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10. Oktober 2023
„In komplett anderem Marktumfeld als in vergangenen Jahren“

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„In komplett anderem Marktumfeld als in vergangenen Jahren“

Die Geopolitik ist wieder im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen und birgt viele Gefahren. Diese bekommt auch der Kapitalmarkt zu spüren. Investmentunternehmen müssen geopolitische Risiken nun wieder stärker in ihre Entscheidungen einbeziehen. Warum ist das so und worauf gilt es zu achten?

Interview mit Anna Rosenberg, Head of Geopolitics am Amundi Investment Institute
Frau Rosenberg, Ihr Spezialgebiet bei Amundi sind geopolitische Risiken. Wir alle sehen, wie sich in der Welt was verschiebt. Bewerten Sie die heutigen Risiken – sagen wir im Vergleich zu den vergangenen 10 bis 15 Jahren – als gefährlicher?

Auf jeden Fall. Nach dem Fall der Berliner Mauer stand die Welt offen. Es war Demokratie möglich, der gemeinsame Handel war etwas Positives. Es war eine Zeit des Optimismus. Im Moment ist das anders. Es gibt sehr viele Risiken, die wesentlich gravierender sind, als sie das über die letzten 15 Jahre waren. Zuvor hatten wir zwar Krisen, die aber meistens lokal angesiedelt waren und nicht global wie heute. Dadurch sind die jetzigen Risiken etwas existenzieller für die Weltwirtschaft.

Wir sehen den Krieg gegen die Ukraine, die Unstimmigkeiten zwischen China und USA. Sind das die beiden Hauptthemen?

Es sind im Moment die zwei Hauptthemen, unter denen man die anderen organisieren kann. Aber es gibt auch andere wie z. B. die Multipolarität. Im aktuellen Umfeld wollen viele Länder, die sich nicht mit den USA und China direkt assoziieren wollen, von der gegenwärtigen Situation profitieren und schlagen sich daher beim Thema Ukraine nicht auf die Seite des Westens. Das kreiert weitere Spannungen und Gefahren. Prinzipiell aber sind wir in der Zeit der „Great Power Competition“, und diese konzentriert sich auf die USA und China, wobei der Krieg in der Ukraine eine wichtige Facette ist.

Was bedeuten diese Umstände denn für die Investitionsströme auf die Länder bezogen?

Es bedeutet, dass man auf diese Risiken achten und sich bewusst sein muss, wie gefährlich sie sind. Bei geopolitischen Risiken geht es aber nicht nur darum, sie abzuwenden, sondern auch darum, Möglichkeiten zu entdecken, die sich durch die gerade stattfindenden Verschiebungen ergeben. Die Länder, die sich nicht auf die Seite Chinas oder der USA schlagen wollen, führen derzeit neue Verbindungen ein, z. B. die Erweiterung der BRICS-Länder. Dadurch haben sie bessere Verhandlungspositionen, die auch dazu führen, dass sich die USA und die EU besser mit diesen Ländern stellen möchten, was wiederum neue Investitionsmöglichkeiten bietet.

Und auf Branchen bezogen? Wir denken da zum Beispiel an das Thema Taiwan und Halbleiter.

Da ist der Einfluss signifikant. Sollte etwas mit Taiwan passieren, wären die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft gravierend, weil sie mehr oder weniger komplett abhängig von der Halbleiterproduktion in Taiwan ist. Daher sehen wir auch die Bemühungen, sich von dieser Abhängigkeit loszulösen. Allerdings sind die Investitionsanforderungen, die man für eine Unabhängigkeit bräuchte, so groß, dass es sehr schwierig ist, sich von Taiwan gänzlich loszulösen. Das stellt in jedem Fall die größte Gefahr für die Märkte in den nächsten Jahren dar, sollte es wirklich zu einem Krieg kommen und es einen Einbruch in der Halbleiterindustrie geben.

Verschärft nicht auch der Klimawandel diese Risiken noch?

Der Klimawandel stellt noch ein zusätzliches Risiko dar, das ständig im Hintergrund mitschwirrt, allerdings sind die geopolitischen Risiken wahrscheinlich akuter, weil sie in der gegenwärtigen Zeit stattfinden. Der Klimawandel ist zwar auch schon hier, aber gefühlt weiter weg. Das führt dazu, dass Politiker die Geopolitik priorisieren. Allerdings sind viele Beziehungen zwischen Ländern aktuell im Umbruch – da bietet der Klimawandel eine Möglichkeit der Kollaboration. Insofern hat er also auch das Potenzial, Länder wieder näher zueinander zu bringen.

 
Ein Interview mit
Anna Rosenberg