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13. Januar 2016
„Versteckte“ AU-Klausel in den meisten BU-Bedingungswerken?

„Versteckte“ AU-Klausel in den meisten BU-Bedingungswerken?

Eine aktuelle Statistik des GDV zur Schadenregulierung der BU-Versicherer sorgt für Diskussionen unter BU-Experten. Hinsichtlich der dort genannten Bearbeitungszeit meldet Versicherungsmakler Alexander Stegmeier Zweifel an. Die (fiktive) AU-Klausel könnte seiner Ansicht nach Antragsteller vor langen Bearbeitungszeiten schützen, wie er in seinem nachstehenden Kommentar ausführt.

Einige Versicherer haben in ihren Bedingungswerken eigene Regelungen als Leistungseinstieg in die Berufsunfähigkeitsrente bei Arbeitsunfähigkeit. Die meisten BU-Versicherer wollen aber ganz bewusst diese sogenannte AU-Klausel oder „Gelber-Schein-Regelung“ nicht in ihren Bedingungswerken verankern, da diese für sie nicht oder nur schwer kalkulierbar ist.

Fest steht, dass die AU-Klausel beim Leistungsantrag eine wesentliche Erleichterung für den betroffenen Kunden dahingehend darstellt, dass er schneller an eine monatliche Zahlung seiner Rente kommt.

Der GDV hat jüngst in einer nicht unumstrittenen Veröffentlichung mitgeteilt, dass die durchschnittliche Bearbeitungsdauer der Gesellschaften zwischen vollständigem Leistungsantrag und Leistungsentscheidung 13 Kalendertage dauert. Aus eigener Erfahrung ist diese Schnelligkeit eher selten der Fall, daher bezweifle ich diese Zahl! Insofern ist die Unterstützung durch die AU-Klausel für den Anspruchserhebenden sehr hilfreich.

Versicherten, deren bestehendes BU-Bedingungswerk keine AU-Klausel vorsieht, und die länger als sechs Monate arbeitsunfähig sind, könnte ein Urteil des Landgerichts (LG) Dortmund aus dem Jahr 2014 sehr hilfreich bei Leistungsanträgen sein.

Klausel zur fiktiven BU

Der überwiegende Teil der BU-Versicherer verwendet neben der normalen Definition zur Berufsunfähigkeit zusätzlich eine Klausel zur fiktiven Berufsunfähigkeit. Das bedeutet: Kann nicht festgestellt werden, dass die Berufsunfähigkeit voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen andauern wird, so gilt es als Berufsunfähigkeit von Beginn an, wenn die Berufsunfähigkeit gemäß § 2 Absatz 1 und 2 tatsächlich länger als sechs Monate angedauert hat.

Dies hat das LG Dortmund mit Urteil vom 06.02.2014 (Az.: 2 O 249/13) zum Anlass genommen einen Versicherer mit einem fingierten Leistungsanerkenntnis zur Zahlung zu verurteilen. Aus dem Urteil:

„... Nach diesen ärztlichen Berichten und Gutachten, die die Beklagte ihrer Leistungsentscheidung zugrunde gelegt hat, bestand für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit der Klägerin in ihrem Beruf als Arzthelferin. Diese, die Prognose bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit ersetzende sogenannte fiktive Berufsunfähigkeit gemäß § 2 der vereinbarten BUZ 92, gilt von Beginn an als Berufsunfähigkeit, so dass zum Zeitpunkt der Leistungsentscheidung der Beklagten die vereinbarten Voraussetzungen für ein bedingungsgemäßes Leistungsanerkenntnis durch die Beklagte vorlagen …“

Und weiter: „… Gibt aber der Versicherer ein nach den Bedingungen gebotenes Leistungsanerkenntnis nicht ab, wird sein gebotenes Anerkenntnis fingiert mit der Folge, dass der Versicherer verpflichtet ist, die bedingungsgemäßen Leistungen – im vorliegenden Fall monatliche Rente und Beitragsbefreiung – zu erbringen …“

Unbeabsichtigt: „fiktive“ AU-Klausel

Das heißt, die durchgängig bescheinigte Arbeitsunfähigkeit über sechs Monate kann ein Nachweis sein, dass der letzte Beruf vor der Erkrankung zu 100% nicht ausgeübt wurde.

In diesen Fällen sagt das LG Dortmund: „Ist nach den von einem Versicherer seiner Entscheidung zugrunde gelegten ärztlichen Berichten von einer mehr als sechsmonatigen Arbeitsunfähigkeit auszugehen, wird ein Leistungsanerkenntnis fingiert“ (Leitsatz). Mit der Folge, dass das Gericht den Versicherer so stellt, als hätte er ein Leistungsanerkenntnis abgegeben.

