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7. März 2025
„Wir fordern geschlechtergerechte Unternehmenskultur“
„Wir fordern eine geschlechtergerechte Unternehmenskultur“

„Wir fordern geschlechtergerechte Unternehmenskultur“

Heute ist wieder Equal Pay Day. Er kennzeichnet symbolisch den Gender Pay Gap und macht diese geschlechtsspezifische Gehaltslücke sichtbar. AssCompact spricht im Interview mit Prof. Dr. Isabell Hensel vom Deutschen Juristinnenbund über gerechte Löhne, rechtliche Vorgaben und Lösungsansätze.

Interview mit Prof. Dr. Isabell Hensel, Fachgebiet Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht in der digitalen Gesellschaft, Institut für Wirtschaftsrecht, Universität Kassel, und Vorsitzende der Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes e.V. (djb)
Frau Prof. Dr. Hensel, der (unbereinigte) Gender Pay Gap in Deutschland liegt für das Jahr 2024 laut Statistischem Bundesamt bei 16%. Das ist ein Rückgang um 2 Prozentpunkte und außerdem der stärkste seit Beginn der Berechnungen. Kommen wir Ihrer Auffassung nach hierzulande dem Equal Pay Schritt für Schritt näher?

Ich bin misstrauisch, solange nicht untersucht worden ist, was zu diesem Rückgang geführt hat – vielleicht der Wegfall gut bezahlter Männerarbeitsplätze? Die Forderung nach Equal Pay zielt ja nicht darauf, Männerlöhne zu senken, sondern Frauenlöhne zu steigern. Geblieben ist ja die Ignoranz der Politik gegenüber den Ursachen des immer noch zu hohen Gender Pay Gaps. Dazu gehört die ungleiche Verteilung von Sorgearbeit, die sich im Gender Care Gap, nachfolgend im Gender Overall Earnings Gap und schließlich im Gender Pension Gap zeigt. Deutschland schneidet im europäischen Ländervergleich besonders schlecht ab und hat keinen Grund, sich zurückzulehnen. Das Entgelttransparenzgesetz von 2017 ist nicht geeignet, Entgeltdiskriminierung zu beseitigen, wie zweimalige Evaluationen belegen. Die Gründe liegen etwa in mangelnder Transparenz, Unklarheiten bezüglich der Erfassung gleichwertiger Arbeit und prozeduralen Hürden für Diskriminierte.

Umso schwerer wiegt, dass Deutschland bei der Umsetzung der europäischen Entgelttransparenzrichtlinie von 2023 so zögerlich ist. Die Richtlinie ist darauf gerichtet, dass geschlechtsspezifische Verzerrungen in den Entgeltstrukturen systematisch und nachhaltig beseitigt werden. Sie verpflichtet die nationalen Gesetzgeber zum Tätigwerden und lässt nur wenig Umsetzungsspielraum.

Die Entgelttransparenzrichtlinie der EU muss in Deutschland bis spätestens Juni 2026 in nationales Recht umgesetzt werden. Was kommt auf welche Unternehmen zu und was sollten sie in den nächsten Monaten dafür tun?

Die Richtlinie zielt auf die verbesserte Durchsetzung des Entgelttransparenz- und -gleichheitsgebots sowohl im öffentlichen als auch privaten Sektor. Arbeitgebende mit mehr als 250 Beschäftigten bzw. ab 2031 bereits solche mit mehr als 100 Beschäftigten sollen verpflichtet werden, geschlechtsspezifische Verzerrungen und Diskriminierungen in den Vergütungsstrukturen innerhalb des Unternehmens selbstständig zu ermitteln, dies durch Berichte transparent zu machen, die Gründe zu analysieren und gemeinsam etwa mit Sozialpartner:innen Entgeltlücken zu beseitigen.

Berichts- und betriebliche Prüfpflichten sind also nicht länger freiwillig. Die proaktiven Instrumente zielen darauf, dass sich Unternehmen vertieft mit den Ursachen von Entgeltdiskriminierung auseinandersetzen. Nach europäischem Recht wird damit die Last der Geltendmachung von den einzelnen Betroffenen genommen und stattdessen die Unternehmen verantwortlich gemacht. Diese sollten bereits jetzt überprüfen, ob sie die dafür nötigen Instrumente zur diskriminierungsfreien Bewertung gleicher und gleichwertiger Arbeit bereitstellen können.

