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21. September 2020
„Wir beobachten bei Flottenkunden eine verstärkte Netflix-Mentalität“

„Wir beobachten bei Flottenkunden eine verstärkte Netflix-Mentalität“

Wie steht es um das Flottengeschäft zwischen den Herausforderungen der New Mobility und den Folgen der Corona-Krise? Die ERGO verzeichnet weiterhin eine hohe Nachfrage nach Flottenversicherungen, aber auch eine zunehmende Netflix-Mentalität bei Kunden, die einen hohen Servicestandard erwarten.

Interview mit Mathias Scheuber, Vorstandsvorsitzender der ERGO Versicherung AG, und Günter Schätzle, Bereichsleiter Kraftfahrt Individualgeschäft der ERGO Versicherung AG
Herr Scheuber, während des Corona-Lockdowns standen mitunter ganze Fuhrparks still. Viele Unternehmen hat die Krise hart getroffen. Inwiefern macht sich dies in Ihrem Flottengeschäft bemerkbar?

Mathias Scheuber: Die Auswirkungen der Krise machten sich auch in unserem Flottengeschäft bemerkbar. Da teils ganze Fuhrparks stillstanden, haben wir schnell reagiert und Maßnahmen entwickelt, um unsere Kunden optimal zu unterstützen. Zum Beispiel konnten Fahrzeuge in dieser Zeit problemlos – auch ohne Abmeldung bei der Zulassungsstelle – stillgelegt werden. Erfreulicherweise ist mittlerweile der Großteil der Fuhrparks wieder in Betrieb.

Herr Schätzle, welche Auswirkungen dürfte Corona auf die Flottenversicherung insgesamt haben? Nimmt der Preisdruck weiter an Fahrt auf? Oder müssen sich Versicherer stärker mit Beratung und Service abheben?

Günter Schätzle: Die Nachfrage nach Flottenversicherungen ist unverändert hoch. Flottenbetreiber erwarten, wie vor der Krise auch, einen hohen Servicestandard. Für viele unserer Kunden gehört dazu beispielsweise der persönliche Kontakt zum Underwriter, Kundenbetreuer und Schadenbearbeiter. Und genau das bieten wir unseren Kunden: Top-Schadenmanagement und persönliche Betreuung. Die Steuerung in ein bevorzugtes Werkstattnetz zählt unter anderem dazu. Im Reparaturfall beinhaltet der Werkstattservice einen kostenlosen Hol- und Bringservice sowie ein Ersatzfahrzeug. So sind unsere Kunden auch nach einem Schaden mobil. Wettbewerbsfähige Prämien sind ein weiteres wichtiges Entscheidungskriterium. Wer heute nicht das komplette Paket bietet, verfehlt die Erwartungen der Kunden an einen professionellen Flottenversicherer.

Nun gilt es für Kfz-Versicherer ja unabhängig von Corona, mit dem steten Wandel in der Mobilität Schritt zu halten. Was sind die wichtigen Trends, die Sie derzeit im Blick haben, und worin liegen die größten Herausforderungen?

Mathias Scheuber: Unter dem Stichwort „New Mobi­lity“ sehen wir eine Vielzahl neuer Entwicklungen. Autonomes Fahren, E-Mobilität, Telematik und die Zunahme des Gütertransports sind nur einige Themen, die uns beschäftigen. Wir beobachten außerdem eine verstärkte „Netflix-Mentalität“: Etwas ganz Bestimmtes wird zu einem fest­gelegten Zeitpunkt und für einen festen Zeitraum benötigt. Auch hier setzen wir mit unserem Flottenangebot, dem sogenannten „Auto-Abo“, an. Im Gegensatz zum Leasing gibt es beim Auto-Abo keine feste Laufzeit. Mit einer Frist von wenigen Monaten kann das Fahrzeug gewechselt oder das Abo beendet werden. Alle Kosten des Fahrzeugbetriebs sind in der transparenten Monatsrate inkludiert – unsere Kunden müssen nur noch tanken.

Wir selbst sind schon vor ein paar Jahren mit Fleetpool – einem der führenden Anbieter in Deutschland – eine enge Partnerschaft eingegangen. Wir begleiten Fleetpool in allen Fragen rund um Versicherungslösungen.

Spielen Elektrofahrzeuge im Flottengeschäft mittlerweile eine Rolle?

Günter Schätzle: Aktuell spielen Elektroautos im Flottengeschäft noch eine untergeordnete Rolle. Die meisten unserer Kunden verfügen – wenn überhaupt – nur über einzelne Elektrofahrzeuge. Dennoch sind wir in unserer langjährigen Zusammenarbeit mit Herstellern im Austausch über Konzepte und Einsatzbereiche der Fahrzeuge mit E-Motoren. In Ballungszentren und stark verbauten Gebieten sehen wir durchaus eine Nachfrage für diese Antriebsform. Zu Corona-Zeiten haben wir allerdings einen Boom an E-Bikes festgestellt, die für uns als Versicherer ebenfalls immer wichtiger werden.

