinstanz aus Sicht des BArbG zutreffend angenommen, der klagende Auslieferungsfahrer habe nicht hinreichend konkret dargelegt, dass es erforderlich gewesen sei, ohne Pausenzeiten durchzuarbeiten, um die Auslieferungsfahrten zu erledigen. Seine bloße pauschale Behauptung ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten genüge hierfür nicht. (ad)

BArbG, Urteil vom 04.05.2022 – 5 AZR 359/21

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