Mit welchen Konsequenzen müssen Betriebe rechnen, die sich nicht an die Vorgaben halten?

Die Richtlinie verpflichtet zur effektiven Ausgestaltung und Durchsetzung und gibt dazu konkrete Verfahren vor. Deutschland muss vor allem die Anwendung der Vorgaben in den Unternehmen überwachen. Dazu sind zum einen starke Betriebsräte vorgesehen, die die Prozesse intern vorantreiben sollen. Zum anderen muss eine externe Überwachungsstelle die Einhaltung der Berichtspflichten kontrollieren sowie die Berichte sammeln und in Teilen veröffentlichen. Damit werden die Bemühungen der Unternehmen zum ersten Mal von außen vergleichbar.

Um die Unternehmen zum Mitmachen zu bewegen, sieht die Richtlinie nicht nur vereinfachte Schadenersatzansprüche der Diskriminierten vor, sondern auch wirksame, verhältnismäßige und „tatsächlich abschreckende“ Sanktionen. So sollen bei Verletzung der Pflichten empfindliche Geldbußen verhängt werden.

Gibt es also Hoffnung, dass uns Anfang nächsten Jahres (oder zumindest in absehbarer Zeit) der vorerst letzte Equal Pay Day erwartet, weil er danach unnötig wird?

So schnell wird es wohl leider nicht gehen. Aber die europarechtlichen Vorgaben sind geeignet, Veränderungsprozesse in den Unternehmen anzustoßen und dort ein längst überfälliges Bewusstsein für die Tragweite von Entgeltdiskriminierungen herzustellen. Und gelingt die Schließung des Gender Pay Gaps, wird das Auswirkungen auf Gaps wie den Gender Care Gap und den Gender Pension Gap haben.

Dies setzt voraus, dass Deutschland die Richtlinie angemessen und schnell umsetzt und durch konsequente Durchsetzungsmechanismen das Gesetz vom Papier in die Praxis bringt. Eine klare Rechtslage ist auch deswegen nötig, weil die einbezogenen Akteur:innen sich dringend vorbereiten sollten. Es ist eine Sensibilisierung und Schulung in diskriminierungsfreier Arbeitsbewertung erforderlich. Die Richtlinie sieht zudem die „Unterstützung in Form von technischer Hilfe“ vor. So könnten digitale Analysetools die Prozesse in den Unternehmen unterstützen und den Aufwand stark verringern. Das gerne bei sozialen Belangen, ob Nachhaltigkeit oder Gleichstellung, angeführte Bürokratieargument kann so entkräftet werden. Unternehmen sollten stattdessen die verbesserten Chancen im Wettlauf um weibliche Fachkräfte und das Verfassungsgebot der Entgeltgleichheit sehen.

Der Deutsche Juristinnenbund zeigt Wege zur Diskriminierungsfreiheit in Unternehmen auf und setzt sich schon lange für die Gleichstellung der Frauen im Erwerbsleben ein. Welche Bereiche haben Sie dabei besonders im Blick und an welchen Projekten arbeiten Sie derzeit?

Wir fordern eine geschlechtergerechte Unternehmenskultur, die gleiche Verwirklichungschancen für alle Geschlechter garantiert. Damit alle Frauen, unabhängig von Beschäftigungsbereich, Art des Arbeitsplatzes und Sorgeverantwortungen wirtschaftlich unabhängig leben können, braucht es neben Entgeltgleichheit u. a. einen angemessenen Schutz von Müttern in der Erwerbsarbeit, die Schaffung von gefährdungs- und gewaltfreien Arbeitsbedingungen sowie von Möglichkeiten flexibler Arbeitszeitgestaltung und die Sicherung diskriminierungsfreier Zugänge zu Erwerbsarbeit und Karrierewegen.

In unserem djb-Wahlarbeitszeitgesetz sowie der djb-Konzeption für ein Gleichstellungsgesetz in der Privatwirtschaft zeigen wir auf, wie entsprechende Unternehmenspflichten in Gesetzen normiert, durch Akteur:innen wie Frauenverbände oder Gewerkschaften vorangetrieben und schon jetzt von Unternehmen in ihren Unternehmenspolitiken umgesetzt werden können.

 
Ein Interview mit
Prof. Dr. Isabell Hensel