Von diesem kann sich der Versicherer dann nur noch über ein Nachprüfungsverfahren lösen, das für den Versicherten wesentlich besser ist. Aus meiner Sicht haben somit über das fingierte Leistungsanerkenntnis fast alle Versicherer eine „fiktive“ AU-Klausel in ihrem Bedingungswerk. Ob sie nun wollen oder nicht!

Hier finden Sie eine Gegenüberstellung der Regelungen zur AU und BU. Zusammengestellt von Versicherungsmakler Alexander Stegmeier als pdf.

Lesen Sie auch: GDV will Vorwürfe an BU-Versicherer mit neuer Statistik entkräften

 

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Martin Seichte… am 13. Januar 2016 - 12:36

Das Urteil des LG Dortmund ist m.E. unglücklich formuliert, was wohl zu der riskanten Schlussfolgerung von Herrn Stegmeier geführt hat, dass fast alle Versicherer über das fingierte BU-Leistungsanerkenntnis eine „fiktive“ AU-Klausel in ihrem Bedingungswerk haben.
Diese Schlussfolgerung ist m.E. unzulässig und irreführend!
Begründung:
1. Es handelt sich hier um eine Einzelfallentscheidung eines erstinstanzlichen Urteils (Landgericht), dass nicht auf andere Fälle übertragen werden kann.
2. Bei der Wertung des Urteils müssen die Umstände des zu Grunde liegenden Einzelfalls berücksichtigt werden (z.B.):
a) Die BU-Leistung wurde aufgrund einer (fast immer) streitanfälligen psychischen Erkrankung verlangt, die zu einer langandauernden (aber vorübergehenden) Arbeitsunfähigkeit der VP führte.
b) Der betroffene Versicherer hatte den BU-Leistungsfall "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" befristet im Rahmen einer Individualvereinbarung von 02.2012 bis inkl. 08.2012 anerkannt.
Das Gericht ist in diesem Fall wohl zu der Überzeugung gekommen, dass im maßgeblichen Zeitraum von 02.2012 bis 06.2013 nicht nur Arbeitsunfähigkeit, sondern auch bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit bestanden hat und hat daher den Leistungsanspruch der VN für diesen Zeitraum bejaht. Leider wird das in der Urteilsbegründung nicht eindeutig gesagt.
Der Versicherer hätte den Leistungsfall daher unbefristet und nicht (wie erfolgt für 7 Monate) befristet anerkennen müssen, um dann im Nachprüfungsverfahren seine Leistung (spätestens ab 07.2013) einzustellen.
Die Schlussfolgerung, dass bei 6 Monate ununterbrochen andauernder AU auch (immer) bedingungsgemäße BU besteht, ist nicht zulässig, da dieses immer vom Einzelfall abhängig ist.
Während AU dann vorliegt, wenn die VP vorübergehend und vollständig unfähig ist, ihre Berufstätigkeit am konkreten Arbeitsplatz auszuüben, besteht im Rahmen des BU-Versicherungsschutzes nur dann ein Leistungsanspruch, wenn die VP aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft (i.d.R. 6 Monate) außerstande ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf zu mindestens 50% noch ausüben zu können. Dabei wird der zuletzt ausgeübte Beruf durch das konkrete Anforderungsprofil des letzten Arbeitsplatzes bestimmt.
Kann also durch zumutbare Änderungen des bisherigen Arbeitsplatzes der zuletzt ausgeübte Beruf (unter Beibehaltung des bisherigen beruflichen Tätigkeitsprofils) wieder zu mehr als 50% ausgeübt werden, besteht zwar am bisherigen Arbeitsplatz AU, aber keine BU.
Das fingierte BU-Leistungsanerkenntnis kann nicht die AU-Klausel im Rahmen der BU-Bedingungen ersetzen!
Die AU-Klausel erleichtert dem Anspruchsteller den Nachweis des Leistungsanspruchs und verschafft ihm auch dann einen (i.d.R. temporären) Leistungsanspruch, wenn nur AU und noch keine BU besteht.

Lieber Herr Seichter,
zunächst einmal vielen Dank, dass Sie sich kritisch mit meinem Kommentar befasst haben. Gestatten Sie mir allerdings bitte noch ein paar kleine Anmerkungen zu Ihren Ausführungen.
zu 1. Das Landgericht Dortmund, unter dem damaligen Vorsitz von Dr. Tschersich (mittlerweile Richter a.D.), hat weitreichende Fachkompetenz bezgl. BU-Leistungsfällen. Die dortigen Urteile werden u.a. immer wieder als Grundlage für andere Gerichte genommen, bzw. zitiert und sind auch in Fachkreisen hoch geschätzt.
zu 2. Letztendlich liegt jedem Urteil eine Einzelfallentscheidung zu Grunde.

In meinem Kommentar habe ich nie behauptet, dass bei 6 Monaten andauernder AU auch (immer) bedingungsgemäße BU vorliegt.