Mit intelligenten Systemen an Bord steigen nicht nur die Anschaffungskosten, sondern auch die Kosten in einem Schadenfall. Sorgt dies für eine steigende Nachfrage nach Absicherung?

Mathias Scheuber: Mit der unverändert hohen Nachfrage nach Flottenlösungen sind wir gefragt, Deckungsbausteine und Konzepte zu entwickeln, die im Schadenfall das finanzielle Risiko des Flottenkunden minimieren. Dementsprechend arbeiten wir fortlaufend an den passenden Lösungen für unsere Kunden, sodass die steigenden Kosten aufgrund neuer Fahrassistenzsysteme durch eine Reduktion der Schaden­anzahl aufgefangen werden.

Um beim Thema Schaden zu bleiben: Im Schadenfall ist der Moment der Wahrheit für den Kunden. Was macht ein gutes Schadenmanagement aus? Und welche Rolle kommt hierbei künftig der Digitalisierung zu?

Mathias Scheuber: Gutes Schadenmanagement bezieht die Themen Underwriting, Prozesse, IT-Datenexpertise, Portfoliomanagement und Kundenmanagement ein. Wir bieten unseren Kunden zum Beispiel einen kompetenten Ansprechpartner zu allen Versicherungsfragen des Fuhrparks, das heißt Anbahnung, Underwriting, Analyse und Kundenbetreuung. Zusätzlich analysieren wir das Schadengeschehen in Bezug auf Schadenhäufigkeiten, Schadenhöhen und können so Zusammenhänge zwischen der Schadenursache und den kundenspezifischen Organisationsstrukturen ziehen. Somit wird die Digitalisierung in Zukunft einen immer höheren Stellenwert hinsichtlich des Schadenverständnisses erhalten.

Wenn dann doch ein Schadenfall eingetreten ist, brauchen wir schnelle und effiziente Lösungen für Schadenmeldung, Reparatur, Fahrzeugausfall und Regulierung. Gerade im Flottenbereich müssen die Fahrzeuge schnell wieder einsatzfähig sein. Damit wir dies gewährleisten können, sind wir für unsere Kunden sowohl telefonisch, als auch online erreichbar. Durch die Online-Lösungen können wir auch direkt in unsere Premiumwerkstätten steuern. Somit liefern wir unseren Kunden schnelle und kurze Prozesse.

Welche aktuellen Entwicklungen sind für den Fuhrpark besonders interessant?

Günter Schätzle: Flottenbetreiber wünschen sich ein individuelles Konzept, das für ihren Bedarf optimiert ist. Dabei geht es nicht nur um Deckungen, sondern auch um prozessuale Erleichterungen, die den Verwaltungsaufwand beim Kunden minimieren – und das zu einem im Marktvergleich möglichst günstigen Preis. Eine entscheidende Rolle spielt das Modell bzw. Wording nach Fuhrparkgröße. Nach unseren Erfahrungen nimmt mit zunehmender Größe des Fuhr­parks die SFR-Tarifierung ab und der Anteil an Stückprämienrisiken steigt, auch um die Verwaltung für den Kunden möglichst schlank zu gestalten.

Gibt es ein aktuelles Treiberthema im Flottengeschäft? Neue Möglichkeiten der Schadenprävention?

Mathias Scheuber: Für unser datengetriebenes Geschäftsmodell sind kundenorientierte Prozesse und Produkte, die auf die indi­viduellen Bedürfnisse der Fuhrparkbetreiber abgestimmt sind, von großer Bedeutung. Um dem gerecht zu werden, setzen wir uns intensiv mit den Themen Datenverarbeitung, Datenanalyse und Dateninterpretation auseinander. Aus den Ergebnissen unserer Analysen lassen sich nicht nur oberflächliche Rückschlüsse auf den Schadenverlauf einer Flottenverbindung ziehen. Der gesamte Fuhrpark wird anhand des Schaden­geschehens analysiert, um die Ursachen gezielt zu erkennen und mithilfe von Maß­nahmen und Deckungsbausteinen den Schadenaufwand und die Schadenhäufigkeiten zu reduzieren.

Die Kombination verschiedener Faktoren birgt die Chance, unsere Flottenkunden maßgeblich bei der Schadenprävention und passgenauen Absicherung zu unterstützen. Hierbei lassen sich Zusammenhänge vielfach erst nach der Datenmodellierung erkennen. Aus diesem Grund haben wir ein Flotten­analysetool entwickelt, das uns und den Kunden hilft, das Wertschöpfungspotenzial der Daten zu heben. Dies entwickeln wir stetig weiter, um für unsere Kunden passgenaue Versicherungslösungen und Services zu entwickeln.

Das Interview lesen Sie auch in AssCompact 09/2020 und in unserem ePaper.

Bild oben: © FrankBoston – stock.adobe.com
 
Ein Artikel von
Günter Schätzle
Mathias Scheuber