AssCompact suche
Home
Investment
9. September 2020
„Würde es Covid-19 nicht geben, hätten wir es eigentlich erfinden müssen“

„Würde es Covid-19 nicht geben, hätten wir es eigentlich erfinden müssen“

Folker Hellmeyer war lange Chefanalyst der Bremer Landesbank und ist ein gefragter Investmentexperte in TV und Print. Auf die aktuelle Corona-Krise blickt er relativ gelassen. Die Gefahr eines zweiten Crashs ordnet der Experte als niedrig ein. Wirtschafts- und geldpolitisch käme Covid-19 insbesondere den USA sogar gelegen.

Herr Hellmeyer, die Aktienmärkte haben sich erstaunlich rasch vom Corona-Crash erholt. Zwischendurch ging es aber auch schon nach unten. Und auch die Infektionszahlen steigen nun wieder. Droht 2020 noch eine zweite Crash-Welle?

Das Risiko ist nicht völlig auszuschließen. Die Wahrscheinlichkeit für dieses Szenario sehe ich aber bei nur 10%.

Warum so niedrig?

Die erhöhten Zahlen positiv getesteter Personen hängen aktuell zu großen Teilen mit der Erhöhung der Tests zusammen. Entscheidender ist: Die Corona-Krise hatte uns unvermutet getroffen. Weder das Gesundheitswesen noch die Politik noch die Wirtschaft waren auf diese Situation vorbereitet. Deswegen hat es im März diesen Corona-Ausbruch und in der Folge den Wirtschafts- und als Konsequenz den Markteinbruch gegeben. Heute ist das Gesundheitswesen weitaus potenter und die Politik ist besser aufgestellt und vorbereitet.

Inwiefern?

Wir haben die Gesundheitssysteme auf die Höhe der Zeit gebracht. Wir reagieren mit regionalen Antworten wie regionalen Lockdowns auf regionale Ausbrüche. Wir wissen darüber hinaus, dass es ein temporäres Problem ist. Ich verweise auf die Themen Impfstoffe und Herdenimmunität. Die Rezession infolge der Corona-Krise basiert auf einem exogenen Ereignis. Damit unterscheidet sie sich fundamental von klassischen Rezessionen, die auf Erschöpfungszuständen in der Wirtschaft basieren. Es ist eine völlig andere Konstellation. Wir erleben in den Sektoren, in denen der Lockdown aufgehoben wird, eine v-förmige Erholung. In den anderen kann es noch keine v-förmige Erholung geben, weil die Politik sie verhindert. Das zeigt, dass das Grundraster der Ökonomie gesund ist. Zudem haben wir Konjunkturprogramme, von denen wir wissen, dass sie ab 2021 das Wachstumsbild positiv beeinflussen werden. Und darüber hinaus befinden wir uns in einem Anlagenotstand, der noch viel kritischer ist als jemals zuvor in der Geschichte der Welt.

Überwiegt das die kritische Situation wegen der Corona-Krise?

Die Corona-Rezession ist ein temporäres und politisch administriertes Problem und keine endogene Wirtschaftskrise. Genau das spiegelt die Entwicklung an den Märkten wider. Die Bewertungen sind bezogen auf Kennzahlen wie Kurs-Gewinn-Verhältnisse zwar historisch hoch. Wenn aber gleichzeitig das Zins­niveau politisch gewollt auf einem null­negativen Niveau verankert ist, muss man fragen, ob die klassischen Bewertungsrelationen noch zulässig sind, die darauf basierten, dass es attraktive Alternativanlagen mit Erträgen gab.

Wie kritisch ist die konjunkturelle Situation?

Die Lage ist hinsichtlich quantitativer Merkmale kritisch. Die qualitativen Kriterien sind weitaus unkritischer. Wir sehen eine dynamische Erholung in den Bereichen, die politisch administriert wieder geöffnet werden. Das impliziert für mich Zuversicht nach vorne. Wir haben heute in der Weltwirtschaft das größte Konjunkturprogramm, das je aufgelegt worden ist. Es hat zwei Elemente. Beide davon sind wichtig. Das erste ist das konsumtive Element. Die tragenden Säulen der Ökonomie werden während der politisch administrierten Rezession über diverse Interventionen des Staates erhalten. Das ist wichtig, damit die Wirtschaft später wieder Vollgas geben kann. Wären die Strukturen kaputt, müssten diese erst wieder mühsam aufgebaut werden. Dann wäre eine schnelle und nachhaltige Wirtschaftserholung nur schwer möglich.

Und das zweite Element?

Wir investieren mit den geplanten nationalen und supranationalen Konjunkturprogrammen massiv in neue Strukturen. Gerade diese Investitionen dürften ab 2021 eine positive Wirkung entfalten, zumal all das durch Unternehmenstätigkeit gestemmt werden muss. Und Unternehmenstätigkeit heißt nichts anderes als Bilanzwachstum, Skaleneffekte und erhöhte Gewinnpotenziale. Das ist ein Aspekt für die zügige Erholung, den die Märkte erkannten und erkennen.