Die fiktive Berufsunfähigkeit war hier der ausschlaggebende Punkt, die Prognose der bedingungsgemäßen BU wurde durch die Tatsache dass die Versicherte tatsächlich über 6 Monaten Arbeitsunfähig war ersetzt. Dies ist in den Bedingungswerken seperat geregelt (Kann nicht festgestellt werden, dass die Berufsunfähigkeit voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen andauern wird, so gilt es als Berufsunfähigkeit von Beginn an, wenn die Berufsunfähigkeit gemäß § 2 Absatz 1 und 2 tatsächlich länger als sechs Monate angedauert hat).
Dies wurde auch in der Urteilsbegründung deutlich gemacht, hier wurde bewusst der Begriff Arbeitsunfähigkeit genannt.
Nach den Richtlinien zur Arbeitsunfähigkeit ist AU nur dann gegeben wenn die ausgeübte Tätigkeit zu 100 % nicht mehr ausgeübt werden kann. Auch hier ist die Sicht auf die konkreten Bedingungen der bisherigen Tätigkeit abzustellen.

Die von Ihnen angesprochenen zumutbaren Änderungen des Arbeitsplatzes "Umorganisation" ist ja, zumindest für Angestellte, in den meisten Bedingungswerken kein Thema mehr. Hier wird i.d.R. darauf verzichtet.

Natürlich kann das fingierte Leistungsanerkenntnis keine echte AU-Klausel ersetzen, das Problem ist dass viele BU-Versicherte keine AU-Klausel im Vertrag haben.
Dies war auch kein Ansatzpunkt meines Kommentares.
Die AU-Klausel gehört für mich in jeder BU vereinbart!

Gespeichert von Markus Herrmann am 13. Januar 2016 - 14:23

Ich stelle mir die Frage in welcher Einzelbetrachtung/Entscheidung bei einer andauernden AU (hier länger als 6 Monate) der Versicherer / Richter die BU Leistung verweigern kann. Ist das nicht eher eine theoretische Frage?
welche Fälle sind jemals bekannt geworden? Vllt können Sie mir hier weiter helfen. Danke für den Bericht.

Hallo Herr Herrmann,
leider ist das keine theorethische Fragestellung. Das kommt, wie immer, auf den Einzelfall an. Hier ein aktuelles Bespiel aus einem BU-Leistungsfall den ich gerade bearbeite. VN ist seit mehr als 78 Wochen AU und wurde mittlerweile aus dem Krankengeldbezug ausgesteuert, bekommt also derzeit ALG. Versicherer hat trotz bekannter AU (Erkrankung auf die auch der BU Antrag gestützt wird)die Leistung bereits zweimal abgelehnt. Beim ersten Mal war es für den VR, nach Rücksprache mit seinem internen Arzt, nicht nachvollziehbar. Beim zweiten Mal wurde vom VR ein Gutachten in Auftrag gegeben, welches eine BU nur zu 20% bescheinigt. Die Fachärzte des Kunden bescheinigen über 50%, ein Gutachten der Rentenversicherung bescheinigt Tätigkeit im bisherigen Beruf unter 3 Stunden. Jetzt geht es ins Klageverfahren. Und nein, der Vertrag des Kunden sieht keine AU-Klausel vor, da er diese damals nicht wollte (zu teuer).
Weiter gibt es mit Sicherheit noch viele Fälle in denen aus jedem nur erdenklichen Grund der Versicherer, oder auch im gerichtlichen Verfahren eine Leistung trotz mehr als 6-monatiger AU abgelehnt wird.

Gespeichert von Philip Wenzel am 14. Januar 2016 - 08:03

Herr Stegmeier schreibt selbst: Das bedeutet: Kann nicht festgestellt werden, dass die Berufsunfähigkeit voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen andauern wird, so gilt es als Berufsunfähigkeit von Beginn an, wenn die Berufsunfähigkeit gemäß § 2 Absatz 1 und 2 tatsächlich länger als sechs Monate angedauert hat.

Es wird also nix am BU-Grad gedreht, sondern nur ein voraussichtlich vorübergehend in ein voraussichtlich dauerhaft verwandelt. Viel mehr passiert da nicht.

Wäre aber schön gewesen...

Gespeichert von Ludwig Barthel am 15. Januar 2016 - 10:16

Ich halte die Vereinbarung einer AU-Klausel nicht für eine nachhaltige Verbesserung. Die strittigen Fälle sind ja die, in denen in einem Gutachterstreit nicht zweifelsfrei geklärt werden kann, ob die Grenze von 50% bzw. 25% BU erreicht ist. Eine AU Klausel, die ja lediglich aufgrund faktischer Umstände dafür sorgt, dass die Rente ausgezahlt wird, kann diese Problematik nicht lösen. Spätestens im Nachprüfungsverfahren wird der Versicherer die Rente bei unklarer Lage zur Beurteilung des Grades der BU kassieren und damit die Uhren auf Anfang stellen.