Also die Krise als Chance für starke Unternehmen?

Vollkommen richtig. Ich bin für die mittel- bis langfristige Konjunkturlage sehr optimistisch. Ab 2021 sehe ich für die meisten Wirtschaftsräume dieser Welt ein Wachstum am oberen Rand des Potenzials, und das bei einem fortgesetzten Anlagenotstand, denn die enormen Programme, die jetzt aufgesetzt werden, erfordern die Fortsetzung des Niedrigzinsniveaus. Würde es Covid-19 nicht geben, wir hätten es eigentlich erfinden müssen. Nehmen Sie das Beispiel USA. Wir hatten in den USA im letzten Jahr ein riesiges Problem: gut 2% Wachstum bei einem Haushaltsdefizit von mehr als 5% der Wirtschaftsleistung. Das heißt nichts anderes, als dass es keine selbsttragenden Kräfte in der Ökonomie gab. Das ist eine Katastrophe. Die USA brauchten das extreme Niedrigzinsniveau, um Handlungsfähigkeit zu erhalten und mit Covid-19 haben die USA genau das bekommen.

Wie gefährlich sind hohe Staatsschulden?

Entscheidend ist nicht die Brutto­verschuldung, sondern die Schuldentragfähigkeit. Der japanische Yen war in den letzten Jahren trotz eines Verschuldungsgrads Japans von ca. 240% des BIP eine Fluchtwährung. Wenn man wie Deutschland zu einem Zins von null finanziert, hat man eine unendliche Schuldentragfähigkeit. Wenn wir dann die öffentlichen Mittel für sinnvolle Investitionen einsetzen, dann ist das eine gute Politik.

Ist die „whatever it takes“-Politik der EZB nicht doch gefährlich?

Ganz im Gegenteil. Aus der Betrachtung der letzten zehn Jahre wissen wir, dass die Eurozone mit ihrer Reformpolitik die größten Fortschritte aller großen westlichen Industrienationen gemacht hat. Hätte es „whatever it takes“ nicht gegeben, dann wäre die Eurozone zerfallen, die auf einem guten Reformweg war. Die einzelnen europäischen Länder hätten sich dann nach dem Zerfall Wirtschaftszonen untergeordnet, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, wie zum Beispiel die USA. Das wäre irrsinnig gewesen. Die „whatever it takes“-Politik war richtig. Sie funktionierte auch, weil man den Weg zum Niedrig- und Nullzinsniveau einschlug, der die stark belastenden Zinseszinseffekte nivellierte oder neutralisierte.

Drohen dadurch aber nicht Exzesse?

Das sehe ich in Breite und Tiefe nicht, weil sie durch Regulierungen bei Eigenkapital- und Solvenzregeln verhindert werden. Durch sie werden die negativen Folgen einer solchen Zins­politik weitestgehend ausgeschlossen. Wir halten auch keine Zombieunternehmen am Leben, wie von Gegnern der Niedrigzinsen oft argumentiert wird. Schlechte Unternehmen erhalten auch in diesem Zinsumfeld keinen Nullzins. Sie zahlen auch heute noch 7, 8 oder 9%. Zombieunternehmen werden also keinesfalls zum Nulltarif mit durchgeschleppt.

Wie haben Sie die Portfolios in diesem Umfeld ausgerichtet?

Wir haben derzeit eine Aktienquote von etwa 70%. Zudem setzen wir auf eine breite regionale Streuung. Hinzu kommt eine Cash-Quote von um die 10%, um Opportunitäten wahrnehmen zu können, wenn sie sich ergeben. Darüber hinaus haben wir einen Anteil an Edelmetallaktien und auch an Gold direkt.

Gold boomt 2020 wie nie zuvor. Ist dieser Boom berechtigt?

Ich habe schon um die Jahrtausendwende herum darauf hingewiesen, dass das Weltfinanzsystem Krebs hat. Und genau deshalb brauchen wir Asset-Klassen außerhalb des Systems. Dazu zählt auch Gold. Und heute hat das Weltfinanzsystem mehr Krebs als 2000/2001, weil sein Epizentrum, die USA, in einer prekären Lage ist. Die USA untergraben durch ihre Politik den Status des Dollars als Weltleitwährung. Das ist einer der Primärkatalysatoren für den Boom von Gold.

Zudem werden die USA wirtschaftlicher zunehmend unbedeutender. Lag ihr Anteil an der Weltwirtschaft mal bei 25%, so liegt er mittlerweile unterhalb von 15%. Hinzu kommt, dass sich immer mehr Zentralbanken der Welt von dem System eman­zipieren und Reserven in Form von Gold aufstocken. Einen weiteren Anstieg auf 2.300 Dollar innerhalb der nächsten Monate halte ich vor diesem Hintergrund noch für eine konservative Prognose. Und auch darüber hinaus dürfte sich Gold als Portfoliobeimischung bewähren. (mh)

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 09/2020 und in unserem ePaper.

Bild: © m.mphoto – stock.adobe.com